Im Naumburger Dom an der Saale in Sachsen-Anhalt fasziniert die geheimnisvolle Figur der Stifterin Uta. Doch in der Umgebung haben Archäologen auch Zeugnisse noch viel früherer Kulturen ausgegraben. Das Ringheiligtum in Pömmelte gilt als deutsches Stonehenge.
Dunkel ist es in der Schatzkammer: Es braucht seine Zeit, bis sich die Augen an das diffuse Dämmerlicht gewöhnen. Schwerter, Beile, Meißel und Armreife sind hier ausgestellt, von den Archäologen datiert auf ein Alter von etwa 3.600 Jahren. All das wurde einst vergraben mit einem einzigartigen Kultobjekt, um das sich hier alles dreht. Dorthin wandert jetzt der Blick, wird magisch angezogen von jener Scheibe, die aus ihrem Inneren heraus zu leuchten scheint. Gold glänzt, tiefgrün schimmert die Malachit-Patina der Bronze. Sonne, Mondsichel, Sterne lassen sich erkennen – sowie ein Schiffchen, das über diesen Himmel fährt.
Gestaunt wird still. Man kann sich rühren lassen, ohne den angeblich zwei Kilo schwere Diskus berühren zu dürfen. Natürlich täten das viele liebend gerne, statt das Kunstwerk nur mit ihren Augen zu streicheln. Denn im Original wirkt die Himmelsscheibe von Nebra, ausgestellt im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle an der Saale, noch beeindruckender als auf Fotos. Doch was genau hat man da eigentlich gefunden? Wer hat die Bronzescheibe einst geschmiedet? Und was war ihr Zweck? Schließlich ist es mehr als ein prähistorischer Zwinkersmiley.
Kultobjekt konnte vor Räubern gerettet werden
Der Weg zur Himmelsscheibe führt vorbei an einem Neandertaler, der in der Pose des „Denkers" von Auguste Rodin ein Mammut betrachtet. Die Botschaft: Man will im Museum aufräumen mit der Vorstellung von minderbemittelten Urmenschen. Das passt auch zu dem, was Kuratorin Regine Maraszek über die Bronzezeit erzählt. „Die Himmelsscheibe ist die erste abstrakte Darstellung konkreter Himmelsphänomene: Es ist kein älteres Bild des Kosmos bekannt."
Sonne (oder Vollmond), Mondsichel, dazu sieben Sterne, die sich als die Plejaden identifizieren lassen: Die Himmelsscheibe hatte eine Botschaft – für jene Priester oder Herrscher, die den Code kannten, um sie entziffern zu können. „Es dürfte ein astronomisches Instrument gewesen sein, um Termine im März und Oktober exakt zu bestimmen, inklusive eines Schaltmonats zur Synchronisation von Mond- und Sonnenjahr", vermutet Regine Maraszek. Plötzlich hatte man Macht über die Zeit: Möglich ist, dass mit der Himmelsscheibe über den Zeitpunkt der Vorbereitung der Äcker im Frühling und der Ernte im Herbst entschieden wurde.
Die Unesco hat den Fund in die Liste des Weltdokumentenerbes aufgenommen. Denn während in Ägypten die Pyramiden entstanden und auf Kreta die Minoer prunkvolle Paläste bauten, gab es auch in Mitteleuropa eine besondere Kultur. Die sogenannten Aunjetitzer beschafften Gold und Zinn für ihre Himmelsscheibe aus Cornwall in England und Kupfer aus den Alpen. Ist der goldene Bogen tatsächlich eine Barke, würde das auf eine Verbindung nach Ägypten hindeuten. Wie weit der Horizont der Menschen reichte und welche Kontakte es gab, wird aktuell in einer Sonderausstellung thematisiert.
Und in der Nähe von Nebra, wo die Himmelsscheibe einst vergraben wurde, erzählt ein Besucherzentrum die nicht minder spannende Geschichte, wie das Kultobjekt von Raubgräbern entdeckt und trotzdem gerettet werden konnte. Die fruchtbare Erde rund um Magdeburg erlaubte es den Aunjetitzern, um etwa 2.000 v. Chr. große Siedlungen zu bauen. In Pömmelte nahe der Elbe müssen einst Hunderte von Langhäusern gestanden haben – die Reste der Pfähle werden heute von Archäologen ausgegraben, zusammen mit allerlei Geschirr und vielen Gräbern.
