Sie ist einer der größten Politik-Skandale in der Geschichte der Bundesrepublik: Die Affäre um den damaligen Ministerpräsidenten Uwe Barschel. Im Laufe der Aufarbeitung wurde jedoch immer ungewisser, ob der Beschuldigte auch der Drahtzieher war.
Parallelen zum Watergate-Skandal mussten sich zwangsläufig aufdrängen. Schließlich gingen schmutzige Machenschaften vor sich, damals im Vorfeld der Landtagswahlen in Schleswig-Holstein am 13. September 1987. Es war ähnlich wie in den USA, wo der ehemalige FBI-Agent Gordon Liddy die zentrale Rolle gespielt hatte. Im hohen deutschen Norden wiederum gab es den wegen Verleumdung vorbestraften Journalisten Reiner Pfeiffer. Er galt als die Person, die die Schläge gegen die SPD und deren Ministerpräsidentschafts-Kandidaten Björn Engholm ausgeführt hatte, die größtenteils unterhalb der Gürtellinie lagen.
Der seit 1982 als Ministerpräsident regierende Uwe Barschel (CDU) hatte sich den Journalisten von Peter Tamm, dem damaligen Vorstandsvorsitzenden des Axel-Springer-Verlags, für den Wahlkampf für seine Wiederwahl ausgeliehen und ihn Ende 1986 als Medienreferent in seiner Staatskanzlei installiert. Daher wurde seinerzeit allgemein davon ausgegangen, dass Pfeiffer die folgenden Aktionen wohl kaum im Alleingang und aus eigenem Antrieb unternommen hatte. Diese hatten sich gegen die auf der Überholspur befindlichen Sozialdemokraten und deren Spitzenmann Engholm gerichtet, der als beliebt, charismatisch und integer galt.
Letztendlich war es „Der Spiegel", der in zwei Artikeln, die wie Bomben einschlugen, am 7. und 14. September 1987 die üblen Tricks enthüllt hatte. Darin hatte das Magazin Uwe Barschel als eigentlichen Drahtzieher und Verantwortlichen an den Pranger gestellt. Dabei galt er doch als die aufstrebende politische CDU-Lichtgestalt, die auch für höhere Aufgaben wie die Nachfolge Helmut Kohls im Bonner Kanzleramt ins Spiel gebracht wurde. Aller Wahrscheinlichkeit nach dürfte der „Spiegel" das Kopf-an-Kopf-Rennen der beiden Volksparteien bei der Landtagswahl zugunsten der SPD entschieden haben. Denn der wesentliche Inhalt des zweiten Beitrags wurde noch am samstäglichen Vorabend des Urnengangs öffentlich gemacht.
Barschel hatte Wiederwahl im Blick
Die CDU, die in Schleswig-Holstein seit 1950 den Ministerpräsidenten gestellt und seit 1971 mit absoluter Mehrheit regiert hatte, musste sich der SPD als zweiter Kraft geschlagen geben – die Sozialdemokraten hatten 45,23 Prozent der Stimmen gewonnen. Das Wahlergebnis hatte auch zu einem Patt zwischen CDU und FDP auf der einen und SPD und Südschleswigschem Wählerverband (SSW) auf der anderen Seite geführt. Denn der SSW sollte sich im Zuge der aufziehenden Schwierigkeiten weigern, in ein Bündnis mit der CDU einzutreten. Die „Barschel-Affäre" wiederum entwickelte sich zu einem der größten Politik-Skandale der Bundesrepublik,
Dem „Spiegel" gebührt fraglos das Verdienst, die üblen Machenschaften publik gemacht zu haben. Doch es wurde dem Magazin von Konkurrenzblättern wie der „Zeit", der „FAZ" und dem „Stern", im Rückblick völlig zu Recht vorgeworfen, dass er sich viel zu einseitig und vorschnell auf die Darstellung der Ereignisse in der Version seines einzigen Zeugen verlassen habe – Reiner Pfeiffer. Dieser hatte zudem vom „Spiegel" die außergewöhnlich hohe Summe von 160.000 Mark als Informations-Honorar erhalten. Das sagte zumindest der damalige Justitiar von Bismarck über die Erlaubnis zum Abdruck der wesentlichen Aussagen, die Pfeiffer im Rahmen einer eidesstattlichen Erklärung am 9. September 1987 vor einem Hamburger Notar abgelegt hatte.
