Wie nah dürfen sich zwei Jungs sein? Was passiert, wenn einer mehr Nähe will als der andere? Seit 26. Januar im Kino: „Close“ – Gewinner des Großen Preis der Jury in Cannes.
Es ist selten, dass an einem Film nahezu alles stimmt. „Close“ von Lukas Dhont ist so ein Film. Bereits sein erster Spielfilm – „Girl“ aus dem Jahr 2018 – wurde mit einer Reihe von Preisen ausgezeichnet. Mit „Close“, seinem zweitem Film, gewann er im Jahr 2022 den Großen Preis der Jury bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes. Nachdem es in „Girl“ um das Thema Transsexualität ging, greift Dhont in seinem neuen Film erneut ein kompliziertes Thema auf – eines, in dem es um tiefe Gefühle geht.
Léo (Eden Dambrine) und Rémi (Gustav De Waele), beide 13 Jahre alt, sind beste Freunde: Sie verbringen den größten Teil ihrer Zeit miteinander. Gerade sind Schulferien, und oft übernachtet Léo bei Rémi. Die beiden sind sich unheimlich nah, Geheimnisse haben sie untereinander nicht, können sich ein Leben ohne den jeweils anderen nicht vorstellen. Es ist eine Nähe, die unsere Gesellschaft Jungen üblicherweise nicht zugesteht. Und so erleben die beiden, als sie nach den Ferien auf die weiterführende Schule kommen, dass ihren neuen Mitschülern die innige Zweisamkeit suspekt ist. „Seid ihr schwul?“ – diese Frage hören sie immer wieder. „Ist doch nicht schlimm, könnt ihr ruhig sagen.“ Dabei ist das für Léo und Rémi überhaupt kein Thema. Aber die Fragen schüren Unsicherheit.
Entfremdung zweier Freunde
Vielleicht ist es der Druck von außen, vielleicht Unsicherheit, vielleicht auch der Wunsch nach Veränderung, der Léo etwas Neues ausprobieren und etwas auf Distanz zu Rémi gehen lässt: Er schließt sich dem örtlichen Eishockey-Team an. Als Rémi kommt, um ihm beim Training zuzuschauen, reagiert er wenig begeistert. Die innige Freundschaft bekommt Risse.
Bei „Close“ greifen die verschiedenen Komponenten des Films perfekt ineinander. Die Kamera, die oft mit den Personen mitgeht, zeigt die Protagonisten in Großaufnahme, der Hintergrund ist dabei leicht unscharf. So entsteht optisch eine unglaubliche Nähe. Gleichzeitig ist es so nur schwer möglich, die Handlung einem exakten Ort zuzuordnen. Trotzdem ist erkennbar, in welcher Gegend die Geschichte angesiedelt ist. Denn Léos Familie arbeitet in der Blumenzucht, die es in Belgien in der Region Gent gibt. Mehrfach nutzt der Film die sich im Lauf der Jahreszeiten verändernden Blumenfelder, um Stimmungen zum Ausdruck zu bringen.
Überraschende Wendung
Großes verlangt der Regisseur seinen beiden Hauptdarstellern ab: Die wechselhaften Gefühle der beiden Jungen authentisch zu zeigen. Und das gelingt: Nicht das, was gesagt wird, ist entscheidend, sondern wie es gesagt wird. In einer Szene am Esstisch der Familie zum Beispiel, in der Rémi nicht sagen will, warum er sich schlecht fühlt und die Allerwelts-Erklärung „Bauchschmerzen“ nennt. Die seine Eltern willig akzeptieren und ihm heißen Tee anbieten. Auch die Atmosphäre in der Schule kommt so erstaunlich echt daher, dass wohl jeder, der schon einmal die Sticheleien von Mitschülern ertragen musste, sich unwillkürlich unwohl fühlt.
Die Geschichte von Léo und Rémi könnte auf unterschiedliche Art und Weise weitergehen. Lukas Dhont allerdings hat sich für eine Wendung entschieden, die unerwartet kommt und für die meisten Zuschauer überraschend sein dürfte. Die dann aber, wenn man den Film bis zum Ende angeschaut hat, doch irgendwie stimmig wirkt.