Mit viel politischer Mühe wurde die Umstellung von Hartz IV auf Bürgergeld vollzogen. Das verdient nach Ansicht von Kritikern den Namen allerdings nicht. Eine ähnliche Debatte droht jetzt in Sachen Staatsbürgerschaftsrecht.
Bei den Mitarbeitern in den bundesweiten Jobcentern ist Ende November ein deutliches Aufatmen zu vernehmen. Zwar hat im zweiten Anlauf auch der Bundesrat, die Länderkammer, dem Bürgergeld zum ersten Januar zugestimmt. Doch es wird keine tiefgreifende Umstellung des gesamten ehemaligen Hartz-IV-Systems nach sich ziehen. Trotzdem betonen insbesondere SPD und Grüne, allen voran Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, auf den Fluren des Bundestages in alle Mikrophone und Kameras, dass mit dem Bürgergeld jetzt ein Systemwechsel vollzogen ist.
„Es wäre eine Chance gewesen“
Für die Mitarbeiter der Jobcenter ändert sich zum 1. Januar nun erst mal nur wenig, ebenso für ihre Kundschaft. Abgesehen von dem Umstand, dass sie nun nach Möglichkeit noch vor Weihnachten die neuen Bewilligungsbescheide verschicken sollen. Die Grundsicherung wird „um satte 53 Euro“ steigen, betont mit einem unüberhörbar ironischen Unterton der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlverbandes, Ulrich Schneider. Für Schneider ist die Umstellung von Hartz IV auf Bürgergeld reine Augenwischerei, ein „Etikettenschwindel“, der an dem System der sozialen Abhängigkeit mit Drohpotenzial nichts verändere und keine neuen Arbeitsverhältnisse schaffe. Der profilierte Sozialpolitiker, seit über 23 Jahren Chef des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes und unter viel öffentlicher Aufmerksamkeit im Spätsommer aus der Linkspartei ausgetreten, zeigt sich maßlos enttäuscht. Vor allem von den Genossen der SPD. „Die Umstellung hätte eine Chance zum sozialen Bürgergeld werden können, doch dann sind sie eingeknickt, haben den Widerstand gegen ihre eigenen Parteistrategen nicht gewagt“, so der 64-Jährige. Schneider denkt beim Stichwort Bürgergeld eher an den Startschuss für das bedingungslose Grundeinkommen. Allein die Idee dazu bringt vor allem CDU/CSU, aber auch die mitregierende FDP auf die Palme. Sie haben sich mit unter dem Slogan „Fordern und Fördern“ dann doch durchgesetzt, und nun wird etwas unter neuem Namen fortgesetzt, was sei fast 20 Jahren schon nicht wirklich funktioniert hat, da im Sinne der Arbeitskraft-Ertüchtigung wenig durchdacht.
Die eigentliche Frage nach der Arbeit der Zukunft und sozialer Sicherheit wird durch das jetzt beschlossene „Bürgergeld“ nicht ansatzweise beantwortet. Es geht neben der dominierenden Energie- und Klimawende auch um eine Sozial- und Arbeitswende. Beides sind praktisch zwei Seiten einer Medaille, doch auf die daraus resultierenden Fragen findet die Politik keine wirklichen Antworten. Da scheint es schon fast egal, ob es Hartz IV oder ab Januar Bürgergeld heißt. Das Grundproblem dabei ist, dass die Jobcenter für eine Vielzahl von sich teilweise widersprechenden Aufgaben zuständig sind: Sie sollen die Menschen vor dem sozialen Aus bewahren, dabei sollen die Bezieher von Grundsicherung wieder in Arbeit gebracht werden. Nun gibt es aber viele Menschen in Grundsicherung, die aus gesundheitlichen oder Altersgründen, oder weil es ihre gelernten Berufe gar nicht mehr gibt, nicht mehr die volle berufliche Leistung bringen können. Zukünftig sollen die Bürgergeld-Bezieher für langfristige Arbeitsverhältnisse qualifiziert werden.
