Mit 36 Jahren hat Sportdirektor Rocco Teichmann bei Viktoria Berlin schon viel erlebt – von schlaflosen Nächten bis zu unvergesslichen Spielen.
Rein emotional betrachtet war der Abstieg aus der 3. Liga sehr bitter: „Gerade nach unserem starken Start in die Saison, und am Ende haben dann auch nur drei Punkte gefehlt“, beschreibt Rocco Teichmann die Gefühlswelt beim FC Viktoria 1889 Berlin diesen Sommer. Und: „Wenn Du in Kaiserslautern, Osnabrück oder bei 1860 München spielst – das ist schon stark und natürlich viel mehr Profifußball als in der Regionalliga“, gerät der Sportdirektor der „Himmelblauen“ ins Schwärmen. Da spricht der Fußballer aus Teichmann – dann aber sortiert er seine Gedanken wieder ebenso professionell und führt fort: „Aktuell ist aber die 4 Liga für uns die passendere Umgebung.“ Nach dem Höhenflug mit dem Aufstieg und dem gelungenen Start in der 3. Liga ist man letztlich mit der Rückkehr in die Regionalliga Nordost wieder auf dem Boden der Tatsachen angekommen. „Ich sehe es so: wir konnten in dem Jahr wahnsinnig viel lernen – etwa, was alles erfüllt sein muss, um die 3. Liga auf Dauer zu halten.“ Mit den vergleichsweise kleinen Organisationsstrukturen und finanziellen Mitteln sei der Verein trotz viel Aufwand gelegentlich an seine Grenzen gestoßen. „Die Leute denken immer: ‚Die haben einen Investor, also ist auch das Geld für den Profifußball vorhanden‚“, erläutert Teichmann, „dabei sichert der nur den laufenden Betrieb der ausgegliederten 1. Männer und der U19 ab – für eine Saison in der 3. Liga musst du aber allein ein Budget von mindestens sechs Millionen Euro einplanen.“ Das, so der Sportliche Leiter, habe die Arbeit nicht erleichtert – gerade in einer großen Stadt, in der viele Sportvereine um Sponsoren für ihre Belange werben. So musste man sich etwa Vorwürfe anhören, mit Tolcay Cigerci im Winter 2021/22 den besten Spieler in die Türkei ziehen gelassen zu haben. „Dabei hatten wir natürlich wirtschaftliche Zwänge und konnten nicht auf die Transfereinnahme verzichten – insofern war die Entscheidung richtig“, erklärt Teichmann mit Nachdruck.
„Aktuell die passende Umgebung“
Schließlich hat der 36-Jährige mit Viktoria auch schon einen Tiefpunkt ganz anderer Qualität erlebt, als Ende 2018 Insolvenz angemeldet werden musste. Ein chinesischer Investor war zuvor mit großen finanziellen Versprechungen eingestiegen, doch die Zahlungen blieben schnell aus. Die Existenz des Fußballvereins hing plötzlich am seidenen Faden, da waren die Nächte schon mal von Schlaflosigkeit geprägt: „Die Situation war natürlich eine Katastrophe, aber ich musste eben auch Verantwortung übernehmen: die Spieler über die Situation auf dem Laufenden halten, Informationen für die Bewältigung des Verfahrens sammeln und Geld durch Spielertransfers akquirieren.“
