Letzte Symptome seiner chronischen Krankheit liegen Jahre zurück. Stefan Wehr lebt frei von Neurodermitis. Eine neue Realität, die es ohne die Unterstützung seines Vereins vermutlich nicht gegeben hätte.
Starker Juckreiz, blutig gekratzte Armbeugen und Kniekehlen – all das kenne ich schon von Kindesbeinen an", erzählt Stefan Wehr. Der heute 42-Jährige aus Hürth bei Köln hat ein langes Martyrium hinter sich. „Direkt nach meiner Geburt hat unsere Hausärztin diagnostiziert, dass ich an Neurodermitis leide. Ich war auch relativ früh zur Behandlung beim Facharzt", erinnert sich der studierte Diplom-Kaufmann. „Meist bekam ich cortisonhaltige Salben verschrieben. Das hat schnell geholfen, alles war erträglich. Damit kam ich während meiner Kindheit und Pubertät gut über die Runden."
Deutlich schlimmer wurde es in seiner Wehrdienstzeit. Bisher hatte er die Ekzeme nur an Stellen, die man nicht sah, beziehungsweise mit Kleidung gut bedecken konnte. Doch ab dem Alter von achtzehn, neunzehn Jahren hatte er den Ausschlag plötzlich am ganzen Körper, auch ein wenig im Gesicht. „Ich fühlte mich, als würde ich wie eine auf Rot geschaltete Ampel durch die Gegend laufen. Ich experimentierte mit unterschiedlichen Cortisonsalben und UV-Bestrahlungen. Doch nichts half wirklich. Der Juckreiz war unerträglich. Die Cortison-Dosierungen musste ich stetig erhöhen, damit sie noch wirkt." Damit stiegen auch die Nebenwirkungen. „Meine Haut wurde immer dünner, schon leichtes Kratzen führte zu blutigen Stellen", beschreibt Wehr seinen Leidensweg.
Ab dieser Zeit suchte er nach Alternativen, weil ihm die klassische Schulmedizin nicht umfassend helfen konnte. So kontaktierte er zum Beispiel eine Heilpraktikerin, deren Therapie jedoch leider auch nicht von Erfolg gekrönt war. Auch Umschläge mit Schwarztee oder Cistustee brachten nur kurzzeitige Linderung. Die entzündungshemmende Wirkung der Therapien ließ immer wieder schnell nach. „Es war ein Teufelskreis. Je mehr es juckte, desto mehr habe ich gekratzt, desto mehr Cortisonsalbe habe ich draufgeschmiert, desto dünner wurde meine Haut, umso schneller blutete ich in den Armbeugen, in den Kniekehlen und letztendlich am ganzen Körper." Die Wunden nässten und es drangen Bakterien in die offenen Stellen. „Während meiner Studienzeit konnte ich oft nachts nicht schlafen, so schlimm hat es am ganzen Körper gejuckt. Zeitweise dachte ich, ich bin der einzige, dem es so ergeht", beschreibt er seine damalige Situation.
Per Zufall hörte Stefan Wehr eine Radiosendung, in der auch über den Bundesverband Neurodermitis e.V. Umwelt ∙ Haut ∙ Allergie informiert wurde. Seine Neugier war geweckt. Er nahm Kontakt auf, wurde Mitglied und bekam viele nützliche Tipps. Seit 2009 ist er sogar im Vorstand des Bundesverbandes aktiv, 2016 wurde er zum zweiten Vorsitzenden gewählt.
„Dank dieser Selbsthilfeorganisation habe ich mich das erste Mal stärker mit der Ursachenforschung statt nur mit der Symptombehandlung befasst. Ich erfuhr von sinnvollen Diagnostikverfahren und alternativen Therapieansätzen, bekam Ratschläge bei der Auswahl von Pflegeprodukten und wurde über Lebensmittel aufgeklärt, die für Menschen mit Neurodermitis schädlich sein können."