Dass in der allgemeinen Einschätzung von den ursprünglichen Plänen so wenig übrig geblieben ist, dass es nach Einschätzung von Kritikern nur eine Namensänderung, und dabei noch einen „Etikettenschwindel“ gegeben hat, ist nicht zuletzt dem Verhalten der Union und ihrem Fraktionschef Friedrich Merz zu verdanken.
Da es ohne seine Zustimmung nicht ging, hat Merz die Machtoption genutzt, und das in einer Art, die ihm dem Vorwurf eingebracht hat, alte Ressentiments bedient zu haben. Ob er damit seine innerparteiliche Position wirklich gestärkt hat, wird sich erst noch zeigen. Das Grummeln in den eigenen Reihen drang zwar kaum nach außen, ist aber intern nicht zu überhören.
Es waren Töne, die auf dem rechten Flügel der Union Unterstützung gefunden haben. Ähnliches deutet sich bereit bereits bei einem weiteren Themenfeld an, der Zuwanderungspolitik.
Die Pläne von Innenministerin Nancy Faeser zur Reform des Staatsbürgerschaftsrechts hat die Union als Herausforderung und Vorlage für eigene Positionierung umgehend angenommen.
Der Reformvorschlag ist ein weiterer Versuch, der Realität Deutschlands als Zuwanderungsland, das zudem unter Fachkräftemangel ächzt, gerecht zu werden und mindestens so alt, wie die Debatte um die richtigen Arbeitsmarktmaßnahmen, um Menschen wieder in Beschäftigung zu bringen. Bundesinnenministerin Faeser bringt es auf den Punkt: „Deutschland ist seit Jahrzehnten Einwanderungsland, das müssen wir endlich anerkennen.“
Auch in dieser Diskussion leben die bekannten Positionierungen wieder auf.
Argumente altbekannt
Deutschland brauche „bessere Regelungen für die Einbürgerung dieser tollen Frauen und Männer“, hatte Bundeskanzler Olaf Scholz seine Innenministerin unterstützt und dabei insbesondere deren Beitrag zum Wohlstand hervorgehoben. Lob für den Vorstoß gab es, ziemlich folgerichtig, aus der Wirtschaft und der Wissenschaft.
Die klare Perspektive auf eine Staatsbürgerschaft sei ein wichtiges Element, um Deutschland attraktiver für ausländische Fachkräfte zu machen, meint beispielsweise der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher.
Für die Union kommt der Reformvorschlag allerdings eher einem Ausverkauf gleich, von einem „Verramschen“ ist gar die Rede und einem „Pulleffekt bei der illegalen Migration“, wie es Alexander Dobrindt, CSU-Landesgruppenchef im Bundestag, formulierte. Der CDU-Innenexperte Stefan Heck nährt die Sorge vor einer „inflationären Vergabe deutscher Pässe“.
Die Ampel hatte eine Reform des Staatsbürgerschaftsrechts zwar in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten. Das wiederum hält den Koalitionspartner FDP jetzt nicht davon ab, sich gegen die Vorschläge zu äußern, wenn auch mit weniger markigen Sprüchen wie sie vonseiten der Union zu vernehmen sind. Es sei „nicht der richtige Zeitpunkt für eine Vereinfachung des Staatsbürgerschaftsrechts“, betonte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai, und Fraktionschef Christian Dürr will eine Regelung, die Zuwanderung in den Arbeitsmarkt regelt und nicht in soziale Sicherungssysteme. Auch CDU-Chef Merz warnt vor einer „Einwanderung in Sozialsysteme“.
Die Debatte ist nicht neu, die Einlassungen sind es auch nicht. Womit die Befürchtung besteht, dass den Reformplänen bei der Staatbürgerschaft dasselbe Schicksal droht wie dem Bürgergeld.