Um die deutsch-französischen Beziehungen hat es schon besser gestanden. Die Bevollmächtigte für die kulturellen Beziehungen, die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger, will zum 60. Jahrestag neuen Elan in die Freundschaft bringen.
Frau Rehlinger, Ihre Berufung zur Bevollmächtigten war nicht von vornherein ausgemachte Sache, auch andere hatten Interesse an dieser Aufgabe. Warum ist dieses Amt so begehrt?
Es zeichnet das Amt aus, dass gleich mehrere Bewerberinnen und Bewerber Lust darauf hatten und es für sich und die deutsch-französische Freundschaft als ein erstrebenswertes Amt angesehen haben. Vielleicht liegt es auch daran, dass die deutsch-französische Freundschaft gerade jetzt, wo viele Antworten auf die großen Fragen nur europäisch zu geben sind, nochmal eine ganz besondere Bedeutung hat. In diesem Zusammenhang daran mitarbeiten zu dürfen, ist eine große Freude und Ehre. Dass ich das jetzt machen darf, ist natürlich aus saarländischer Sicht besonders schön, und dass ich damit starten darf im 60. Jubiläumsjahr des Elysée-Vertrages, ist besonders schön. Das Saarland ist prädestiniert, die deutsch-französische Freundschaft in diesen anstrengenden Zeiten hochzuhalten. Das ist durchaus bekannt, und dem wollen wir jetzt auch gerecht werden.
Das Amt ist in der Öffentlichkeit vielleicht nicht so prominent bekannt. Deshalb die Frage: Welche Spielräume und Möglichkeiten bieten sich dadurch?
Von der Bezeichnung her ist es die Kulturbevollmächtigte der Bundesrepublik Deutschland, im Staatsgefüge im Rang einer Bundesministerin und in der Rangfolge auf Platz vier (nach Bundespräsident, -kanzler und -außenministerin, Anm. d. Red.). Das zeigt schon, dass es im deutsch-französischen Verhältnis eine sehr große Bedeutung hat. Warum es das überhaupt gibt, liegt daran, dass es im deutschen föderalen System im Grunde keine deutsche Kulturministerin oder Kulturminister gibt, man aber gegenüber Frankreich sprech- und arbeitsfähig sein wollte als Bundesrepublik Deutschland. Gleichzeitig wollte man Frankreich nicht zumuten, sich mit 16 Länderministerien abstimmen zu müssen. Bildung und Kultur sind in Deutschland ja Ländersache. Deshalb gibt es diese Funktion, um die Dinge zwischen Deutschland und Frankreich koordinieren zu können und mit den Ländern abzustimmen.
Jetzt ist Anke Rehlinger eher dafür bekannt, die „harten“ Themen wie Wirtschaft und Standortpolitik anzupacken, weniger die Kultur. Passt das zusammen?
Natürlich. Vor allem deshalb, weil ich der festen Überzeugung bin, dass man über das Thema Kultur sehr schnell zueinander finden kann, und das wiederum dazu führt, dass man zusammen auch Themen berät, wo man nicht immer per se so einig gewesen ist in der Geschichte. Ein Beispiel ist sicher die Energiepolitik. Aber wenn man Arbeitsfelder hat, wo man sich gut versteht, wo man auch langjährig aufgebaute und gut funktionierende Kooperationen hat, ist das ein ganz wichtiger Raum, der auch die Möglichkeit bietet, sich anderen politischen Themen zu nähern. Dazu will ich auch gerne einen Beitrag leisten. Wenn ich mir das Kulturprogramm anschaue, das wir jetzt schon für das Élysée-Jahr 2023 haben, dann sind das ganz tolle Möglichkeiten. Ich würde mir wünschen, dass der Veranstaltungskalender der Saarländer noch etwas französischer und der französische noch etwas saarländischer wird.
In den letzten Jahren war oft die Rede davon, dass der deutsch-französische Motor stottert, eine gewisse Entfremdung ist unverkennbar. Muss neues Vertrauen aufgebaut werden?
