Der Vorhang der PS-Festspiele der Formel 1 ist beim Finale in Abu Dhabi gefallen. FORUM blickt zurück auf einige Höhe- und Tiefpunkte der Saison 2022. Im Mittelpunkt aber steht der emotionale Abschied des viermaligen Weltmeisters Sebastian Vettel.
Abu Dhabi – zu Deutsch Vater der Gazelle – war für Sebastian Vettel eine seiner bedeutendsten Stationen während seiner 16 Jahre dauernden Formel-1-Reise zu Titeln und Triumphen rund um den Globus. Bei der Premiere des Grand-Prix-Wüstenkurses (GP) im Jahr 2009 war der Deutsche der erste Sieger, ein Jahr später, am 14. November 2010, gewann er erneut und krönte sich zu seinem ersten von vier WM-Titeln. 2013 folgte Vettels dritter „Wüsten-Streich". Im Jahres-Schlussakkord 2022 erlebte der viermalige Weltmeister mit 53 Siegen und 57 Pole Positions ein versöhnliches Karriereende mit einem kleinen Hurra: Als Zehnter sackte Vettel in seinem unterlegenen Aston Martin und einer misslungenen Strategie sogar noch einen WM-Punkt ein. Als WM-Zwölfter verlässt er die große PS-Bühne, sein Rennstall belegt Platz sieben in der Konstrukteurs-Weltmeisterschaft.
Max Verstappen dominiert die Saison
Dominator dieses Finalrennens am Arabischen Golf aber war Max Verstappen. Der Formel-1-Kannibale beherrschte diesen 22. WM-Lauf von A bis Z, vom Anfang bis zum Ziel, ohne Wenn und Aber. Der siegeswütige Bulle raste ungebremst von seiner siebten Pole des Jahres zu seinem 15. Saisonsieg (!) und seinem 35. Formel-1-Triumph insgesamt. 15 Saisonsiege – ein sensationeller Rekord. Verstappens F1-Karriere ist war gespickt mit Rekorden. Aber schon zwei Rennen zuvor, in der Höhenluft von Mexiko, ist der „fliegende Holländer" in neue Sphären der Formel 1 aufgestiegen und hat Michael Schumacher (2004) und Sebastian Vettel (2013) ihren bemerkenswerten Rekord mit 13 Saisonsiegen entrissen, diesen übertrumpft und einen neuen Maßstab gesetzt.
Mit einem ungefährdeten Sieg stellte Verstappen mit seinem 14. Saisonerfolg den neuen Bestwert für die meisten Siege in einer Saison auf. „14 Siege, was für eine Saison", funkte der Red-Bull-Pilot nach der Zieldurchfahrt in Mexiko-Stadt an seine Crew. Die italienische Zeitung „La Gazzetta dello Sport" schrieb: „Verstappen ist der tyrannische Herrscher dieser WM." Aufgrund der unterschiedlichen Anzahl von Rennen sind die Jahresrekorde allerdings nur bedingt vergleichbar. 2004 wurden 18 Rennen ausgefahren, 2013 waren es 19 und in dieser Saison 22 Rennen. Soweit diese Rechenspielchen zum Saisonabschluss, der ganz im Zeichen von Sebastian Vettel stand und mit großer Show und viel Brimborium zelebriert wurde. Alles drehte sich um den scheidenden Aston Martin-Piloten.
Hamilton bezahlt Abschiedsessen
Zum Auftakt des Rennwochenendes dinierten alle 20 Fahrer mit Vettel in einem Luxus-Restaurant, Hamilton bezahlte für seinen ehemaligen Rivalen und heutigen Freund die Rechnung. Vettel selbst lud die Kollegen und insgesamt 200 Teilnehmer freitags zu einem kostenlosen, nächtlichen Lauf um die Strecke ein. „Danke Seb" stand auf den weißen T-Shirts der Läufer.
Während der Fahrerparade am Sonntag feierten die Fans auf den Tribünen Vettel mit Jubel, Applaus und Transparenten. Kurz vor dem Start standen alle Fahrer, der FIA-Präsident und die F1-Chefs Spalier und Vettel klatschte mit jedem ab. „Fantastisch, herausragend, einmalig", stimmte Ferrari-Teamchef Mattia Binotto einen Lobesdreiklang an – ausgerechnet auf jenen Fahrer, den er vor zwei Jahren per Telefon gefeuert hatte.
Für die herrlichste Geste aber sorgte Fernando Alonso – ausgerechnet jener Fahrer, der Sebastian Vettel bei Aston Martin beerben wird. Der frühere Erzrivale, der mit einem Helm im Vettel-Design antrat, versprach, seinem Freund für sein letztes Rennen Geleitschutz zu geben. „Wir wollen ein reibungsloses Wochenende für ihn. Ich werde auf ihn am Start und in der ersten Runde aufpassen", sagte Alonso. Der Spanier startete als Zehnter direkt hinter dem Deutschen – und hielt Wort. Wegen eines Defekts musste der Alpine-Pilot später aufgeben, Vettel sah die Zielflagge. Der Vollständigkeit halber: Ferrari-Pilot Charles Leclerc wurde Zweiter vor „Bulle" Perez und sicherte sich und seinem Team die Vize-WM.
Alonsos Geleitschutz im letzten Rennen
Nach dem Finalrennen wurde Vettel mit einer Video-Hommage und einem letzten Interview auf der Zielgeraden in die Rennrente entlassen. Die F1-Welt verneigt sich vor einem der Größten ihrer Zunft. Sie weiß, was sie an Sebastian Vettel hatte, und sie hat einen ihrer erfolgreichsten Fahrer überhaupt gebührend verabschiedet.
