Neurodermitis ist zwar noch immer nicht heilbar. Hoffnung für Betroffene können aber die ständigen Fortschritte in der Therapie-Forschung machen.
Da Neurodermitis als chronische, chronisch-rezidivierende – dauerhaft mit Phasen der Besserung –, oder chronisch-progrediente – sich stetig verschlimmernde – Hauterkrankung typischerweise erstmals im Säuglings- und Kindheitsalter aufzutreten pflegt, ist es wenig überraschend, dass sie insbesondere im Kindesalter eines der häufigsten chronischen Leiden überhaupt ist. Bei der Mehrzahl der Kids verschwindet die Erkrankung bis zum Erreichen des Erwachsenenalters, wobei bislang völlig unklar ist, warum und wann die Symptome abklingen. Allerdings ist vor allem bei erblicher Veranlagung nicht auszuschließen, dass die atopische Dermatitis oder das atopische Ekzem – wie die Neurodermitis alternativ zu dem im 19. Jahrhundert geprägten, auf einen fälschlicherweise vermuteten Zusammenhang mit den Nerven hindeutenden Begriff auch genannt wird – jederzeit im Laufe des Lebens wieder auftreten kann. Manchmal taucht sie sogar überhaupt erstmals im Erwachsenenalter auf.
Laut Angaben der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft erhalten jährlich allein in der Bundesrepublik etwa zwei Millionen Kinder und zweieinhalb Millionen Erwachsene die erschütternde Diagnose Neurodermitis. Schätzungsweise 13 Prozent der Kinder und zwei bis drei Prozent der Älteren sind hierzulande dauerhaft von der Krankheit betroffen. Ihre Ursache ist bislang nur teilweise geklärt, die Auslöser können vielfältig sein. Wobei ein komplexes Zusammenspiel aus genetischer Veranlagung und verschiedensten Umweltfaktoren eine Überreaktion des körpereigenen Immunsystems bedingt. Da Neurodermitis zum allergischen Formenkreis gezählt wird und mit ihr daher häufig weitere allergische Krankheiten wie Heuschnupfen, Staub- und Nahrungsmittelallergie oder Asthma verbunden sein können, kann die teils heftige Reaktion des Organs als ein verheerendes Zusammenspiel von Funktionsstörungen von Hautbarrieren, Überaktivierung von Immunzellen und einer Fehlbesiedlung der Hautbakterien angesehen werden. Ob Neurodermitis unter die Autoimmunkrankheiten eingestuft werden kann, ob also eine immunologische Fehlsteuerung vorliegt, darüber ist sich die Forschung noch nicht im Klaren. Fest steht jedenfalls, dass Neurodermitis keine rein allergische Hautkrankheit ist, weil Allergien nicht als alleinige Ursache für das Leiden ausgemacht werden konnten und man heute in der Forschung davon ausgeht, dass Neurodermitis durch die Aktivierung des Immunsystems und die damit verbundene Zerstörung der Hautbarriere hervorgebracht wird. Es häufen sich die wissenschaftlichen Belege dafür, dass das Immunsystem eine zentrale Rolle bei der Entstehung der atopischen Dermatitis spielt.
Ein Vier-Stufen-Therapieplan bildet die Grundlage einer ziel- und bedarfsgerechten Behandlung
Obwohl die Neurodermitis derzeit noch nicht heilbar ist, so gibt es doch je nach Schwere der Erkrankung und entsprechender Ausprägung der Symptome, wobei der Juckreiz am gravierendsten sein dürfte, gemeinhin ein aus vier Stufen bestehendes, am Hautzustand ausgerichtetes Therapie-Konzept. Stufe 1: Hautzustand trocken, Stufe 2: Hautzustand trocken bis schuppig und gerötet, leichte Ekzeme, gegebenenfalls mit leichter Knötchenbildung und Hautverdickung, Juckreiz, Stufe 3: Hautzustand mit mittelschweren Ekzemen samt Hautverdickung und Knötchenbildung, mäßiger bis starker Juckreiz, Stufe 4: Hautzustand mit dauerhaft schwer ausgeprägten Ekzemen samt Hautverdickung, Knötchenbildung, Nässen, Krustenbildung und starker Rötung, starker Juckreiz. Gelegentlich wird auch mit einem dreistufigen Modell gearbeitet, das sich am Schweregrad der Neurodermitis orientiert und zwischen leichter Neurodermitis, mittelschwerer Neurodermitis sowie mittelschwerer bis schwerer Neurodermitis unterscheidet.
