Obwohl Gürtelrose zu den Volkskrankheiten zählt und rein statistisch betrachtet eine von drei Personen im Laufe ihres Lebens davon betroffen sein kann, ist die Impfquote gegen dieses Leiden hierzulande noch verschwindend gering. Infolge von Corona scheint sich das aber gerade zu ändern.
Das Thema Impfen spielt in der aktuellen Corona-Pandemie bekanntermaßen eine ganz zentrale Rolle. Auch über Langzeitfolgen, Stichwort Long Covid, wird derzeit reichlich debattiert. Zusätzlich hat nun eine US-Studie, die auf der Auswertung von amerikanischen Krankenversicherungsdaten im Zeitraum zwischen März 2020 und Februar 2021 beruht und im Fachmagazin „Open Forum Infectious Diseases" veröffentlicht wurde, hierzulande die Furcht vor einem Ausbruch einer bislang weithin kaum zur Kenntnis genommenen gesundheitlichen Gefahr genährt. Obwohl diese eigentlich schon längst zu den Volkskrankheiten gezählt werden muss. Denn in der Bundesrepublik erkranken jährlich schon rund 400.000 Menschen an Gürtelrose, mehr als 95 Prozent der über 60-Jährigen tragen das dafür verantwortliche Varizella-Zoster-Virus, das zur Familie der Herpes-Viren zählt, schon (unbemerkt) in ihrem Körper. Rein statistisch gesehen wird sich die Gürtelrose bei einer von drei Personen im Laufe ihres Lebens ausbilden.
400.000 Menschen erkranken
Das ließe sich leicht verhindern, wenn sich die Bundesbürger rechtzeitig, sprich vor allem nach Erreichen des 60. Lebensjahres, mit einem der beiden zulässigen Vakzine impfen lassen würden. Die Stiko empfiehlt dabei nur die Verwendung des Totimpfstoffs Shingrix des internationalen Konzerns GSK, weil dieser wirksamer ist als der konkurrierende Lebendimpfstoff Zostavax. Seine Verabreichung zählt seit Mai 2019 für die von der Stiko benannten Hauptrisikogruppen zu den Pflichtleistungen der gesetzlichen Krankenkassen. Anfangs war die Nachfrage vor allem in den USA und Kanada besonders stark, weil dort die Impfempfehlungen weitaus eindringlicher waren als beispielsweise in der Bundesrepublik.
Doch seit den Ergebnissen der oben genannten US-Studie war auch in Deutschland ein deutlicher Anstieg des Interesses an einer Schutzimpfung gegen Gürtelrose feststellbar. Demnach hatte man für Menschen über 50 als Folge einer Corona-Infektion ein um 15 Prozent erhöhtes Risiko einer Erkrankung an Gürtelrose ermittelt, bei schweren Corona-Verläufen wurde der zusätzliche Risikofaktor sogar auf 21 Prozent taxiert. Frauen sollen dabei stärker betroffen sein, ebenso Personen über 65 Jahren. Die Studien-Autoren hatten die Vermutung geäußert, dass Covid-19 durch eine Schädigung der Immunzellen die Reaktivierung der in den Spinalganglien nahe dem Rückenmark schlummernden Varizella-Zoster-Viren befördern kann. Diese lagern sich dort infolge einer früheren Windpockenerkrankung ein. Bei vielen Betroffenen könne es daher zur Ausbildung einer sogenannten Lymphopenie kommen, die mit einer Verringerung der Immunzellen im Blut einhergehe, wodurch nicht mehr genügend Abwehrkräfte gegen die aktivierten Viren vorhanden seien. Der Ausbruch der Gürtelrose kann laut der US-Studie schon sehr schnell, innerhalb der ersten 30 Tage nach einer Corona-Infektion, beginnen. Bei manchen Patienten dauere es allerdings sogar drei bis sechs Monate, bis das Varizella-Zoster-Virus seine schädliche Wirkung offenbaren könne.
Das plötzlich ins öffentliche Bewusstsein gelangte Schreckensszenario, dass über den brennend-juckenden Ausschlag hinaus nicht selten auch langanhaltende, zum Teil irreversible und starke Nervenschmerzen auftreten können, führte hierzulande zu einem markanten Anstieg der Schutzimpfungen gegen Gürtelrose. Die gefürchtete, sogenannte Post-Zoster-Neuralgie oder Postherpetische Neuralgie kann als Komplikation bei bis zu 30 Prozent der Betroffenen vorkommen. Laut einer aktuellen, im August veröffentlichten Analyse des Deutschen Arzneiprüfungsinstituts im Auftrag des Deutschen Apothekerverbandes hat sich die Anzahl der von den Apotheken an die Arztpraxen gelieferten Impfdosen im ersten Halbjahr 2022 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum mehr als verdreifacht –
von 662.000 auf zwei Millionen.