Zu sehen ist aber auch das „Ringheiligtum", das aussieht wie ein aus Holz gebautes Stonehenge und wohl zur Himmelsbeobachtung genutzt wurde. Der Komplex ist ähnlich alt und ebenso groß wie die deutlich berühmtere prähistorische Stätte in England. Nur hat das Holz natürlich nicht viele tausend Jahre überdauert: Was man heute dort erlebt, ist eine Rekonstruktion.
Die Hinterlassenschaften der Aunjetitzer sind spektakulär, doch es gibt im Süden Sachsen-Anhalts auch kulturelle Attraktionen aus dem Hochmittelalter. Wer auf der Straße der Romanik unterwegs ist, stößt auf den gewaltigen Naumburger Dom. Hier stand im Chorraum einst ein Altar von Lucas Cranach dem Älteren. 1541 wurde der Mittelteil zerstört. Jetzt, nach rund 500 Jahren, ist der Altar wieder komplett, durch ein Marienbild des Leipziger Künstlers Michael Triegel. Ob dadurch der Entzug des Welterbetitels droht? Noch streiten die Experten.
Mönche ließen Wein anbauen
Die Blicke der Besucher im Chorraum wandern aber meist gleich zur Reihe der Stifterfiguren, wo sie die Statue der berühmten Uta suchen. Kühl schaut die Markgräfin hinter ihrem Mantelkragen hervor, sie wirkt gleichermaßen anmutig und geheimnisvoll, könnte als keusche Heilige ebenso durchgehen wie als Verführerin. Ihrem Mann schenkt sie keinen Blick – flirtet sie stattdessen mit ihrem Schwager auf der gegenüberliegenden Seite? Die „schönste Frau des Mittelalters" war anscheinend auch das Vorbild für die böse Stiefmutter in Walt Disneys Verfilmung von „Schneewittchen".
Statt vergifteten Äpfeln wachsen entlang der Flüsse Saale und Unstrut bis heute deutlich bekömmlichere Früchte. Das verdankt man Otto I. dem Großen: Die Region um das Örtchen Memleben war im zehnten Jahrhundert der Mittelpunkt Europas, wenn der legendäre Herrscher hier Hof hielt und Gesandte empfing. In Aachen hatte Otto I. den Königsthron bestiegen, war in Rom zum römisch-deutschen Kaiser gekrönt worden. Nach seinem Tod in Memleben stiftete dessen Sohn Otto II. ein Benediktinerkloster, das sich zu einer bedeutenden Reichsabtei entwickelte. Heute ist das Kloster ein verwunschenes Denkmal.
Die Mönche sorgten nicht nur für das Seelenheil der Region, sondern brachten auch die Landwirtschaft in Schwung – und ließen Wein anbauen. Über 10.000 Hektar waren hier zu Hochzeiten einst mit Reben bepflanzt, übrig geblieben sind nach Kriegen, Wetterkapriolen und der Reblausplage weniger als 800. Heute ist Saale-Unstrut das nördlichste der 13 Weinanbaugebiete Deutschlands. Die Trauben der andernorts als langweilig verschrienen Rebsorte Müller-Thurgau werden hier zu feinen, knackigen Weinen ausgebaut, weil der Ertrag so viel geringer ist als im Flachland. Auch Weißburgunder, Riesling und Silvaner aus den Terrassenlagen an den Steilhängen sind den Probeschluck wert.
Was der verwitterte Buntsandstein und Muschelkalk im Wein an Nuancen hervorbringt, lässt sich im Städtchen Freyburg an der Unstrut probieren, wo in einem alten Speicher das schicke Weinhotel „Freylich Zahn" eröffnet hat. Unter dem Label „Breitengrad 51" (die Lage nördlich der bekannten Weinanbaugebiete ist ihr Markenzeichen) kooperieren acht Weingüter und schenken ihre Tropfen im Gewölbekeller aus.
Der Blickfang an der Hauswand sind alte Holzfässer, in die launige Lebensweisheiten geschnitzt worden sind. Eine davon passt perfekt zu dieser Region, die sich so sehr mit den Phänomenen des Himmels beschäftigt: „Iss und trink, sei fröhlich hier auf Erd – denk nur nicht, dass es besser werd."