Noch immer werden Berufskollegen von Kristen Stewart wegen ihren Sexualität benachteiligt. Schauspieler und Synchronsprecher Helmut Tix ist ein Mitglied der Initiative #ActOut, die für Anerkennung kämpft. Er spricht über die Krux des Coming-outs, über Caster und Regisseure – und was er sich für bessere Arbeitsbedingungen wünscht.
Herr Tix, #ActOut fordert mehr Anerkennung für lesbische, schwule, bisexuelle, queere, nicht-binäre und trans* Schauspielerinnen und Schauspieler in Film, Fernsehen und Theater. Sie sind einer von aktuell 301 Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern des #ActOut-Manifestes. Warum?
Schon vor der Unterzeichnung habe ich die Coming-outs mancher Kolleginnen und Kollegen mitverfolgt. Eigentlich bin ich darauf gekommen, als sich Fernsehmoderator Jochen Schropp geoutet hat. Er unterstützt die #ActOut-Kampagne. So bin ich darauf aufmerksam geworden. Ich habe gefragt, wie ich helfen kann und das Manifest unterzeichnet. Was mich bewogen hat, war: Es ist an der Zeit, etwas zu tun, alleine schafft man es nicht. Unter den Unterzeichnern sind auch einige prominente Namen. Aber dass man sich im 21. Jahrhundert überhaupt noch outen muss, finde ich traurig. Heterosexuelle outen sich ja auch nicht. Ich finde es allerdings schade, dass es erst so wenige sind. Eigentlich sollten es viel mehr sein. Doch offenbar fehlt vielen dazu der Mut.
Das ist ein guter Einwand: Von Heterosexuellen erwartet man kein Coming-out. Was aber bringt das Coming-out für jene mit einer anderen sexuellen Identität?
Ich finde, mir persönlich hat es etwas gebracht. Auch wenn meine Agentur, die mich vor Jahren betreute, und eine Casterin mir abgeraten haben mich zu outen, machte ich es trotzdem. Trotz Coming-out kann man alle Rollen spielen, man muss nicht auf schwule Rollen festgelegt sein. Für mich war das Coming-out sehr wichtig, weil ich wollte, dass das Versteckspielen aufhört. Ich wollte meinen Partner auch zu Events mitnehmen und mich nicht in eine Notlüge von einer angeblichen Freundin flüchten müssen. Trotz allem bin ich froh, dass ichs gemacht habe und stehe auch voll dahinter – weil es zeitgemäß ist.
Sie sind Fernseh- und Theaterschauspieler und arbeiten als Synchronsprecher. Was haben Sie bislang für Erfahrungen mit Diskriminierung gemacht?
Ich weiß, dass manche Regisseure und Produzenten keine geouteten Schauspielerinnen und Schauspieler verpflichten. Aus eigener Erfahrung weiß ich aber, dass man schon bei den Castings Diskriminierung erfahren kann. Da ich eine Casterin sehr gut kenne, habe ich zufällig gehört, dass bei einem Casting für eine ZDF-Serie mein Name fiel. Es hieß dann, dass man mich nicht besetzen könne, weil ich schon geoutet bin. Ich habe die Casterin angerufen und ihr gesagt, dass ich es beschämend finde, dass sie das vor einer Kollegin geäußert hat. Auf der anderen Seite gibt es so viele, die nicht geoutet sind und dennoch besetzt werden, obwohl bekannt ist, dass sie nicht heterosexuell sind. Ich kann Rollen spielen wie jeder andere. Das hat überhaupt nichts mit meiner Sexualität zu tun. Die Casterin hat sich letztlich bei mir entschuldigt, was ich ganz gut fand. Tatsächlich hat sie mich ein halbes Jahr später in einem anderen Film besetzt.
Wissen Sie, ob auch Caster geoutete Schauspieler ablehnen?
Die Caster haben mehr ein Problem mit geouteten Männern als Casterinnen. Gott sei Dank arbeiten hierzulande mehr Casterinnen als Caster. Auch bei Castings im Theater spielen sich unangenehme Szenen ab. Ich habe davon gehört, dass Kollegen angemacht und nicht für eine Rolle besetzt wurden.
Warum fällt es Schauspielerinnen und Schauspielern immer noch schwer, ein Coming-out zu wagen? Und woran fehlt es?