Ziel der Therapie sollte sein, im Idealfall die Symptome zum Verschwinden zu bringen, im Normalfall sie zu lindern und möglichst symptomfreie Phasen zu ermöglichen. Nachdem die Diagnose Neurodermitis durch den Dermatologen mithilfe klassischer Beobachtung, Bluttests oder Allergietests gestellt und der Schweregrad der Krankheit festgehalten wurde, wird der Arzt vor Behandlungsbeginn im Gespräch mit dem Patienten Faktoren oder Umwelteinflüsse, sogenannte Trigger, ermitteln wollen, die bei dem Betroffenen als ursächliche Auslöser der Beschwerden infrage kommen können. Anschließend wird der Arzt dazu raten, diese Trigger im Sinne einer Vermeidungsstrategie künftig möglichst zu umgehen. Die Liste der Trigger ist zwar lang, von Wolle-Unverträglichkeit oder Verwendung von hautreizenden Reinigungsmitteln über Hausstaub- und Lebensmittelallergien bis hin zu Stress oder unverträglichen Kosmetika, ihre Vermeidung sollte aber auf jeden Fall den Anfang aller Behandlungsmaßnahmen bilden.
Ganz unabhängig vom Zustand der Haut oder dem Schweregrad der Erkrankung gilt für alle Betroffenen die aus kontinuierlicher Hautpflege und Hautreinigung zusammengesetzte Basistherapie als unverzichtbares Nonplusultra. Das tägliche Auftragen von Pflegemitteln, die einen hautfreundlichen pH-Wert haben, auf ihre Hautverträglichkeit dermatologisch geprüft seien und im Hinblick auf den jeweiligen Hautzustand ein optimales Verhältnis der Fett- beziehungsweise Öl- sowie Wasseranteile haben sollten, sorgt dafür, die fehlende Fettschicht der meist trockenen Haut zu ergänzen und ein weiteres Austrocknen der Haut zu vermeiden. Auch in symptomfreien Phasen muss die Basistherapie unbedingt fortgesetzt werden. Für sehr trockene Haut ist ein Pflegemittel mit einem hohen Fettanteil, also eine Wasser-in-Öl-Emulsion, wie sie beispielsweise eine rückfettende Salbe bietet, ratsam. Bei weniger trockener Haut kann zu einer Öl-in-Wasser-Emulsion gegriffen werden, also einer Creme oder Lotion auf Wasserbasis mit einem geringeren Fettanteil. Neben dem regelmäßigen Eincremen sollte eine schonende und sanfte Hautreinigung zum täglichen Standardprogramm gehören, wobei auf herkömmliche Seifen wegen ihres zu hohen pH-Wertes zugunsten von pH-neutralen Reinigungsmitteln verzichtet werden sollte. Nach jeder Hautreinigung sollte ein Pflegemittel aufgetragen werden.
In Stufe 1 reicht die Basistherapie erst einmal völlig aus. In Stufe 2 oder bei leichter Neurodermitis wird an die Seite der Basistherapie eine Äußerliche (topische) Therapie gestellt. Dabei werden auf die betroffenen Hautstellen äußerlich vergleichsweise schwach wirksame Mittel wie Salben oder Cremes aufgetragen, wobei es sich in der Regel um Cortisonpräparate oder Glukokortikoide, die die Reaktion des Immunsystems abfedern und stark entzündungshemmend wirken können, oder um sogenannte Calcineurin-Hemmer handelt, die ebenfalls das Immunsystem bremsen und dadurch entzündungshemmend wirksam sind. Kortisonpräparate werden in der Akutphase täglich auf die entzündete Haut aufgetragen. Beim Abklingen der Symptome wird die Häufigkeit der Applikation schrittweise heruntergefahren, was als ausschleichende Therapie bezeichnet wird. Bei einem abrupten Absetzen des Medikaments kann es leicht zu einem Wiederaufflammen der Entzündung kommen. Calcineurin-Hemmer werden bei akuten Entzündungen ein- bis zweimal täglich aufgetragen und anschließend langsam ausgeschlichen. Alternativ kann auch eine Lichttherapie oder Fototherapie erfolgversprechend sein, bei der die Haut an den betroffenen Stellen einer ultravioletten Strahlung zur Eindämmung der Entzündung ausgesetzt wird. Die Lichttherapie, die in der Regel nur bei Erwachsenen zum Einsatz kommt und nicht mit Calcineurin-Hemmern kombiniert werden darf, kann auch noch mit Solebädern kombiniert werden und wird dann als Balneofototherapie bezeichnet.