Die Glaubwürdigkeit Pfeiffers sollte zusätzlich durch die später bekannt gewordene, auf zwei Raten verteilte Zahlung von 50.000 Mark durch die SPD in den Jahren 1988 und 1989 infrage gestellt werden. Dabei hatte Landtagsfraktions-Pressesprecher Klaus Nilius als Geldbote des Landesvorsitzenden Günther Jansen fungiert. Nilius hatte sich schon im Juli 1987 viermal heimlich mit Pfeiffer getroffen und dabei womöglich auch schon erste Informationen über die skandalösen Aktionen erhalten. Er behauptete zwar, er habe das Geld Pfeiffer nur zukommen lassen, um dessen finanzielle Notlage zu lindern, aber in den Medien wurde das Ganze meist als Schweigegeld-Zahlung interpretiert. Die Sache mit dem Geld, das er angespart und in seiner Küchenschublade gehortet haben soll, sollte später unter dem Schlagwort „Schubladenaffäre" bekannt werden.
Der „Spiegel" wie auch Kreise in der SPD hatten die Barschel-Affäre sogleich als „Waterkantgate" getauft. Laut dem Magazin war Pfeiffer von Uwe Barschel persönlich die Aufgabe übertragen worden, Björn Engholm im Laufe des Wahlkampfes, der von der CDU ohnehin schon mit beinharten Bandagen geführt worden war, zu diskreditieren. Dafür hatte er nachweislich eine anonyme Anzeige gegen Engholm wegen vermeintlicher Steuerhinterziehung erstattet. Er setzte Privatdetektive auf den SPD-Mann an, um dabei Nachweise für ein angeblich „ausschweifendes Sexualleben" mit „homosexuellen Neigungen" bekommen zu können. Pfeiffer nahm telefonisch unter dem Decknamen „Dr. Wagner" Kontakt mit Engholm auf, um diesem mitzuteilen, dass er sich bei einer außerehelichen Liaison womöglich mit Aids infiziert haben könnte. Und er sollte angeblich auch noch eine Abhör-Wanze beschaffen, die im Büro von Barschel installiert werden sollte, um dies der SPD als kriminellen Trick in die Schuhe schieben zu können.
„Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort"
Uwe Barschel machte schon am Wahl-Vorabend unmissverständlich klar, dass er mit all diesen Machenschaften nichts zu tun gehabt habe und dass diese ausschließlich dem Konto seines intriganten Medienreferenten anzulasten seien. Ein Statement, dass Barschel wohl kaum jemand in der Bundesrepublik als die ganze Wahrheit abgenommen hatte. Denn zumindest eine Mitwisserschaft oder Duldung durch den Ministerpräsidenten wurde vorausgesetzt. Der fraglos auch von Bonner Regierungskreisen unter Druck geratene Barschel sah sich daher am 18. September 1987 zu seiner berühmten, mit Schutzbehauptungen gespickten „Ehrenwort"-Pressekonferenz veranlasst, in der er sagte: „Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, dass die gegen mich erhobenen Vorwürfe haltlos sind." Die Aussagekraft wollte er durch eidesstattliche Versicherungen einiger Mitarbeiter untermauern, die auf sein Drängen hin abgegeben worden waren und die sich wenig später als Falschaussagen herausstellten.
