Die Strom- und Gaspreise schießen durch die Decke. Experten erwarten eine Rezession und eine Insolvenzwelle nie gekannten Ausmaßes in Deutschland – trotz 200 Milliarden Euro schwerem Abwehrschirm. Der saarländische Wirtschaftsminister Jürgen Barke (SPD) über Maßnahmen und Risiken.
Herr Minister Barke, welche Mittel haben wir noch im Köcher, um eine schwere Rezession aufgrund der Energiekrise abzuwenden?
Mir ist bewusst, dass momentan die explodierenden Energiekosten viele Bürgerinnen und Bürger und vor allem auch Unternehmen vor große Herausforderungen stellen. Daher steht es außer Frage, dass wir alles befürworten, was Gaspreise runterbringt und die Menschen entlastet. Das muss aber in allererster Linie vom Bund kommen. So ist die Abschaffung der EEG-Umlage im Stromsektor, die angekündigte Absenkung der Umsatzsteuer auf den Energieträger Erdgas von 19 Prozent auf 7, inklusive der Ausweitung auf Fernwärme, die ergänzende Klima- und Heizkosten-Komponente oder auch ein zusätzlicher Heizkostenzuschuss an Wohngeldbezieher zu begrüßen.
Mehr Entlastung wird allerdings der Abwehrschirm der Bundesregierung bringen. Im Dezember sollen Gas- und Fernwärmekunden eine Einmalzahlung erhalten. Da übernimmt quasi der Staat die monatliche Abschlagszahlung. Ich glaube, dass dieser Einmalbetrag schnell und unbürokratisch Lücken schließen wird.
Die zweite Entlastungsstufe für Haushalte und KMU wird dann im März mit der Gaspreisbremse kommen. Wir wissen, dass Handlungsdruck herrscht. Gerade die Bürgerinnen und Bürger, aber auch die Unternehmen und die Industrie brauchen eine Sicherheit und Perspektiven. Der Bund muss jetzt schnell in die Umsetzung gehen.
Handwerk und Mittelstand gelten als das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Doch die leiden unter Lieferschwierigkeiten, Fachkräftemangel und jetzt zusätzlich durch die Energiekrise. Wie will das Saarland diesen Unternehmen helfen?
Auch hier wird in erster Linie der Bund zum Zug kommen müssen. Unter anderem wird da in erster Linie die Gaspreisbremse ab März für Entlastung sorgen.
Ein gesondertes Zuschussprogramm des Bundes für KMU, wie es vom Bundeswirtschaftsministerium ursprünglich angekündigt und auch von uns forciert wurde, ist in dem Zwischenbericht der Expertenkommission leider nicht enthalten. Die Gaspreisbremse allein wird nicht jede denkbare unternehmerische Problemlage beheben können, sodass Lösungsansätze für die Behandlung von Härtefällen durch Liquiditätshilfen, Bürgschaften, Zuschüsse und Kredite notwendig werden.
Was ich den KMU in unserem Land aber immer wieder an die Hand geben möchte: Machen Sie von unserem vielfältigen Beratungsnetzwerk Gebrauch: Sei es beim Thema Fachkräfte, bei der Investitionsförderung oder innovativen Finanzierungslösungen und Beratungsangeboten – unsere Unterstützungsangebote sind passgenau auf den Mittelstand zugeschnitten. Denn für die erfolgreiche Transformation des Wirtschaftsstandortes Saar brauchen wir einen starken Mittelstand: als verlässlicher Arbeitgeber, als Versorger in der Region, als Ausbilder und nicht zuletzt auch als Motor und Ideengeber für den Strukturwandel!
Staatliche Preisdeckelungen gelten vielfach als Wundermittel zur Abmilderung der Krise. Welche Problematik bringt das bei der Umsetzung mit?
Staatliche Preisdeckelungen sind generell ordnungspolitisch problematisch und in der Praxis auch nicht einfach umsetzbar. Sie könnten zu weiteren Knappheitseffekten und Mangellagen im Strom- und Gasmarkt führen. Zu bedenken ist ferner, dass Strom- und Gaspreisdeckelungen zu wirtschaftlichen Schieflagen von Stadtwerken als Grund- und Ersatzversorger führen könnten. Dies ließe sich nur dann vermeiden, wenn der Bund die Stadtwerke mit Zuschüssen oder Verlustausgleichen flankiert.
Der Staat gewinnt kräftig mit an den gestiegenen Energiepreisen. Warum setzt man nicht einfach die Mehrwertsteuer aus und verzichtet auf die riesige und bürokratische Umverteilung?
Mit Blick auf die hohen Energiepreise und die neue Gasbeschaffungsumlage hat die Bundesregierung bereits angekündigt, die Umsatzsteuer auf den Energieträger Erdgas bis Ende März 2024 von 19 Prozent auf 7 Prozent abzusenken. Mit dem neuen Abwehrschirm wird der ermäßigte Umsatzsteuersatz außerdem auf Fernwärme ausgeweitet.