Einer der wichtigsten Ratschläge, die Wehr zu diesem Zeitpunkt bekommen hat, war der Hinweis, sich in eine spezielle Akutklinik in Bayern zu begeben. „Das war 2009. Ich war damals sehr verzweifelt, hatte unsäglichen Juckreiz und wollte endlich eine lang anhaltende Behandlung meiner Neurodermitis."
In dieser Klinik stand der ganzheitliche Therapieansatz im Mittelpunkt. Mit Hilfe einer Rotationsdiät wurde herausgefunden, welche Lebensmittel er verträgt und welche nicht. Innerhalb eines vorgegebenen Rhythmus durfte er bestimmte Lebensmittel nur einmal essen. Auch andere Faktoren, wie Stress oder seelische Belastungen als Ursache seiner Erkrankung, wurden in der Klinik thematisiert.
„Für mich war die Kur erlösend. Ich sah Menschen, die ähnliche oder schlimmere Probleme mit ihrer Haut hatten. Ich habe mich früher oft als Exot gefühlt, mich gefragt, warum hat es mich so hart getroffen? In der Klinik habe ich dann Patienten gesehen, die wie Mumien einbandagiert waren. Vielen ging es schlechter als mir. Mich mit ihnen auszutauschen, hat mir gutgetan. Nach meinem Kuraufenthalt waren meine Beschwerden zu 80 Prozent weg", bilanziert er.
Zuhause setzte er die Ratschläge der Klinik konsequent um. Wegen einer diagnostizierten Hausstaubmilbenallergie hat er zum Beispiel Matratzen, Decken oder Kissen nur mit den entsprechenden Schutzüberzügen im Gebrauch. Diese sogenannten Encasings verhindern, dass man mit den Milben und ihren Ausscheidungen in Berührung kommt. Sie werden sogar von der Krankenkasse bezahlt. Im Wohnzimmer steht eine Ledercouch, ein Stoffbezug kommt nicht mehr in Frage. In den Urlaub nimmt er – wenn möglich – seine eigenen Decken und Kissen mit.
„Es war ein Teufelskreis: Je mehr es juckte, desto mehr habe ich mich gekratzt"
„Dank einer intelligenten und ganzheitlichen Schulmedizin, ergänzt mit einer klassischen homöopathischen Therapie und der Unterstützung des Bundesverbandes, bin ich mittlerweile zu 100 Prozent erscheinungsfrei. Meine Neurodermitis beeinträchtigt mein alltägliches Leben gar nicht mehr."
Vor zwei Jahren hat Wehr geheiratet. Seine Frau kennt den Diplom-Kaufmann nur symptomfrei. „Bald werde ich Papa", erzählt Wehr. „Natürlich habe ich Angst, dass mein Kind auch an Neurodermitis erkranken wird. Die genetische Komponente ist ja da. Mein Vater hatte auch mit Allergien zu tun. Aber durch die Hilfe des Verbands bin ich zum mündigen Patienten geworden. Anders als meine Eltern bin ich besser vorbereitet. Ich weiß, wie ich reagieren muss, wenn mein Sohn Auffälligkeiten zeigen würde."
Und er gibt sein Wissen weiter: In den Geburtsvorbereitungskursen hat er die werdenden Eltern darauf hingewiesen, wie wichtig eine gesunde Zusammensetzung der Darmmikrobiota für das Immunsystem des Kindes ist. Eine „Grundausstattung" mit lebenswichtigen Bakterien erhält das Neugeborene im Geburtskanal. Viele Geburtskliniken bieten für per Kaiserschnitt geborene Babys an, es kurz nach der Geburt mit den Vaginalbakterien der Mutter zu bestreichen.
Er selbst hat sein Leiden mittlerweile im Griff: „Mein Leben mit Neurodermitis ist seit vielen Jahren entspannt. Ich denke, die schlimmste Phase liegt hinter mir."