Über Max Kruse wurde schon alles geschrieben. Er wandelt schon immer zwischen Genie und Wahnsinn. Nicht wenige stellen sich die Frage, wie gut er wäre, hätte er nur diese Flausen nicht im Kopf. Niko Kovac waren diese jetzt zu viel.
Vor zwei Wochen gab es den großen Knall in Wolfsburg – und der traf nicht nur die Fans unvorbereitet. Nach dem Wolfsburger Sieg gegen Frankfurt hatte Trainer Nico Kovac verkündet, dass Max Kruse künftig kein Spiel mehr für den VfL bestreiten werde. Auf die Nachfrage von Sky-Reporter Ulli Potofski, ob damit eine große Bundesliga-Karriere zu Ende gehe, antwortete Kovac: „Ja." Auch Max Kruse wusste davon noch nichts: „Das kam, nachdem ich die letzten zwei Spiele von Anfang an gemacht habe, nicht nur für mich überraschend, sondern sicher auch für viele von Euch." Der Angreifer hatte vor seiner Ausbootung zuletzt zweimal in Folge in der Startelf gestanden. Kovac hatte als Begründung für die Nichtberücksichtigung Kruses gesagt: „Wir verlangen von allen Spielern eine einhundertprozentige Identifikation, Konzentration und Fokus auf den VfL Wolfsburg. Das Gefühl hatten wir bei Max nicht. Deshalb ist er nicht dabei." Die Kritik seines Trainers kann Kruse nicht nachvollziehen: „Ich respektiere die Meinung des Trainers, anscheinend soll ich mich nicht mehr mit dem Verein identifizieren. Aber jeder, der mich kennt, weiß: Ich habe in den letzten zehn, zwölf Jahren als Profi, wenn ich auf dem Platz stand, immer alles für den Verein gegeben, für den ich gespielt habe. Das wird auch weiter so sein, solange ich trainiere und Fußball spielen darf."
Kruse kann Kritik nicht nachvollziehen
Am Schluss seines Video-Statements auf Instagram sagte er in Richtung des Wölfe-Coachs: „Ich entscheide selbst, wann meine Zeit in der Bundesliga vorbei ist, und das entscheidet niemand anders für mich." Mittlerweile ist Max Kruse dann wohl der weltweit teuerste Torwarttrainer. Um 10.30 Uhr kam er im ersten Training nach dem Eklat als einer der letzten VfL-Spieler aus der Kabine. Arm in Arm mit Ridle Baku betrat Kruse den Trainingsplatz, absolvierte anschließend das Aufwärmprogramm noch ganz normal mit seiner Mannschaft. Als es dann an die Inhalte ging, wurde die neue Realität beim VfL sichtbar. Der 34-Jährige ist nicht mehr Teil der Gruppe. Der Trainer machte den Routinier kurzerhand zum Torwarttrainer. Während sich die Mannschaft auf den benachbarten Trainingsplatz zurückzog, schlurfte dieser rüber zur Torwartgruppe, die von Coach Pascal Formann angeleitet wird. Ein paar Minuten stand Kruse im Regen verloren auf dem Trainingsplatz herum, hielt den Ball ein wenig hoch, schoss ihn einmal senkrecht nach oben in Richtung des wolkenverhangenen Himmels. Und wurde dann in Torschussübungen integriert, er ballerte den Ersatzkeepern die Bälle um die Ohren.
Doch wie konnte es so weit kommen? Der Wechsel von Union Berlin zum VfL erhitzte damals schon die Gemüter. Jedoch war dieses Verhalten branchenüblich. Eher weniger branchenüblich ist die „Kohfeldt-Klausel" in Max Kruses Vertrag. In Bremen herrschte aufgrund dieser Klausel im vergangenen Sommer große Aufregung. Die Aufregung war berechtigt, denn die Klausel hatte im weitesten Sinne auch mit dem Traditionsclub Werder Bremen zu tun, bei dem Florian Kohfeldt eine ganze Weile als Trainer beschäftigt war. In Internetforen, die den SV Werder zum Thema haben, wurde die Klausel ausgiebig diskutiert, und auch in der Bremer Geschäftsstelle hat man sich mit ihr auseinandergesetzt. Bevor nun ein falscher Eindruck entsteht: Nein, in Bremen hat niemand geplant, Kohfeldt als Coach zurückzuholen, man ist weiterhin sehr zufrieden mit dem aktuellen Trainer Ole Werner. Für die Verantwortlichen des SV Werder war die Klausel aber interessanterweise ein Anlass, um sich zu fragen, ob eine Rückkehr des Angreifers Max Kruse sportlich Sinn ergeben würde – und wenn ja: Wie sollte man das dann eigentlich bezahlen?