Barschel hatte wegen der als Meineide aufgedeckten Mitarbeiter-Rückversicherungen schon am 25. September 1987 seinen Rücktritt vom Amt des Ministerpräsidenten zum 2. Oktober 1987 angekündigt und wollte so die politische Verantwortung für den Skandal übernehmen. Bis heute herrscht über die Wahrhaftigkeit von Barschels Ehrenwort jedoch Unklarheit. „Mag er auch in Details gelogen haben", so die „Welt" in einem Artikel über dieses „ungelöste Rätsel", „sein Schwur, die Pfeiffer-Vorwürfe seien haltlos, ist nicht widerlegt. Viel spricht heute dafür, dass er im Kern die Wahrheit sagte." Eine fraglos ziemlich mutige Behauptung, die jedoch durch die Aufarbeitung der Barschel-Affäre durch gleich zwei parlamentarische Untersuchungsausschüsse immer mehr Substanz erhalten sollte.
Barschel selbst konnte diese für ihn positive Wendung des Schicksals nicht mehr miterleben: Der 43-jährige Politiker wurde am 11. Oktober 1987 von „Stern"-Reporter Sebastian Knauer aufgefunden – er lag tot in der Badewanne seines Zimmers mit der Nummer 317 im Genfer Hotel „Beau Rivage". Er hatte sich dort einquartiert, um sich bei einem Zwischenstopp auf der Rückreise von seinem Gran-Canaria-Urlaub mit einem ominösen Entlastungszeugen namens „Roloff" zu treffen. Fest steht, dass Barschel an einer Medikamenten-Überdosis gestorben war. Ob es sich dabei um einen Suizid oder um einen Mord gehandelt hatte, ist bis heute Gegenstand heftiger Kontroversen und wilder Verschwörungstheorien. Doch frühe Ermittlungspannen und spätere Schlampereien in der Spuren- und Beweissicherung haben eine endgültige Aufklärung unmöglich gemacht.
Im Herbst 1987 wurde schließlich der erste parlamentarische Untersuchungsausschuss des Kieler Landtags zur Aufarbeitung der Barschel-Affäre eingesetzt. Er kam in seinem am 5. Februar 1988 veröffentlichten Abschlussbericht noch zu dem Ergebnis, dass Barschel von der Diffamierungskampagne gegen seinen politischen Gegner Kenntnis hatte oder eine Mitwisserschaft zumindest wahrscheinlich sei. Der zweite Untersuchungsausschuss hatte den Fall Barschel im Zuge der „Schubladenaffäre" ab dem Frühjahr 1993 nochmals neu aufgerollt und besonders die Rolle der SPD dabei unter die Lupe genommen. Er kam im Dezember 1995 zu einem komplett anderen Fazit: Es gebe „keinerlei Beweise für eine Mittäterschaft oder Mitwisserschaft" Barschels an den Aktionen Pfeiffers. Allerdings habe Pfeiffer „wohl zumindest mit Billigung Barschels gehandelt".
Björn Engholm tätigte eine Falschaussage
Für die SPD hatte die Arbeit des zweiten Untersuchungsausschuss ein ganz bitteres Nachspiel. Denn Björn Engholm konnte einer früheren Falschaussage im ersten Untersuchungsausschuss überführt werden. Dabei wurde er seit dem gloriosen und mit absoluter Mehrheit gekrönten Wahlsieg im Mai 1988 und der Erneuerung der Regierungsmacht bei den Wahlen im April 1992 in seiner Funktion als SPD-Vorsitzender als sicherer Kanzlerkandidat gehandelt.
Entgegen seiner Behauptung, dass er erst durch die „Spiegel"-Vorab-Veröffentlichungen vom 12. September 1987 von den Pfeiffer-Aktivitäten erfahren habe, stellte sich heraus, dass er davon spätestens am 7. September 1987 Kenntnis hatte. Und zwar nach einem Treffen Pfeiffers mit dem SPD-Landesvorsitzenden Jansen und dem Rechtsanwalt Peter Schulz im Lübecker Hotel „Lysia". Ganz konsequent zog Engholm seinen Hut und trat am 3. Mai 1993 als Kieler Ministerpräsident und SPD-Vorsitzender zurück. Die Barschel-Affäre hatte damit gleich beiden Volksparteien die größten Hoffnungsträger geraubt.