Gleich drei Wissenschaftler haben den Nobelpreis für Chemie 2022 erhalten. Sie entwickelten eine Methode, die bereits vielfach in Medizin, Pharmazie und Industrie eingesetzt wird. Mit der Click-Chemie lassen sich aus einfachen Bausteinen komplexe Moleküle bilden.
Die Welt der Chemie ist ein komplexes, für den Normalbürger kaum verständliches Universum. Dessen wissenschaftliche Protagonisten sind seit Langem von dem Wunsch beseelt, immer kompliziertere Moleküle zu entwickeln. Mit dem Nobelpreis für Chemie 2022 wurde die Arbeit von drei Forschenden honoriert, denen es gelungen ist, schwierige Prozesse mit einer als geradezu revolutionär bezeichneten Methode namens Click-Chemie einfacher zu machen. „Beim diesjährigen Chemiepreis geht es darum, Dinge nicht zu verkomplizieren, sondern mit dem zu arbeiten, was leicht und einfach ist“, so Prof. Johan Åqvist, der schwedische Vorsitzende des Nobelkomitees für Chemie. „Funktionelle Moleküle können sogar auf einem einfachen Weg aufgebaut werden.“ Die Click-Chemie biete einen sehr effektiven Weg, Moleküle miteinander zu verbinden, es brauche dabei nur „klick“ zu machen „und die Moleküle sind aneinander gekoppelt“, vergleichbar mit einer Gürtelschnalle oder Legosteinen. Ein Teil passt exakt zum anderen, wobei bei der Click-Reaktion bevorzugt Bindungen von Kohlenstoffatomen mit sogenannten Heteroatomen, sprich Nicht-Kohlenstoffatomen, im Blickpunkt stehen.
Die deutsche Biochemikerin Helma B. Wennemers, die als Professorin für Organische Chemie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich arbeitet, hat in einem Interview mit der „Neuen Zürcher Zeitung“ das Prinzip der Click-Chemie bewusst etwas vereinfacht: „Klick-Chemie bedeutet, dass zwei bestimmte Moleküle miteinander reagieren, und zwar nur diese beiden, auch wenn sie sich in einer großen Menge anderer Moleküle befinden. Ich gebe Ihnen ein Beispiel für das Konzept mit dem ‚Klick‘: In einem Tanzsaal fühlen sich zwei Tanzpartner sehr voneinander angezogen und lassen alle anderen links liegen. Es klickt, und sie bilden eine Paar.“
Vergleichbar mit Legosteinen
Was geradezu verblüffend unkompliziert klingt, hat längst für Furore in der Medizin, Pharmazie und Industrie gesorgt, weil sich durch das Zusammenschnappen von zwei Bausteinen zu einem neuen Molekül ganz gezielt eine Substanz für ein definiertes Medikament oder ein Inhaltsstoff für ein bestimmtes Material erzielen lässt. Ähnlich wie in der Natur lassen sich in der Click-Chemie durch das gesteuerte Auslösen von Reaktionen aus kleinen Einheiten zielgerichtet und schnell funktionelle Biomoleküle erschaffen, wobei Kohlenstoff-Gerüste die Basis darstellen. Die Click-Chemie erfüllt wünschenswerterweise auch Anforderungen, die früher beim Aufbau von Biomolekülen im Labor nur unzureichend und mit viel mehr Zeit und Aufwand möglich waren: hohe Ausbeuten, keine unerwünschten Nebenprodukte und keine störende Interaktionen mit anderen Molekülen. Laut der Würdigung des Nobelpreiskomitees habe sich die Click-Chemie schon sehr bewährt bei der Entwicklung von Arzneimitteln oder komplizierten Wirkstoffen in der Pharmabranche sowie in der industriellen Materialforschung, besonders bei der Produktion von Polymeren. Außerdem komme die Click-Chemie schon im weltweiten Gesundheitswesen bei der Diagnostik zum Einsatz, um Vorgänge in Zellen zu erforschen und biologische Prozesse zu verfolgen, und habe auch die Zielgenauigkeit von Krebsmedikamenten verbessern können. Mit der Click-Chemie haben die drei neuen Preisträger, so das Nobelpreiskomitee, die Chemie in die „Ära des Funktionalismus geführt. Dies bringt den größten Nutzen für die Menschheit.“
Als Erfinder der Click-Chemie gilt der 1941 in Philadelphia geborene US-amerikanische Chemiker Karl Barry Sharpless, der derzeit als Professor am Scripps Research Institute im kalifornischen La Jolla tätig ist und dieses Jahr nach 2001 (damals für seine Arbeiten über sogenannte stereoselektive Oxidationsreaktionen) schon seinen zweiten Nobelpreis für Chemie erhielt. Er „brachte den Ball ins Rollen“, so das Nobelpreiskomitee, und habe „das Konzept der Click-Chemie geprägt“. In einem 2001 im Magazin „Angewandte Chemie“ veröffentlichten Aufsatz führte er nicht nur zum ersten Mal den Begriff „Click-Chemie“ ein, sondern forderte für die Herstellung von Molekülen in der organischen Chemie auch einen kompletten Neuansatz. Er schlug einfachere Synthesemethoden vor, die nur einer grundlegenden Prämisse folgen sollten: Jegliche Suche nach neuen medizinischen Wirkstoffen sollte auf Moleküle beschränkt bleiben, die leicht herzustellen seien. „Sharpless forderte damit kaum weniger als eine Umorientierung der bisherigen Chemie. Weg von Carbonylverbindungen, weg von Kohlenstoff-Kohlenstoff-Bindungen, weg von kunstvoll optimierten Reaktionsbedingungen und weg von miesen Ausbeuten und aufwendiger Trennung. „In den Werkzeugkasten der Click-Chemie kommen nur perfekte Reaktionen“, so spektrum.de in einem lesenswerten Kommentar zu Sharpless’ Forderungen.