Ein erster Schritt hin zur Verbesserung der in Deutschland bislang extrem niedrigen Impfquoten gegen den Herpes zoster, wie die Gürtelrose im medizinischen Fachjargon genannt wird. Denn laut dem im Dezember 2021 vom RKI veröffentlichten „Epidemiologischen Bulletin" lagen die Gürtelrose-Impfquoten – zwei Injektionen sind für eine Immunisierung nötig – bundesweit für die erste Dosis bei gerade mal fünf Prozent, für die zweite Dosis bei 3,3 Prozent. „Damit ist die Impfbereitschaft für die Gürtelrose-Impfung die niedrigste überhaupt", so Dr. Jens Vollmar, Medizinischer Leiter Impfstoffe, Reise- und Tropenmedizin bei der GSK. „Während die Impfung gegen Influenza in Pandemiezeiten deutlich angestiegen ist, sind andere Standardimpfungen hingegen in den Hintergrund getreten. Dabei gilt es jetzt, das Covid-Momentum zu nutzen und wieder vermehrt an Standardimpfungen wie gegen Herpes zoster zu denken – zumal aktuelle Studien zeigen, dass durch Covid-19 das Risiko für andere Viruserkrankungen steigt." Wie sehr Gürtelrose und Corona inzwischen verknüpft sind, lässt sich auch daran ablesen, dass mit Biontech/Pfizer der Covid-19-Vakzin-Vorreiter an der Entwicklung eines neuen Gürtelrosen-Impfstoffs arbeitet. Die klinischen Studien dafür sollten schon in der zweiten Jahreshälfte aufgenommen werden.
Keine schweren Nebenwirkungen
Nach aktuellem Stand empfiehlt die Stiko die Impfung gegen Gürtelrose für Personen ab 60 Jahren, für alle ab 50 Jahren, deren Immunsystem geschwächt ist, beispielsweise durch Krankheit, nach Knochenmark- oder Organtransplantationen sowie für Patienten, bei denen eine immunsuppressive Therapie mit dadurch signifikant erhöhtem Infektionsrisiko vorgenommen wird. Auch für Personen ab 50 Jahren mit einem schweren Grundleiden, beispielsweise chronische Erkrankungen der Lunge, der Nieren oder des Darms, rheumatischer Arthritis oder der Autoimmunkrankheit systemischer Lupus erythematodes wird die Impfung empfohlen. Denn ähnlich wie bei Corona gelten ältere Menschen oder solche mit einer Immunschwäche als Hauptrisiko-Gruppen für die Ausbildung einer Gürtelrose.
Die Impfung mit dem Totimpfstoff, der intramuskulär in zwei Dosen im Abstand von mindestens zwei bis maximal sechs Monaten verabreicht werden muss, ist laut RKI sicher, in den Zulassungsstudien konnten keine Signale für schwere Nebenwirkungen oder für das Auftreten von Autoimmunerkrankungen festgestellt werden. Die Wirksamkeit des Schutzes vor Herpes zoster konnte in zwei Studien für Personen ab 50 Jahren mit hohen 92 Prozent ermittelt werden, der Schutz vor Postherpetischer Neuralgie lag bei 82 Prozent. Mit zunehmendem Alter nimmt der Schutz vor der Ausbildung einer Gürtelrose leicht ab, betrug aber ab 70 Jahren immer noch rund 90 Prozent. Eine durchgestandene Gürtelrosen-Erkrankung sorgt nicht für eine automatische Immunisierung, sondern Herpes zoster kann danach wieder auftauchen, auch wenn einmaliges Auftreten der Regelfall ist. Eine Impfung ist auch für Personen ratsam, die früher schon mal eine Gürtelrosen-Erkrankung durchlitten hatten. Ob Auffrischungs-Impfungen tatsächlich Sinn machen, ist wissenschaftlich bisher noch nicht belegt. Zur Behandlung einer akuten Gürtelrose ist der Impfstoff nicht geeignet, das Vakzin sollte erst nach Abklingen der Beschwerden injiziert werden. Eine Kombination mit anderen Impfstoffen, beispielsweise gegen Grippe, ist bedenkenlos möglich.