Ich glaube, dass eher die Prominenteren ein Problem damit haben sich zu outen. Umso toller finde ich, dass sich Jannik Schümann und der „Tatort"-Kollege Vladimir Burlakov geoutet haben. Burlakovs Coming-out fand ich sehr mutig. Von beiden fand ich toll, dass sie mit ihren Partnern auf dem roten Teppich waren. Das tut uns gut, dass bekanntere Kolleginnen und Kollegen diesen Schritt gehen. Jannik Schümann hat nach seinem Coming-out in „Sissi" mitgespielt. Er hat das brillant gemacht. Egal, ob er schwul oder hetero ist, das hat keinen Einfluss auf seine Schauspielleistung. Ich wünsche mir, dass sich viele andere für ein Coming-out entscheiden. Wenn sich alle outen würden, wären wir vermutlich bei 500, 600. Aber die Leute haben Angst davor, in eine Schublade gesteckt zu werden und dass man ihnen nicht mehr eher konventionelle Rollen, zum Beispiel die eines Familienvaters, zutraut. Ich würde aber weniger bekannten, noch unerfahrenen Schauspielerinnen und Schauspielern nicht dazu raten, weil ich glaube, dass sie sonst keine Rollen bekommen. Auch gute Leute wie die Moderatorin Ramona Leiß haben nach ihrem Outing gar keine Jobs mehr bekommen. Das finde ich schade.
Ist also letztlich mitentscheidend, zu wem sich Caster, Regisseure und Produzenten hingezogen fühlen?
Das glaube ich schon. Von Castern, Regisseuren und Produktionsleitern weiß man ja, wer schwul, lesbisch, bi oder was auch immer ist. Da tut man sich teilweise ein bisschen leichter, weil man die besser einschätzen kann. Ich kenne aber auch zwei Caster, die definitiv schwul sind. Gerade die geouteten Schauspielkolleginnen und -kollegen haben es bei denen wahnsinnig schwer, eine Rolle zu ergattern. Extrem schwer ist es für lesbische, geoutete Frauen, wenn sie auf lesbische Casterinnen treffen. Dabei hörte ich von unheimlich großen Spannungen am Set. Von zwei lesbischen, geouteten Synchronsprecherinnen, mit denen ich befreundet bin, hörte ich, dass sie von einer lesbischen Synchronleitung richtig schikaniert worden sind. Als ich allerdings mit ihr zusammengearbeitet habe, war sie sehr nett zu mir.
Das ist überraschend, dass es keinen Zusammenhalt gibt.
Ich finde es wirklich schade, dass man sich nicht zusammenschließt und dagegen vorgeht, weil man so nicht arbeiten kann. Das spricht sich herum, wenn man mit einem Regisseur eine Affäre hat. Ich wünsche mir mehr Zusammenhalt und Respekt. Manche, die sich geoutet haben, sind bei den Proben von Hetero-Regisseuren angegangen worden. Das darf einfach nicht sein. Nur weil sich jemand geoutet hat, kann man nicht die Leute so bloßstellen. Ganz ehrlich: Wenn man irgendwas finden will – sei es Unpünktlichkeit oder eine Schauspielschwäche –
findet man immer einen Vorwand, um ihn aus dem Ensemble rauszujagen. Das spricht sich natürlich negativ herum, wenn der Regisseur steif und fest behauptet, dass derjenige so schlecht war und seinen Text nicht sprechen konnte.
Haben Sie das selbst am Theater erlebt?
Ich selbst habe das beim Theater erlebt. Ein Regisseur sprach mich an und meinte: „Wir können uns doch heute Abend treffen und was zusammen essen gehen." Ich sagte zu ihm: „Ich habe meine eigene Theaterwohnung. Wir haben doch bald Premiere." Ich versuchte ihm klarzumachen, dass das nicht geht, weil ich mit einem Mann zusammen bin. Ich trenne Beruf und Privatleben. Dann sagte er zu mir, dass ich irgendwann mal unpünktlich war und meinen Text nicht richtig konnte. Obwohl ich mich gegen diese Behauptung wehrte und meine Kolleginnen und Kollegen das ebenfalls nicht bestätigen konnten, kam er damit durch. Drei Tage vor der Premiere beendete er die Probenarbeit mit mir.
Ihre Kolleginnen und Kollegen, die das Manifest unterzeichnet haben, sagen, dass sie keine homogene Gruppe sind. Einige von ihnen sind auf dem Dorf oder in der Großstadt aufgewachsen, stammen aus Migrantenfamilien, sind People of Colour oder Menschen mit Beeinträchtigung. Woran liegt das, dass sie im Filmbusiness etabliert sind, aber immer noch nicht richtig wahrgenommen werden?