Rückblickend auf seine eindrucksvolle motorsportliche Karriere gesteht der 35-Jährige: „Einige Momente waren sicher nicht so großartig, aber ich denke, das hat mir alles geholfen, dorthin zu kommen, wo ich jetzt bin. Deshalb bereue ich nichts", sagte der Jung-Rentner. Wichtig sei ihm aber, „dass es für mich ein Privileg war, überhaupt so weit zu kommen." Vettels Prioritäten aber haben sich jetzt verschoben. Der Familienvater von Frau und drei Kindern hat erkannt: „Es gibt weitaus größere und wichtigere Dinge, als im Kreis zu fahren." Während Vettel den Rennfahrerhelm freiwillig an den Nagel hängt, bekamen drei andere Fahrer von ihrem Team den Laufpass. Mick Schumacher wurde am Abu-Dhabi-Wochenende von seinem Haas-Team mitgeteilt, dass sein Vertrag mit dem US-Rennstall nicht mehr verlängert wird. Eine monatelange Hängepartie mit einer ungewissen, nervenzehrenden Hinhaltetaktik ging zu Ende. Dem 23-Jährigen wird neben fahrerischen Defiziten angelastet, in zwei Jahren bei zu vielen Unfällen zu viel Schrott produziert zu haben. Bezeichnend auch sein letztes Rennen, in dem er sich mit einem Fahrfehler, einer Slapstick-Einlage, einem Schubser gegen Nicholas Latifi und einer Fünf-Sekunden-Strafe sowohl im Rennen als auch in der Fahrer-WM als 16. verabschiedete.
F1-Ende nach 43 Grands Prix. „Die Saison 2022 ist vorbei und somit auch ein großes Kapitel. Ich möchte den Moment nutzen, um Haas F1 für die harte Arbeit über die letzten zwei Jahre zu danken. Ich durfte unglaubliche Menschen kennenlernen und habe Freundschaften fürs Leben geschlossen", schrieb Jung-Schumi in sozialen Netzwerken via Twitter und Instagram. Der Sohn von Rennfahrerlegende und Rekordchampion Michael Schumacher wird künftig als Testfahrer bei Mercedes arbeiten.
Ein alter Bekannter aus der Königsklasse wird den Geschassten im Haas-Rennstall ersetzen: Nico Hülkenberg. Der 35-jährige Routinier aus Emmerich vom Niederrhein bestritt von 2010 bis 2019 bei verschiedenen Teams 181 Grands Prix, stand aber nie auf dem Podium – Negativrekord. Auch sein Vertrag wurde 2019 bei Renault nicht verlängert. Zuletzt war Hülkenberg Ersatz- und Testfahrer im Team von Aston Martin.
Formel-1-Aus für Mick Schumacher
Bei McLaren war Daniel Ricciardo die vergangenen zwei Jahre Stammfahrer, jetzt wird er in seiner alten F1-Heimat Red-Bull-Test- und Entwicklungsfahrer für Verstappen und Perez. Bei den Bullen hatte der Australier von 2014 bis 2018 ein Vollzeit-Cockpit. Nach fünf Saisons wechselte der „Honey badger" (Honigdachs) zu Renault, bevor er bei McLaren andockte. Nach zwei erfolglosen Jahren kehrt der achtmalige GP-Sieger an seine alte Wirkungsstätte zurück. „Ich bin wirklich aufgeregt, als dritter Fahrer zurück nach Hause zu Red Bull zu kommen", freut sich Dauerstrahlemann Ricciardo (33), der in der offiziellen Pressemitteilung mit großem Grinsen dasteht. Für Nicholas Latifi sind seine drei Williams-Jahre Vergangenheit. Der Kanadier wird durch den jungen US-Amerikaner Logan Sargeant (21) ersetzt, der letztlich Mick Schumacher die letzte Hoffnung auf ein Williams-Cockpit nahm.
Was aber war bloß los mit Mercedes als Abonnement-Sieger vergangener Jahre und seinem Sternekrieger Lewis Hamilton? Der einstige Erfolgsrennstall spielte im Kampf um den Titel keine Rolle, war nur noch dritte Kraft. 344 Tage oder 22 Rennen musste Mercedes auf einen Sieg warten. Den letzten Erfolg vor dem GP Brasilien hatte es in Saudi-Arabien im Dezember 2021 gegeben. George Russell erlöste in seinem 81. GP dann in Brasilien die einst erfolgsverwöhnte Truppe mit seinem F1-Premiere-Triumph. Der 24-jährige Brite trug sich als 113. Siegfahrer in die F1-Bücher ein. Teamkollege Hamilton sorgte als Zweiter für den Brasilien-Doppelerfolg. In Abu Dhabi bestritt der siebenmalige Champion sein 200. Rennen für Mercedes, ging erstmals seit seiner ersten F1-Saison 2007 leer aus – 2022 war die erste Saison des 103-maligen Grand-Prix-Siegers ohne Formel-1-Erfolg.
Lewis Hamilton blieb ohne einzigen Sieg in dieser Saison
Eine F1-Saison ohne Skandal – eigentlich nicht vorstellbar. Red Bull hat die Kostenobergrenze für 2021 laut FIA-Prüfbericht um 1,8 Millionen Pfund oder 1,6 Prozent überzogen. Die Strafe lautet: Sieben Millionen Dollar Geldbuße – Peanuts, die das Team aus der Portokasse löhnt – und zehn Prozent weniger Windkanalzeit, auf die in den nächsten zwölf Monaten verzichtet werden muss. Das Strafmaß – für die einen, die Betroffenen, zu viel, für die anderen, die „Nichtüberzieher", zu wenig. Auf jeden Fall aber ein Signal, das abschrecken soll, den Kostendeckel zu überschreiten. Die neue Saison wird zeigen, ob das wirkt.