Besondere Klausel im Vertrag
Die „Kohfeldt-Klausel" steht nämlich im Kleingedruckten des Arbeitsvertrags zwischen Max Kruse und dem VfL Wolfsburg geschrieben, und es kann gesagt werden, dass sie aus Spielersicht eine hervorragende Idee gewesen ist. Denn selbst wenn man Max Kruse heißt, muss man sich ja erst mal trauen, eine solche Sondervereinbarung einzufordern. Und dann muss man bei den Verhandlungen sich das Grinsen verkneifen, wenn die Verantwortlichen des abnehmenden Clubs wirklich ihre Unterschrift unter eine Vertragsklausel setzen, die folgenden Inhalt hat: Kruse, der im vergangenen Januar von Union Berlin nach Wolfsburg wechselte, ließ sich zusichern, dass er den Verein für einen Obolus verlassen darf, falls der aus alten Bremer Tagen hochgeschätzte Kohfeldt in der neuen Saison nicht mehr VfL-Trainer sein sollte. Ein Fall, der bekanntlich eingetreten ist: Kruse, 34, wurde öffentlich vom neuen Wolfsburger Coach Niko Kovac aussortiert, obwohl sich dieser zuletzt wirklich Mühe gegeben hatte, den hochbegabten Solisten – trotz offenkundiger Bauchwölbung unter dem Trikot – in sein auf Kollektivgeist beruhendes Spielsystem einzubinden. Doch Kruse, der von sich selbst sagt, er sei „kein Trainingsweltmeister", prahlte in den Medien lieber mit seinem „Vier-Stunden-Arbeitstag" und startete einen Youtube-Kanal, auf dem er mit seiner Freundin ein bisschen Trash-TV-Content in die Welt sendet.
Zum Klassenverbleib der Wolfsburger hat Kruse in der vergangenen Saison zwar durchaus etwas beigetragen – allerdings nur, weil da eben Kohfeldt im Amt war. Der „Vier-Stunden-Arbeitstag" kam vor allem bei Volkswagen eher weniger gut an. Was all diese Linien zu einem Muster verbindet: Niemand außer der von einem Autokonzern quersubventionierten Werkself konnte und wollte sich einen wie Kruse noch leisten, was nicht nur mit dessen Topgehalt in Höhe von 3,8 Millionen Euro zu tun hat, sondern mit den Kollateralschäden, die der Unterhalt des Angreifers mit sich bringt. Kruse steht damit exemplarisch für die Architektur der Liga, in der sich manche Vereine ein paar Luxusgüter anschaffen, die sie unbenutzt auf der Tribüne ablegen können, während der Rest darauf angewiesen ist, eine marktgerechte Lohnstruktur im Unternehmen zu etablieren.
„Wir haben es intern durchdiskutiert", räumte der Technische Direktor der Bremer, Clemens Fritz, im Sommer ein, als er auf die sogenannte „Kohfeldt-Klausel" angesprochen wurde. Dabei stellt sich nur die Frage: Welcher professionell geführte Verein stimmt solch einer Klausel zu? Mit der Suspendierung Kruses hat das Vertragswerk ohnehin neue Bedeutung erlangt: Kruse kann tun, was er will, und die Wolfsburger werden es ihm bezahlen, weil sie es können.
Es ist müßig, sich darüber Gedanken zu machen, was Max Kruse für ein Fußballer geworden wäre, wenn seine Arbeitseinstellung eine andere gewesen wäre. Viele hätten ihm eine ähnliche Karriere wie Thomas Müller vorausgesagt. Beide pflegen einen unkonventionellen Spielstil, der größte Unterschied liegt jedoch in ihrer Persönlichkeit: Müller ist Vollprofi, nie verletzt, spielt seit Jahren auf dem höchsten Niveau. Kruse hingegen besticht eher durch Skandale und teilweise durch überragende Leistungen auf dem Platz.
Kein Vergleich zu Thomas Müller
Der springende Punkt dabei: Beide Lebensstile haben ihre Berechtigung. Wenn Max Kruse mit seinem eher bescheidenen Fitnesszustand von einem Trainer wie Kohfeldt aufgestellt wird, weil er in ihm jemanden sieht, der die Mannschaft weiterbringt, dann ist das legitim. Kovac wird ihn nicht mehr aufstellen und hat dafür auch seine triftigen Gründe – wahrscheinlich. Kruses Instagram-Replik auf seine Ausbootung, die wohl in Richtung Kovac zielte, nimmt der Trainer gelassen auf. Zumal er auch nicht so verstanden werden wollte, dass er über die Liga-Zukunft des Spielers entscheidet. Der Trainer betont: „Ich bin der Letzte, der das entscheiden kann. Das müssen die Clubs entscheiden, die ihn eventuell verpflichten wollen, und er auch selbst. Ich werde das mit Sicherheit nicht beenden können und will ich auch nicht. Ich habe klipp und klar die Geschichte hier in Wolfsburg gemeint."
Doch wie geht es nun weiter mit Kruse, der das Interesse in Wolfsburg zwangsläufig auf sich ziehen wird und der tagtäglich in der Kabine dabei ist? Eine Vertragsauflösung wäre zweifelsohne optimal für die Ruhe, die der VfL nach dem komplizierten Start in der Bundesliga dringend benötigt. Kovac: „Es wäre sicherlich hilfreich, aber wenn es nicht so ist, dann ist es nicht so." Der Trainer verweist auf Kruses bis 2023 gültigen Arbeitsvertrag. „Wir sind verpflichtet, ihm die Möglichkeit auf Training zu geben. Das machen wir – aber ich muss in erster Linie mit denen arbeiten, die wir am Wochenende brauchen." Dazu wird Kruse in Wolfsburg nie wieder gehören.