Die deutsch-französische Achse muss funktionieren, das hat sie in der Geschichte eigentlich auch immer. Das war bisweilen an der ein oder anderen Stelle ein nicht immer ganz einfacher Weg. Aber ich deute auch den Umstand, dass man sich nicht allzu schnell auf einen Formelkompromiss einlässt, als einen besonderen Ausdruck von Ernsthaftigkeit in der Sache. Das ist auch das, was wir brauchen. Wir brauchen nicht nur schöne Sätze auf dem Papier, sondern Einigkeit, die stark macht, und Einigkeit, die dazu führt, dass man in Europa gemeinsam voranschreitet. Das geht nur, wenn man miteinander ernsthaft um die Positionen gerungen hat. Deshalb glaube ich, dass die jüngsten leichten Verstimmungen ein Weckruf gewesen sind, sich mit Ernsthaftigkeit um die wichtigen Fragen zu bemühen. Ich war in der Woche in Paris, als auch Minister Habeck dort war, die Außenministerin war dort, der Verkehrsminister war eine Woche vorher da. Élisabeth Borne (die französische Premierministerin) war bei Kanzler Scholz, wo es um Vereinbarungen zu Gas und Strom ging. Hier spielt das Saarland rein technisch betrachtet auch eine prominente und spannende Rolle. Insofern ist es für beide Seiten harte Regierungsarbeit. Es geht nicht nur darum, nett zueinander zu sein, sondern wir brauchen konkrete Lösungen. Dass daran hart gearbeitet wird, den Eindruck habe ich aus all meinen Gesprächen in Paris mitgenommen.
Äußere Bedrohungen, wie wir sie derzeit erleben, sollten eigentlich dazu führen, dass man enger zusammenrückt. Zunächst hat man aber unterschiedliche Wege und Ansätze gesehen, mit den Bedrohungen umzugehen. Ist da inzwischen etwas in Gang gekommen?
Wir befinden uns ja seit geraumer Zeit in einer Dauerkrise, erst Corona und jetzt der Krieg Putins gegen die Ukraine. Das sind härteste Zeiten in Europa. Vorher gab es die Finanzkrise, die war aber einigermaßen isoliert und schnell in den Griff zu bekommen. Wir haben es mit Umständen, insbesondere dem Krieg, zu tun, die nicht irgendwann einmal enden und danach kehren wir zum Ausgangspunkt zurück. Das wird die Welt sehr nachhaltig verändern. Das Krisenmanagement hat in den letzten Wochen und Monaten alle sehr gefordert, auch erst einmal national die Dinge in eigener Verantwortung zu klären. Dabei hat vielleicht der grenzüberschreitende, der europäische Aspekt nicht immer an allererster Stelle gestanden. Aber wenn wir das kurzfristige Krisenmanagement hoffentlich bald hinter uns lassen können, dann werden wir schnell erkennen, dass wir für die Zukunft lang anhaltende Antworten brauchen, die man europäisch und international geben kann. Das wird die zentrale Herausforderung, um auch in Zukunft handlungsfähig zu sein. Deutschland und Frankreich werden dabei mit Sicherheit eine Rolle haben, die man als Motor beschreiben kann. Keine der Herausforderungen wird man allein national lösen können. Wenn es gut werden soll, dann brauchen wir für all das, was vor uns liegt, eine europäische oder sogar internationale Verantwortung.
Wir feiern jetzt im Januar 60 Jahre Élysée-Vertrag. Der ist durch den Aachener Vertrag mit neuen Aspekten fortgeschrieben worden, beispielsweise hinsichtlich der Bedeutung und Möglichkeiten der Grenzregionen. Inwieweit wirkt sich das bereits in der Praxis aus?
Ich glaube, es ist jetzt ein guter Anlass, noch mal in den Aachener Vertrag hineinzuschauen. Er enthält viele kluge Ansätze. Jetzt müssen wir fragen, was wir erreicht haben, und ob Strukturen und Finanzierungen zu den klugen Ansätzen passen. Und wir müssen uns fragen, ob wir das, was im Aachener Vertrag aufgeschrieben wurde, auch genauso weiterhin wollen, und was wir dafür tun müssen. Dafür brauchen wir eine sehr ehrliche Debatte. Damit das alles, was dort klug aufgeschrieben wurde, Realität wird, müssen wir auch noch mal prüfen, ob die entsprechenden Entscheidungs- und Finanzierungsstrukturen noch dazu passen.