Vom Grundsatz her wäre es diskussionswürdig, die Umsatzsteuer auf Strom-, Gas-, Heizöl- und Fernwärmelieferungen gleichförmig auf den europäischen Mindestsatz zurückzuführen. Dabei müssen allerdings immer auch die Einnahmenverluste des Bundes, der Länder und der Kommunen im Auge behalten werden.
Energiesparen ist das beste Mittel für das eigene Portemonnaie, für das Klima und gegen Putin. Aber wenn der Staat zu viel hilft, sparen die Menschen nicht, Energiespar-Appelle laufen ins Leere, das hat die Erfahrung in der Vergangenheit gezeigt. Wäre es nicht besser, den Ausbau in die Energie- und Wärmewende zu stecken als den Energieverbrauch, sprich Entlastungspakete, zu unterstützen?
Wir brauchen aktuell beides: kurzfristige Entlastungen für Wirtschaft, Unternehmen, Bürgerinnen und Bürger, aber auch langfristig tragfähige Anreize zum Energiesparen, zu mehr Energieeffizienz und zu einer schnelleren Energie- und Wärmewende.
Genau daran arbeiten auch gerade die Energieministerinnen und -minister, dazu laufen viele Gesetzgebungsprozesse des Bundes. Erwähnt seien hier nur der laufende Abstimmungsprozess zur Kommunalen Wärmeplanung, die Beschlüsse des Energieministertreffens zur Steigerung der Energieeffizienz durch Abwärmenutzung, das neue Förderprogramm des Bundes zur Umstellung der Fernwärme auf Treibhausgasneutralität und zum Neubau neuer klimaneutraler Netze.
Das Saarland hinkt beim Ausbau der Erneuerbaren im Vergleich der Bundesländer hinterher. Was plant die Landesregierung, um diesen Rückstand möglichst bald aufzuholen?
In unserem Bundesland herrscht die größte Einigkeit darüber, dass der Schlüssel für eine dauerhaft bezahlbare, unabhängige und saubere Energieversorgung im konsequenten Ausbau der Erneuerbaren Energien und des damit verbundenen Netzausbaus liegt. Bund und Länder sind sich dabei ihrer gemeinsamen Verantwortung bewusst, die Energiewende mit aller Kraft voranzutreiben. Im Saarland wird der Beitrag zur Zielerreichung für den Ausbau der erneuerbaren Energien durch den im letzten Jahr beschlossenen Energiefahrplan 2030 definiert. Als kleines dicht besiedeltes Land mit viel Industrie unterscheiden sich die Bedingungen im Saarland von anderen Bundesländern. Ziel des Energiefahrplans ist vor diesem Hintergrund, den Anteil der erneuerbaren Energien bis 2030 auf 40 Prozent zu verdoppeln und zusätzlich mit Energieeffizienzmaßnahmen deutliche CO2-Reduktionen zu erreichen. Die neue Landesregierung hat bereits angekündigt, mit einem Anteil von 50 Prozent am Stromverbrauch künftig weitergehende Ziele setzen zu wollen.
Der Energiefahrplan 2030 setzt vor allem auf den Ausbau der Photovoltaik und den Ausbau der Windenergie. In Bezug auf seine flächenspezifische Installationsdichte der Windenergie liegt das Saarland vor vielen großen Flächenländern wie Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Hessen, Baden-Württemberg und Bayern; im Hinblick auf die Höhe der Flächenausweisung liegt das Land aktuell auf Platz 3 hinter Schleswig-Holstein und
Hessen.
Das Wirtschaftsministerium wird die weiteren Formen der erneuerbaren Energien, vor allem Biomasse und Biogas, im Rahmen der aktuellen Entwicklungen erneut beleuchten und prüfen, inwieweit diese einen weiteren Beitrag zum Ausbau der erneuerbaren Energien im Saarland leisten können.
Auch die Bundesregierung hat mit ihrem Abwehrschirm die erneuerbaren Energien in den Fokus gerückt: Der Ausbau der Erneuerbaren Energien soll weiter priorisiert und beschleunigt werden. Sicher wird die Umsetzung der Bundesgesetze auch für das Saarland eine Herausforderung darstellen. Dieser werden wir uns – wie alle anderen Bundesländer auch – im Sinne von Energiewende und Transformation stellen.
Der Ausbau der Erneuerbaren, Wärme- und Verkehrswende, Wasserstoffeinsatz … all das dauert noch Jahre, bis es so weit ist. Wie soll das die Wirtschaft überleben und wie wollen wir das finanzieren?
Der Transformationsprozess betrifft alle, entsprechend müssen alle an diesem Prozess mitarbeiten, auch unter Einsatz der vorhandenen Ressourcen. Das wird uns sicher viel Kraft kosten, aber mit dem Transformationsfonds werden wir als Landesregierung eine außerordentliche Grundlage für diesen Prozess bereitstellen.