Wer hätte gedacht, dass ein Eigengewächs des FC Bayern die Probleme auf der Sechserposition lösen kann? Wahrscheinlich niemand, außer Thomas Tuchel. Der musste Aleksandar Pavlovic bringen – und wurde damit selbst zum Löser des Problems.
Das Spiel gegen Darmstadt war eigentlich schon gelaufen, als die Profikarriere von Aleksandar Pavlovic so richtig begann. Die Anzeigetafel zeigte 7:0 für den FC Bayern, als der 19-Jährige zum ersten Mal in der Fußball-Bundesliga eingewechselt wurde. Schiefgehen konnte also nichts mehr – Optimalbedingungen für ein Debüt. Doch Pavlovic wirkte so, als hätte er diese langsame Heranführung nicht gebraucht. Er war sofort da.
Mit einem breiten Grinsen im Gesicht stürmte der Youngster auf den Platz, gestikulierte, feuerte an – und spielte ohne Fehler. 14 Pässe, 14-mal fand er seinen Mitspieler – und am Ende feierte er mit den anderen hoch veranlagten Münchnern Frans Krätzig und Mathys Tel. Die drei schultern gerade die Hoffnung, dass bei den Münchnern nach Jamal Musiala die nächsten „jungen Wilden“ den Durchbruch schaffen. Dabei gehen sie alle unterschiedliche Wege. Tel ist der klassische Joker, Krätzig wurde nach Wien ausgeliehen und Pavlovic – der hatte auch schon Auftritte von Beginn an. Während Tel vergangene Saison für rund 20 Millionen Euro aus Rennes an die Isar wechselte, Krätzig 2017 aus der Jugendakademie des 1. FC Nürnberg an den FC-Bayern-Campus kam, würde Pavlovic definitiv als Eigengewächs zählen. 2011 kam er in die Jugendmannschaft des FC Bayern. Damals war der gebürtige Münchener sieben Jahre alt. Seit zwölf Jahren trägt er also schon das Trikot des Rekordmeisters. Gegen Darmstadt dann das erste Mal in einem Pflichtspiel der ersten Mannschaft. Einen Tag später setzte er seine Unterschrift unter seinen ersten Profivertrag. Bis 2027 ist der Münchener an seinen Heimatverein gebunden. „Ich bin beim FC Bayern aufgewachsen und sehr glücklich, hier jetzt meinen ersten Profivertrag unterschrieben zu haben“, sagte Pavlovic in einem Interview mit dem vereinseigenen Sender. „Davon habe ich geträumt, seit ich klein war. Ich möchte in jedem Training dazulernen und werde weiter hart an mir arbeiten.“
Ein Vorbild für die nächste Generation
Nicht ganz clever erhöhte Jan-Christian Dreesen sofort den Druck auf den jungen Mittelfeldspieler. Denn in den Augen von Dreesen ist Pavlovic nicht nur für seine eigene Karriere verantwortlich, er soll auch Vorbild für die nachkommenden Generationen sein: „Das ist der Beweis und der Ansporn für junge Talente, zu sehen: Ja, auch beim FC Bayern kann man vom Campus direkt in die Erste Mannschaft kommen.“ Und Sportdirektor Christoph Freund attestierte ihm nicht nur das Offensichtliche: „ein sehr guter Fußballer zu sein“, sondern auch „viel Übersicht“, „gute Technik“, jede Menge Selbstvertrauen und ein Verlangen nach dem Ball. Durch diese Fähigkeiten bekam er die Chance, den FC Bayern auf die Asienreise im Sommer zu begleiten. Mit den Profis zu trainieren und in Testspielen mit ihnen auf dem Platz zu stehen. Danach verschwand er wieder aus den Formationen und den Spieltags-Kadern des FC Bayern. Auch weil ihn eine Grippe schwächte und er wochenlang flachlag, wie Tuchel kürzlich erklärte. Und auch ohne Grippe tun sich Youngsters traditionell schwer beim FC Bayern: Mit Joshua Kimmich, Leon Goretzka, Konrad Laimer und Raphaël Guerreiro ist nun mal einiges an namhafter Konkurrenz beim Rekordmeister auf seiner Lieblingsposition im zentralen Mittelfeld beheimatet. Doch Tuchel erklärt, warum es bei Pavlovic anders laufen könnte, als bei den vielen anderen hoch veranlagten Youngsters, die vom Durchbruch beim Rekordmeister träumten und mittlerweile zwischen Verl, Kiel, Magdeburg und Wien ihr Geld verdienen. „Er ist ein schlauer, ein sehr strategischer Spieler. Das, was er macht, macht er mit vollem Bewusstsein. Er ist extrem fleißig und ein netter Kerl“, lobt Tuchel und kommt zu dem Schluss: „Es sind alle Voraussetzungen gegeben, dass er seinen Weg gehen wird.“ Zu den guten persönlichen Voraussetzungen kommt nämlich auch, dass die äußeren Bedingungen gerade günstig sind. Im Sommer wurde der Wunsch Tuchels nach einem defensiven Mittelfeldspieler nicht erfüllt. Hinzu kamen die verletzungsbedingten Ausfälle von Leon Goretzka und Raphaël Guerrerio. Und Kimmich handelte sich zudem eine Rotsperre ein und läuft seiner Weltklasseform aus vergangenen Jahren zumindest ein Stück weit hinterher. Zudem mussten Laimer und Goretzka wegen der Personallage immer wieder in der Innenverteidigung aushelfen. So kam es auch, dass Tuchel im Topspiel gegen den BVB, als er in der 60. Minute wegen der Belastungssteuerung Dayot Upamecano auswechseln musste, auf Pavlovic zurückgriff. Trotz der Wichtigkeit dieses Spiels und obwohl die Partie beim Stand von 2:0 noch lange nicht entschieden war. Doch der 19-Jährige spielte wie schon gegen Darmstadt routiniert, voller Ehrgeiz und Selbstvertrauen – und setzte mit einer Balleroberung und einer Torvorlage auf Harry Kane den Schlusspunkt bei diesem denkwürdigen 4:0-Sieg. „Mit seiner Leistung in Dortmund war ich sehr zufrieden. Und es ist klar, dass es nicht sein letztes Spiel war“, sagte Tuchel.