Das Saarland ist das französischste aller Bundesländer. Sichtbarster Ausdruck davon ist die Frankreichstrategie. Trägt sie in die Zukunft?
Ich halte die Frankreichstrategie nach wie vor für einen sehr guten Ansatz, sowohl im Verhältnis Deutschland-Frankreich als auch aus Sicht unseres Bundeslandes. Sie kann helfen, aus einem Alleinstellungsmerkmal eine Erfolgsgeschichte zu machen. Auch hier gilt dasselbe wie beim Aachener Vertrag: Wir müssen schauen, ob wir die Ziele, die in der Frankreichstrategie formuliert sind, mit den derzeitigen Maßnahmen erreichen können. Etwa beim Thema Mehrsprachigkeit. Wir machen aber auch noch gute Fortschritte. Wir haben in den letzten vier Jahren weitere 15 Kitas als Élysée-Kitas zertifiziert. Damit haben wir im Saarland 83 Einrichtungen. Bei 196 Einrichtungen bundesweit befinden sich damit 43 Prozent im Saarland. Das ist sicherlich schon gut, aber nicht gut genug, um sicher sagen zu können, dass wir das Generationenziel der Mehrsprachigkeit erreichen werden. Ich glaube, dass auch in der internationalen Aufstellung, die wir in der Wirtschaft erleben, eine große Chance liegen kann. Ich fände es gut, wenn wir dort noch etwas wirkmächtiger auftreten, als es in der Vergangenheit der Fall war. Dazu brauchen wir ein paar neue Ideen und kreative Konzepte, damit das, was als richtig erkannt ist, auch richtig gut umgesetzt wird.
Ein zentraler Punkt, der auch international registriert worden ist, war eben dieser Ansatz der Mehrsprachigkeit. Der Schwerpunkt auf Französisch ist aber bis heute nicht unumstritten.
Es geht uns nicht darum, das Englische durch das Französische zu ersetzen. Gut aufgestellt sind wir, wenn wir beides hinbekommen. Gute Kenntnisse in beiden Sprachen – das kann ein echter Standortvorteil sein. Mehrsprachigkeit ist für junge Menschen heutzutage ein echter Gewinn für die Zukunftsplanung. Diese Möglichkeit will ich den Jugendlichen in unserem Land bieten.
Ein Problem ist auch die grenzüberschreitende berufliche Ausbildung. Unterschiedliche Systeme in beiden Ländern sind nach wie vor in vielen Bereichen große Hemmnisse. Sind dort Fortschritte in Sicht?
Wir müssen uns auch unter dem Aspekt Fachkräftesicherung ansehen, wo es nach wie vor Schwierigkeiten gibt, etwa bei der Anerkennung von Abschlüssen; wo wir uns das Leben etwas leichter machen können und damit Qualitätssicherung in unsere Region bringen. Ich habe darüber auch mit dem französischen Gesundheitsminister François Braun gesprochen. Der kommt aus der Region (aus Metz, Anm. d. Red.) und kennt die Verhältnisse. Wir haben uns ohnehin darauf verständigt, die grenzüberschreitende gesundheitliche Versorgung zu intensivieren, das Modell Gesundheitskooperation Saar-Moselle soll verstetigt werden, andere sollen hinzukommen. Was in der grenzüberschreitenden Notfallversorgung funktioniert, sollte auch in anderen Bereichen funktionieren. Da ist das deutsche Gesundheitssystem mit den unterschiedlichen Akteuren nicht so einfach. Andere Bereiche wie IT, KI und Cyber Security wären auch Möglichkeiten, die Zusammenarbeit voranzubringen. Ich glaube, man wird nur dann international wettbewerbsfähig sein können, wenn man sehr sichtbar aufgestellt ist in diesen Bereichen. Ein anderes Thema ist Wasserstoff. Da haben wir ja schon ein sehr konkretes Projekt, mit dem wir in der Grenzregion zeigen können, dass bei uns schon das funktioniert, worüber anderswo noch diskutiert wird. Wir sind in der realen Welt hier schon sehr viel weiter, als es die politischen Debatten erkennen lassen.
