Mit dem neuen Trainer Murat Salar und Winterzugang Marvin Pourié bläst die VSG Altglienicke zur Aufholjagd in der Regionalliga Nordost. Doch nicht nur der verzerrte Spielplan macht ihr zu schaffen.
Dieser Fußballer hat in seiner Karriere schon einiges erlebt, doch vergangene Woche erklärte er vor der Kamera von Ostsport-TV: „Ich habe ja immer meine Tore geschossen – aber so einen Start wie hier gab es noch nie.“ So sprach der Winterzugang der VSG Altglienicke, Marvin Pourié – der Stürmer ist mittlerweile 33 Jahre alt und der Verein aus der Regionalliga Nordost seine 15. Station als Spieler. Im ersten Halbjahr stand er noch beim niederländischen Zweitligisten Roda JC Kerkrade auf dem Platz, allerdings angesichts von verletzungsbedingt nur sechs Einsätzen nicht oft genug. Der Wunsch nach Veränderung war beiderseits gegeben – und die VSG Altglienicke gerade auf der Suche nach einem zuverlässigen „Knipser“. Der kleine, aber finanziell gut aufgestellte Berliner Verein hat dabei schon in der Vergangenheit namhafte Profis unter Vertrag genommen: Kevin Pannewitz, Torsten Mattuschka, Chinedu Ede oder Boubacar Sanogo gehören zu den klangvollen Namen, die den blauen Dress eine Zeit lang trugen. Oft auch mit dem Hintergedanken, im mit Fußballvereinen reichlich gesegneten Berlin etwas Aufmerksamkeit zu erregen.
Zahlreiche Spielausfälle
Ein wichtiger Punkt zur Vergrößerung der Öffentlichkeit wäre dabei auch ein Aufstieg in die Dritte Liga, der den Verein zur vorerst unumstrittenen Nummer drei der Hauptstadt machen würde. Diese Spielzeit bietet bekanntlich dem Sieger der Nordost-Staffel (nach dem Turnus der Aufstiegsregelung nur alle drei Jahre) wieder die Gelegenheit, ohne den „Umweg“ über die Qualifikationsspiele in den nationalen Fußball vorzudringen. Eine natürlich für viele Vereine der Spielklasse verlockende Tatsache: Nach dem ersten Halbjahr tummelten sich Herbstmeister Greifswalder FC, der eigentlich nur als „Geheimtipp“ gehandelt wurde, sowie die erklärten Favoriten BFC Dynamo und Energie Cottbus und das Überraschungsteam von Viktoria Berlin auf den vordersten Rängen. Die VSG Altglienicke belegte in der allerdings auch durch zahlreiche Spielausfälle verzerrten Halbjahrestabelle dabei nur einen Mittelfeldplatz. Höchste Zeit zu handeln also für den ambitionierten Fußballverein, der eigentlich in Treptow seine sportliche Heimat hat, aber momentan mangels geeigneter Spielstätte seine Heimspiele im Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark (Bezirk Pankow) austrägt. Im November trennte man sich vom langjährigen Trainer Karsten Heine, der das Team zwar erfolgreich, aber nicht zum letzten Schritt führen konnte. Die Verantwortlichen verblüfften dann mit der Wahl von Murat Salar als Nachfolger, denn der konnte bis auf ein Jahr beim 2014/15 in der Krise steckenden KFC Uerdingen (damals RL West) als Trainer im Profifußball keine Erfahrung vorweisen. Zuletzt arbeitete er 2022 drei Monate als Assistent beim Oberligisten CFC Hertha 06 – ehe man sich dort im September 2023 nach einem verkorksten Saisonstart an ihn erinnerte und als „Retter“ zum Tabellenvorletzten holte. Mit Salar starteten die Charlottenburger in der Folge durch: Fünf Siege und ein Unentschieden später rangierten sie im gesicherten Mittelfeld.