Seinen ersten Startelf-Einsatz feierte der Deutsch-Serbe dann vergangenen Dezember gegen den VfB Stuttgart. Gut gelaunt, aber noch ein wenig schüchtern kam Aleksandar Pavlovic danach aus der Kabine und war sofort von einer Traube Journalisten umringt. Zwei Assists im erst vierten Bundesliga-Einsatz. Obendrein der erste von Anfang an. „Minimale Nervosität ist immer da“, sagte er den Reportern. Und weiter: „Dann ist man so in seinem Film, blendet alles andere aus und spielt einfach nur Fußball.“
Die gleiche Kerbe wie Thomas Müller
Tuchel, der nun immer öfter auf ihn zurückgriff, bremste jedoch vehement: „Wir haben heute gezeigt, dass er unser Vertrauen hat. Er hat es wirklich gut gemacht. Aber lassen wir mal die Kirche im Dorf“, sagte Thomas Tuchel. „Ich freue mich sehr für ihn, er trainiert gut, ist ein guter Junge, der sein Herz am rechten Fleck hat“, erklärte der 50-Jährige weiter. In die gleiche Kerbe schlug auch Thomas Müller, der ein wenig als der Mentor von Pavlovic gilt. „Ich spiele immer gerne mit ihm zusammen. Da weiß ich, dass offensiv was geht. Er kann arbeiten und er hat immer den Blick nach oben. Er spielt Fußball so wie ich es kenne“, sagte der Ur-Bayer noch in Dortmund Anfang November. Jetzt klingt das schon etwas anders, ja richtig kritisch: „Bei den ersten Aktionen war ich in einigen Zweikämpfen und Zuspielen nicht so zufrieden mit ihm“, sagte Müller. Das gehört wohl dazu, wenn man es beim FC Bayern schaffen will. Erfahrene Spieler versuchen immer wieder, junge Spieler auf den Boden zurückzuholen, denn: Pavlovic ist Teil eines größeren Plans, der im FC Bayern-Campus erdacht wurde. „Er hat das überragend gemacht – und das nicht zum ersten Mal. Er macht es sehr, sehr gut! Man sieht, wenn man einen kleineren Kader hat, dann kriegen auch solche Spieler eine Chance“, erklärte FCB-Präsident Herbert Hainer nach der Partie. „Das muss unser Ziel sein, dass wir der Jugend aus dem Campus mehr Chancen geben. Wir müssen darauf achten, dass sie Spielpraxis bekommen, auf der Bank ist noch keiner besser geworden“, so der 69-jährige Bayern-Boss weiter. Ein klarer Auftrag an Trainer Tuchel. Pavlovic – übrigens der einzige gebürtige Münchener im Kader des FC Bayern – soll ein Problemlöser werden.
Für Chefcoach Thomas Tuchel kommt dies nicht überraschend, schließlich „war er schon letzte Saison stark im Training, als wir ihn dazu genommen haben“, so der Bayern-Trainer: „Wir wissen ganz genau, was er kann.“ Im Winter wurde dennoch Eric Dier verpflichtet, eigentlich auch als defensiver Sechser. Im Topspiel gegen Bayer Leverkusen hatte Dier aber einen Auftritt in der Dreierkette – und Pavlovic spielte anstelle Kimmichs von Anfang an. Sicherlich auch, weil Kimmich nicht bei 100 Prozent war. Und trotzdem vertraute Tuchel dem Youngster. Und trotz Wintertransfer betont Trainer Tuchel nochmals seine Wertschätzung gegenüber jungen Nachwuchsspielern beim Rekordmeister. „Wir werden auch immer alles tun, was im Sinne der Nachwuchsförderung ist. Darauf kann sich jeder verlassen“, unterstreicht der Chef-Coach: „Wir sind die größten Fans von Spielern des eigenen Campus’. Ich glaube, wir beweisen, dass wir keine Angst haben und den Spielern das Vertrauen schenken. Wir gucken nicht darauf, ob sie alt oder jung sind, teuer oder nicht so teuer.“ Das alles spiele keine Rolle – ob bei Krätzig, Tel oder Aleksandar Pavlovic.