Der Zusammenhalt innerhalb der Gruppe ist zwar größer geworden, aber man müsste mehr dafür sorgen, in der Öffentlichkeit stärker wahrgenommen zu werden. Dafür gibt es so viele Möglichkeiten –
zum Beispiel über Tik Tok, Instagram oder Facebook. Diese Kanäle lesen sehr viele Leute. Als ich zum Beispiel im Juli auf dem CSD in München war, habe ich das gepostet. Das hat mit meinem Outing zu tun. Ich fände es gut, wenn man das Coming-out mehr kundtut. Zum Beispiel, dass sich Vladimir Burlakov zusammen mit seinem Partner Hand in Hand auf dem roten Teppich gezeigt hat. Dazu gehört natürlich viel Mut. Auch den Mut zu haben öffentlich dazu zu stehen, dass man mit einem gleichgeschlechtlichen Partner zusammen ist, halte ich für wichtig. Mein Wunsch ist, dass die Vielfalt der sexuellen Identitäten irgendwann selbstverständlich wird und niemand sich mehr zu outen braucht –
das ist ein Unding. Dieses Schubladendenken gegenüber schwulen und lesbischen Schauspielern und Schauspielerinnen muss endlich aufhören.
Die #ActOut-Unterstützer sagen: Wir müssen nicht das sein, was wir spielen. In der Komödie „Happiest Season" spielt Kristen Stewart Abby, die sich der Familie ihrer Freundin als Lebensgefährtin vorstellen möchte. Doch Harper ist noch nicht so weit. Sollten bisexuelle Schauspielerinnen – im Fall von Kristen Stewart – auch lesbische Rollen spielen oder auch umgekehrt?
Natürlich kann sie Szenen und Rollen sowohl mit einer Frau als auch mit einem Mann spielen. Selbst wenn sie nur auf Männer stehen würde, kann sie auch eine Liebesszene mit einer Frau spielen. Es gibt viele tolle Frauenszenen im Film, aber die Schauspielerinnen müssen deswegen nicht gleich lesbisch sein. Homosexuelle Rollen muss ja jemand spielen. Ob man diese als homosexueller oder heterosexueller Mann spielt, ist gleichgültig. Allerdings fürchten sich manche davor, dass sie in einer Schublade drin sind, wenn sie eine homosexuelle Rolle annehmen. Die zwei deutschen Darsteller Max Riemelt und Hanno Koffler haben doch im Film „Freier Fall" ein schwules Paar gespielt und waren sehr überzeugend. Warum auch nicht? Muss man erst überlegen, solch eine Rolle anzunehmen? Was hat das für Konsequenzen?
Haben also Ihre Kolleginnen und Kollegen Scheu davor, Menschen mit anderen sexuellen Identitäten zu spielen?
Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich mich auch anfangs davor gescheut habe, als ich noch nicht geoutet war. Als ich am Theater ein Engagement hatte, sollte ich eine Kussszene mit einem Mann spielen. Da habe ich gedacht was danach kommt, und ob ich in einer Schublade drin bin. Das hat mir aber nicht geschadet. Manche machen sich Sorgen darüber, dass sie, wenn sie eine Lesbe oder einen Schwulen spielen, anschließend in einer Schublade landen und ob sie überhaupt noch an Rollen rankommen. Leider ist die Sorge gar nicht so unberechtigt, wenn man sieht wie einige Caster und Regisseure agieren.
Diese Scheu kennen Sie auch von Ihren Kolleginnen und Kollegen ganz aktuell?
Ich kenne zum Beispiel einen Schauspieler, der vor ein paar Jahren bei „Soko München" einen Part eines schwulen Pärchens spielte und seitdem keine Rolle mehr kriegt. Das kann ich nicht verstehen, weil er ein sehr guter Schauspieler ist. Der kellnert jetzt und arbeitet auf der Wiesn – das ist eigentlich traurig.
Was wünschen Sie sich, damit Ihre Schauspielkollegen nicht mehr ihre sexuelle Identität vor der Öffentlichkeit geheim halten müssen?
Ich wünsche mir, dass sich mehr outen und #ActOut anschließen. Die, die bereits ein gutes Standing haben, sollten mehr Interviews geben und offen zu ihrem Schwul- und Lesbischsein stehen. Auch sollten mehr Social Media nutzen. Eine andere Idee ist, dass man sich zusammenschließt und diejenigen boykottiert, die geoutete Personen nicht besetzen.