Das sprach sich auch zur VSG Altglienicke herum: Ein Trainer, der auf Anhieb einschlägt und obendrein noch eine vorhandene Defensivproblematik ad hoc in den Griff bekommt, passte genau zum Anforderungsprofil des Regionalligisten. Dass der 47-Jährige nicht über die erforderliche A-Lizenz für die vierte Spielklasse verfügt, war dabei kein Hindernis: Mit Isyan Demir (43) lotste man kurzerhand noch einen entsprechenden Scheininhaber an Bord, der in der Praxis jedoch Assistentenstatus besitzt. Und Murat Salar sollte auch beim Regionalligisten abliefern: Wie bei Hertha 06 standen vergangene Woche nach dem Nachholspiel gegen Lok Leipzig (2:0) fünf Siege und ein Remis zu Buche. Das Mammutprogramm von vier Partien in zehn Tagen absolvierte das Team dabei sogar mit voller Punktzahl, während die vier Topteams hier und da Federn lassen mussten. Wie anspruchsvoll die Aufholjagd der VSG jedoch bleibt, verdeutlichten die immer noch neun Punkte Rückstand vor dem Topspiel gegen Viktoria am vergangenen Samstag (siehe Fußball in Kürze) bei zwei Spielen weniger als Greifswald.
Für diese Herausforderung hatten die Verantwortlichen in der Winterpause auch nochmal Justierungen am Kader vorgenommen: Man trennte sich etwa von den erst wenige Monate zuvor geholten Offensivkräften Martin Kobylanski (zum SV Waldhof, Dritte Liga), Johannes Manske (Greifswald) und Cemal Sezer (CZ Jena) und holte zur Stabilisierung Ebrahim Farahnak (Abwehr, Phönix Lübeck) sowie Max Kulke (Mittelfeld, zuletzt Dynamo Dresden). Mit Spannung wurde dann die Verkündung einer Verstärkung für den Angriff erwartet – und Marvin Pourié erzeugte dann tatsächlich wieder mal ein öffentliches Raunen. Der gebürtige Münsterländer – unter anderem zwei Jahre in der Jugend des FC Liverpool ausgebildet – kann immerhin 34 Zweitligaspiele (drei Tore) und 165 Einsätze (58 Tore) in der Dritten Liga vorweisen. Ganz zu schweigen von seinen Auslandsstationen in Belgien, Russland und vor allem Dänemark, wo er es für den FC Kopenhagen sogar zu zwei Kurzeinsätzen in der Champions League brachte. Doch die Fußballexperten interessierte natürlich zuallererst, ob der 33-Jährige es noch kann und obendrein bereit dazu ist, sich auch in der Viertklassigkeit voll einzubringen.
Engagement und Freude
Dort war Pourié schließlich bis dahin höchstens mal in den Reserveteams seiner Arbeitgeber aufgelaufen. Zu den erwähnten vier VSG-Siegen des Jahres hingegen steuerte der Neue jeweils ein Tor bei. Doch mehr noch als über dieses persönliche Novum war der Stürmer über seine Mitspieler erfreut: „Ich bin nicht nur heute stolz auf die Mannschaft“, erklärte er so nach dem Leipzig-Spiel weiter und zeigte sich begeistert, „mit welchem Engagement und welcher Freude die Jungs jeden Tag zum Training kommen und auf die Spiele hinfiebern.“ Im selben Tenor äußert sich auch Trainer Murat Salar, der Fragen nach seiner „Unbesiegbarkeit“ gleich im Ansatz abbiegt: „Das haben alles die Spieler gemacht – und von der Statistik kann ich mir nichts kaufen“, so der Erfolgscoach, „schließlich will doch im Fußball jeder immer gewinnen.“ Und auch, was das „große Ziel“ betrifft, lässt sich Salar nicht locken und nimmt den Druck vom Team: „Ganz ehrlich: Einmal musste ich es tun – aber sonst habe ich hier noch nie auf die Tabelle geguckt.“