Schwere Verläufe benötigen Medikamente, die auf den gesamten Körper einwirken können
In Stufe 3 oder bei mittelschwerer Neurodermitis können neben den Maßnahmen der Stufe 1 und 2 äußerlich aufgetragene Kortisonpräparate oder Calcineurin-Hemmer mit stärkerer Dosierung treten. Wobei in sensiblen Bereichen wie dem Gesicht wegen der möglichen Ausdünnung der Haut durch Kortison die Calcineurin-Hemmer bevorzugt werden. Der Übergang von Stufe 3 auf Stufe 4 ist fließend, was sich auch an der offiziellen Bezeichnung des Krankheits-Schweregrades mit mittelschwer bis schwer ablesen lässt. Bei schweren Krankheitsverläufen bedarf es der Gabe von Medikamenten, die auf den gesamten Körper einwirken, wobei modernste Präparate vor allem auf das Immunsystem abzielen. Die Wirkstoffe gelangen per Tabletten über den Magen-Darm-Trakt oder über eine Spritze unter die Haut ins Blut, man spricht von einer Innerlichen (systemischen) Therapie. Die Wirksamkeit der Medikamente ist stärker, aber es steigt auch das Risiko von Nebenwirkungen.
Neben sämtlichen Therapieansätzen der Stufen 1 bis 3 können in Stufe 4 stark entzündungshemmende Kortisonpräparate in Tablettenform, sogenannte orale Glukokortikoide, verabreicht werden, allerdings in der Regel nur an Erwachsene, eine längerfristige Therapie mit diesem Mittel ist wegen der Nebenwirkungen nicht ratsam. Auch Immunsuppressiva, die wahlweise wie der Arzneistoff Ciclosporin als Tabletten oder per Injektion in den Körper gelangen können, zählen zu den herkömmlichen innerlichen Therapien. Sie unterdrücken das Immunsystem und wirken dadurch entzündungshemmend, sollten mehrheitlich aber wegen der Nebenwirkungen auch nicht langfristig eingenommen werden.
Kleine Moleküle, welche gezielt in das Immunsystem eingreifen können
Doch vor allem zwei neue Medikamente haben die Behandlung Schwerkranker in den letzten fünf Jahren geradezu revolutioniert. Zum einen handelt es sich dabei um Biologika, die ganz gezielt auf das Immunsystem wirken, weil sie als Antikörper die am Entzündungsprozess beteiligten Botenstoffe oder Rezeptoren inaktivieren können. Biologika sind biotechnologisch hergestellte Medikamente, die als Injektion unter die Haut verabreicht werden und bei guter Wirkung und Verträglichkeit sogar langfristig eingesetzt werden können, um neuen Krankheitsschüben vorzubeugen. 2017 wurde mit Dupilumab (Handelsname: Dupixent) der erste Antikörper zugelassen (ab 2020 auch für Kinder ab sechs Jahren erlaubt), der alle zwei Wochen vom Patienten selbst gespritzt werden kann und dessen stolzer Preis von 20.000 Euro für eine einjährige Therapie das Zehnfache der bis dahin üblichen Jahreskosten für Schwerkranke betrug. „Der Vorteil von Dupilumab liegt darin", so der Präsident der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft Prof. Michael Hertl, „dass wir jetzt für die schwer Erkrankten eine Option haben, die bei 60 bis 70 Prozent der Patientinnen und Patienten sehr gut wirkt." Im Sommer 2021 folgte die Zulassung des ähnlich wirkenden Antikörpers Tralokinumab für Erwachsene (Handelsname: Adtralza), die sich das Medikament selbst alle 14 bis 28 Tage spritzen können. Schließlich war Ende 2020 mit den sogenannten JAK-Inhibitoren oder JAK-Hemmern und dem in Tablettenform einzunehmenden Wirkstoff Baricitinib (Handelsname: Olumiant) eine neue Gruppe von Immunsuppressiva für die Langzeittherapie von Schwerkranken zugelassen worden. Dabei handelt es sich um kleine Moleküle, die gezielt in das Immunsystem eingreifen können, indem sie bestimmte Enzyme namens Januskinasen hemmen und dadurch den Krankheitsprozess unterbrechen können. Der Effekt ist eine deutliche Reduktion des Juckreizes und der Entzündung, wodurch die Lebensqualität der Betroffenen meist bereits nach wenigen Tagen stark verbessert werden kann. Im August 2021 wurde mit Upadacitinib (Handelsname: Rinvoq) der zweite JAK-Inhibitor zugelassen, im Dezember 2021 folgte mit Abrocitinib (Handelsname: Cinbinqo) gleich der dritte JAK-Hemmer. Übrigens: Eine spezielle Ernährungsempfehlung oder ein rigider Diätplan macht bei Neurodermitis keinen Sinn. Lediglich Lebensmittel, die erwiesenermaßen bei den jeweiligen Betroffenen zu Unverträglichkeitsreaktionen führen, sollten weggelassen werden. Ein Ernährungstagebuch kann hilfreich sein, um Allergien auslösende Nahrungsmittel leichter identifizieren zu können.