Sharpless „brachte den Ball ins Rollen“
Bald danach hatte Sharpless eine vielversprechende Synthesereaktion gefunden, die sogenannte Azid-Alkin-Cycloaddition, die auch als 1,3-dipolare Cycloaddition bezeichnet wird. Bei ihr reagiert ein Azid, bestehend aus einer Kette aus drei Stickstoffatomen, in einem einzigen schnellen Schritt mit einer Doppel- oder Dreifachbindung zwischen zwei Kohlenstoffatomen, dabei entsteht ein stabiler Fünfring. Nun kam der dänische Chemiker Morten P. Meldal (Jahrgang 1954) ins Spiel, der heute als Professor für Nanochemie am Nano Science Center der Universität Kopenhagen forscht. Er hatte etwa zeitgleich und unabhängig von Sharpless schon im Jahr 2001 erkannt, dass sich die Azid-Alkin-Cycloaddition durch Zugabe eines Kupferkatalysators deutlich effizienter gestalten ließ. Es war die Geburtsstunde des Click-Chemie-„Kronjuwels“, das auf den Namen „kupferkatalysierte Azid-Alkin-Cycloaddition“ getauft wurde und inzwischen die Basis für chemische Synthesen bei der Herstellung von Arzneimitteln, Kunststoffen und vielfältigen weiteren Materialien in Medizin, Technik und Chemie geworden ist. Meldal wurde dank seiner Entdeckung zum zweiten Preisträger des Chemie-Nobelpreises 2022.
Und es gibt mit der 1966 in Boston geborenen US-Biochemikerin Carolyn Bertozzi, die heute als Professorin an der Stanford University tätig ist, noch eine Chemie-Nobelpreis-Trägerin 2022. Das Preisgeld in Höhe von zehn Millionen Schwedischen Kronen, umgerechnet rund 923.00 Euro, musste diesmal also dreigeteilt werden. „Barry Sharpless und Morton Meldal haben den Grundstein für eine funktionelle Form der Chemie – die Click-Chemie – gelegt“, so das Komitee, „Carolyn Bertozzi hat die Click-Chemie in eine neue Dimension geführt und damit begonnen, sie in lebenden Organismen einzusetzen.“ Bertozzi beschäftigt sich schon seit vielen Jahren mit der Untersuchung von schwer fassbaren, verzweigten Zuckermolekülen namens Glykanen auf der Oberfläche von Zellen. Bislang gab es kaum Möglichkeiten, das Funktionieren dieser Glykane, die eine wichtige Rolle beim Stoffwechsel der Zellen spielen, zu erkunden. Bertozzi hat dafür eine von ihr als „bioorthogonale Reaktionen“ bezeichnete Abwandlung der Click-Chemie entwickelt, wobei sie dank eines chemischen Tricks auf den für die Zellen tödlichen Kupferkatalysator verzichten konnte. Weshalb die Click-Chemie in der Variante „spannungsgeförderte Azid-Alkin-Cycloaddition“ nun auch in lebenden Organismen angewendet werden kann. Vielversprechend ist die bioorthogonale Chemie auch zur Verwendung in der Krebstherapie, etwa zur Früherkennung von Tumoren oder zur zielgenauen Entwicklung von Krebsmedikamenten. Ein spezifischer Antikörper, der Tumorzellen zunächst aufspürt und dann per Click-Reaktion zur Zerstörung der Krebszellen beitragen soll, ist schon in der klinischen Testphase. Auch zum besseren Verständnis von Autoimmunkrankheiten oder zur Entwicklung neuer Antibiotika könnten Bertozzis Forschungen erheblich beitragen.