Man hat ohnehin des Öfteren den Eindruck, dass Paris und Berlin sehr weit weg sind von den Realitäten in den Grenzregionen, in denen Europa gelebt wird.
Das liegt in der Sache. Wir kennen die realen Verhältnisse, weil es unser Lebens- und Arbeitsraum ist. Ich brauche mir dazu keine Vermerke aufschreiben zu lassen. Wir müssen nur vor die Haustür treten und sind dann mitten drin in dem, wovon andere vielleicht nur lesen können. Deswegen braucht es diese Grenzräume: um Rückmeldungen zu bekommen, wo es schon gut ist, aber auch, wo es noch besser werden muss.
Partnerschaften brauchen auch Symbole. Ein großes Symbol ist Olympia 2024 in Paris. Das werden sich die Franzosen nicht nehmen lassen. Sie sehen darin aber auch gemeinsame Chancen. Welche?
Wir haben das ganz große Feld der Kultur, in dem wir schon ganz viel machen. Aber neben Kultur ist auch Sport etwas, das sehr viel verbinden kann. Die Olympischen Spiele in Paris haben den entscheidenden Vorteil: Sie finden auf europäischem Boden und in einer Demokratie statt. All die Diskussionen, die wir jetzt bei der Fußballweltmeisterschaft in Katar erlebt haben, werden das Sportereignis in Paris nicht überlagern. Dort wird der Sport und werden die Sportlerinnen und Sportler im Mittelpunkt stehen. Dass sie in so großer Nähe zu uns stattfinden, ist ein ganz großer Vorteil, den wir nutzen wollen im deutsch-französischen Sinne, aber auch für das Saarland, und natürlich in erster Linie für die Sportlerinnen und Sportler und die Vereinslandschaft. Ich könnte mir ein olympisches Dorf vorstellen, eine Fanmeile bei uns. Und wenn die Spiele in Paris gut laufen, könnte das möglicherweise noch mal eine Motivation sein für eine deutsche Bewerbung, möglicherweise für das Jahr 2036. Das wäre auch historisch spannend, wenn die ganze Welt in einem anderen Deutschland zu Gast wäre als vor hundert Jahren.
Bei den deutsch-französischen Beziehungen wird ohnehin viel von historischen Bedeutungen gesprochen. Immer noch zu Recht?
Die deutsch-französischen Beziehungen sind in Europa besondere, aber auch das Saarland hat eine besondere Rolle. Ohne die Klärung der Saarfrage hätte es keinen deutsch-französischen Freundschaftsvertrag gegeben. Das ist in einer Zeit, in der man erleben muss, dass nicht überall territoriale Fragen anerkannt sind und sie auch nicht überall friedlich gelöst werden, noch mal ein sehr, sehr gutes Beispiel. Der französische Staat hat damals entschieden, dass über die Frage von Grenzen demokratisch entschieden wird. Dafür müssen wir sehr dankbar sein. Die Saarländerinnen und Saarländer haben sich entschieden, wie sie sich nun mal entschieden haben, es hat dann den Anschluss an die Bundesrepublik Deutschland gegeben. Das ist schon ein sehr bemerkenswerter Akt. Frankreich, Deutschland und das Saarland haben gezeigt, wie man Interessenkonflikte friedlich lösen kann.
Sind die deutsch-französischen Beziehungen und insbesondere die zwischen Frankreich und dem Saarland auch auf europäischer Ebene relevant?
Ja! Wir sind nicht nur das französischste aller Bundesländer, sondern auch das europäischste. Und das, was wir hier im grenzüberschreitenden Alltag miteinander hinbekommen, das kann eine Blaupause sein für die internationale Zusammenarbeit. Ich wünsche mir, dass Europa im Saarland eine größere Bedeutung bekommt, aber auch, dass das Saarland mehr in Europa stattfindet. Es gibt klare Interessen aus saarländischer Sicht, die einen europäischen Rahmen brauchen. Konkret wird das am Beispiel Wasserstoff oder bei der Energieversorgung insgesamt. Hier fehlt die Entschlossenheit in der europäischen Debatte. Solch große Transformationsprozesse brauchen eine internationale Klammer. Und ich finde, ein europapolitisches Leitbild kann durchaus eine große Schwester für die Frankreich-Strategie sein.