Teichmann rotierte, konnte in dieser Zeit etwa Peter Sliskovic (VfR Aalen), Jurgen Gjasula (Energie Cottbus) oder Christoph Mentz (Eintracht Braunschweig) abgeben und damit zur Entlastung beitragen. „Jeder Tausender war da extrem wichtig“, beschreibt Teichmann die Lage und ist im Nachhinein durchaus stolz auf das Geleistete. In dieser Situation von Bord zu gehen, war für ihn dabei keine Überlegung: „Ich bin auch ein loyaler Typ und wollte zumindest den Prozess bis zum Ende mitgehen“, sagt er. Lohn für die Treue und Bemühungen war dann letztlich, dass der Verein das Insolvenzverfahren erfolgreich abschließen konnte. „Im Nachhinein kann man sagen, dass das sogar geradezu bilderbuchmäßig umgesetzt worden ist.“ Inklusive der Tatsache, dass mit der Hamburger SEH Sports & Entertainment Holding zeitnah ein neuer Geldgeber gefunden werden konnte. In jedem Fall aber, so Teichmann, sei auch diese Zeit in vielerlei Hinsicht äußerst lehrreich gewesen. So kann der sportliche Leiter bereits mit 36 Jahren auf einen reichen Erfahrungsschatz zurückblicken. Begonnen hatte die „Karriere nach der Karriere“ beim Berliner AK, wo er als Spieler zweimal zu Ehren einer DFB-Pokalteilnahme kam. In der Saison 2010/11 schieden die „Athleten“ dabei in der ersten Runde denkbar knapp gegen Mainz 05 mit Trainer Thomas Tuchel aus (1:2), zwei Jahre später aber kegelte man die TSG Hoffenheim mit einem historischen 4:0 aus dem Wettbewerb. „Da bin ich aber nur abends bei der Siegesfeier in Erscheinung getreten“, kommentiert Teichmann trocken die Tatsache, dass der damalige BAK-Trainer Jens Härtel ihn gegen Tim Wiese, Roberto Firmino & Co. über 90 Minuten auf der Bank ließ. Bei der 0:3-Niederlage gegen 1860 München in der folgenden Runde führte er dann aber wieder das Team als Kapitän auf das Feld. Zu diesem Zeitpunkt war Teichmann 26 Jahre alt, und erste Gedanken über seine Zukunft hatten sich eingestellt: „Ich habe einfach gemerkt, dass ich im aktiven Fußball nicht mehr groß rauskommen werde.“ Da er deswegen auch immer schon über den Tellerrand geguckt hatte, schloss er parallel eine Lehre zum Bankkaufmann ab. Von Teichmanns Gedanken und Ausbildung wusste auch der Präsident des BAK: „Im Dezember 2013 hat mich Mehmet Ali Han dann angerufen und gefragt, ob ich mir nicht vorstellen könnte, als Sportdirektor für den Verein zu arbeiten – ich habe noch mal drüber geschlafen und dann zugesagt.“ Bei den Moabitern verdiente sich der Neuling im Geschäft seine ersten Sporen, im Sommer 2015 holte er zum Beispiel Ex-Profi Steffen Baumgart als Trainer vom SSV Köpenick-Oberspree. Teichmann selbst zog es bereits im Winter 2015/16 weiter. Ligakonkurrent FC Viktoria 1889 Berlin hatte angefragt, und der noch nicht mal 30-Jährige nahm die Herausforderung an. „Einerseits wollte ich den nächsten Entwicklungsschritt gehen und mich dort beweisen, wo ich noch keine Vorgeschichte als Spieler hatte“, erklärt Teichmann seine Motivation für den Wechsel. „Andererseits habe ich dort bessere Voraussetzungen gesehen bezüglich der Infrastruktur und der riesigen Jugendabteilung.“
Fokus auf dem Nachwuchs
Zwar kann sich Teichmann auch die Tätigkeit bei einem anderen Verein vorstellen – gleichzeitig sagt er aber auch: „So viele Stellen gibt es in dem Bereich ja nicht – da bin ich mit der Anstellung bei einem Regionalligisten schon privilegiert.“ Nicht nur Viktoria, auch Berlin ist dem gebürtigen Brandenburger dazu inzwischen zur Heimat geworden. Hier gilt es also nun, den Verein mit neuem, vorwiegend jungem Personal aus dem eigenen Nachwuchsbereich neu aufzustellen. Der VfL Osnabrück oder 1860 München müssen erst mal warten – die Erfahrungen dort, die kann Teichmann aber niemand mehr nehmen.