Noch immer haben Frauen in Hollywood bei Weitem nicht den Stellenwert wie Männer, egal ob es um Bezahlung von Schauspielerinnen oder die Unterstützung von Filmemacherinnen geht. Hilft es da, wenn Stars wie Kristen Stewart das Heft in die Hand nehmen? Filmwissenschaftler Nils Daniel Peiler im Gespräch.
Lieber Nils, wir hatten ja bereits das Vergnügen und kennen uns schon länger. Wie hat Dir „Come Swim" gefallen, das Regiedebüt von Kristen Stewart? Was können wir der Bildsprache entnehmen? Ist das die eigene Handschrift als Regisseurin? Sie hat ja auch bereits einige Videoclips gedreht.
Es ist schwierig anhand eines einzelnen Werkes etwas abzuleiten. Ich habe die anderen Arbeiten nicht gesehen. Ich finde „Come Swim" filmsprachlich interessant. Sie zitiert bei der Montage ein paar Klassiker. Ich fand ihn auch visuell spannend, und er hat auch ein interessantes Sounddesign. Ich habe ihn mir erst mal über Boxen und dann noch mal über Kopfhörer angehört und fand ganz interessant, wie der Film mit dem Ton spielt. Das kann man als innere Stimmen lesen oder eine Art Visionen, vielleicht Erinnerungen. Er ist vom Handwerklichen her sehr professionell gemacht und entspricht einer gängigen etablierten Bildsprache. Ich fand auch spannend, dass er sehr stark auf eine Figur zugespitzt ist. Man sieht kaum andere Personen und wenn, dann nur ganz selten im Hintergrund oder angeschnitten.
Wie ordnest Du das Werk von ihr als Schauspielerin ein?
Ich denke, sie ist eine der wichtigsten Vertreterinnen ihrer Generation. Sie ist international sehr erfolgreich und hat diverse Preise in jungen Jahren abgesahnt, war zuletzt für „Spencer" für den Oscar nominiert. Ich finde ihre Darstellung in „Spencer" sehr überzeugend, wenngleich der Film mich insgesamt nicht so begeistert hat. Sie ist sehr wandlungsfähig. Das sieht man schon an den Rollen, die sie annimmt. Und was natürlich auch interessant ist, ist, dass sie in ihrem vergleichsweise jungen Alter auf ein sehr breites Portfolio zurückblicken kann.
Zu der Thematik, dass Frauen im Filmgeschäft immer noch benachteiligt werden: Wäre es eigentlich hilfreicher, wenn einem gar nicht bewusst ist, dass ein Film von einer Frau gedreht wurde? Ich denke da etwa an die Horrordramen „Der Babadook" oder „The Nightingale" von Jennifer Kent. Da habe ich den Film einfach als Film genommen.
Das finde ich einen spannenden Zugang. Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich schaue mir keinen Film gezielt an, weil er von einem Mann gemacht ist. Es gab ja zum Beispiel in der Vermarktung auch schon „Frauen-Filme" oder „Was Frauen schauen". Ich halte von solchen Labels oder Kampagnen gar nichts. Ich denke, wir sollten viel mehr dahin kommen, dass das keine Rolle spielt. Auf der anderen Seite ist es leider immer noch eine prekäre Situation, dass die überwiegende Zahl der Neuerscheinungen eben von Männern gemacht ist. Doch es bewegt sich was, zum Glück. Aber es ist leider immer noch nicht so, dass da Parität herrschen würde.
Oder ist es umgekehrt vielleicht besser, wenn ein Film eindeutig die Handschrift einer bestimmten Regisseurin trägt, wie etwa
Kathryn Bigelow?
Ich denke, es ist natürlich immer ein Plus in der Außenwirkung, in der Vermarktung. Von der Auswahl der Geschichten, der Darstellenden und der Ästhetik. Klar, eine eindeutige Handschrift hilft und ist gut.
Ich habe mich schon immer gefragt: Warum haben Leute wie Julia Roberts nicht schon vor 20 Jahren Projekte angestoßen? Man denkt ja, es wäre genügend Geld vorhanden, um Produktionsfirmen zu gründen und bestimmte Stellen weiblich zu besetzen. Reese Witherspoon macht das ja sehr schlau und sehr gut vor.
Da kann man einfach festhalten und sagen, dass es für andere Generationen deutlich schwerer war. Es ist einiges in Bewegung, aber es ist für Frauen immer noch schwerer, in der Filmindustrie die ausreichenden Mittel oder auch nur die gleiche Aufmerksamkeit für Projekte zu finden.
Es gab in den Achtzigern und Neunzigern Regisseurinnen wie Amy Heckerling („Kuck mal, wer da spricht!", „Clueless") oder Penny Marshall („Big", „Eine Klasse für sich"). Die hatten damals ordentlich budgetierte Produktionen gestemmt, die auch beim Publikum ankamen. Das scheint abhanden- gekommen zu sein. Warum hat sich diese Qualität nicht auf
Dauer durchgesetzt?
Das ist eine gute Frage. Interessant ist auch: Es hat immer Frauen gegeben, die schon von der frühen Filmgeschichte an bedeutende Rollen gespielt haben. Aber interessant ist auch, was dann übrigbleibt. Es ist oft so, dass der Kanon nach wie vor sehr männlich geschrieben wird. Also welche Filme für herausragend befunden oder als bewahrenswert erachtet werden.
Ist das eigentlich Mansplaining, was wir beiden hier betreiben? Oder ist es nicht ein Zeichen von dem Wissen um die schwere Problematik, wenn zwei halbalte, noch nicht ganz ergraute Männer darüber diskutieren?
(lacht) Na, ich fände es schon schöner, wenn noch mehr Vielfalt in der medialen Berichterstattung vorherrschen würde. Ich kann auch nur aus meiner Sozialisation heraus sprechen und versuche auch in meiner Arbeit immer wieder mit anderen Leuten in Kontakt zu geraten, um unterschiedliche Perspektiven zu hören, zu respektieren, einzubringen. Und da ist es natürlich hilfreich, wenn sich nicht nur immer die gleichen Gruppen unter sich unterhalten. Es kann nicht darum gehen, dass die, die in der Filmproduktion ohnehin in der Mehrheit sind und über Minderheiten schreiben, auch noch die sind, die die Meinungshoheit behalten über jene, über die berichtet wird.
Wenn man die Diskussion führt, dann spricht man meist über bekannte Hollywood-Regisseurinnen, Jane Campion, Jodie Foster, Angelina Jolie. Ist das hier schon paritätischer?
Das sehe ich so nicht. Wir haben in Deutschland auf jeden Fall bei weitem noch nicht die Parität erreicht, was die kommerziell einträglichen Produktionen angeht. Ein großer Unterschied ist klar: Das System, also der amerikanische Markt, der internationale Markt, muss kommerziell anders einträglich sein als die deutschen Produktionen, die auf eine andere Förderstruktur oder überhaupt auf eine Förderstruktur zurückgreifen können. Wobei da eher die Frage ist, wie männlich dominiert die Filmförderung ist. Und da ist eben auch keine Parität erreicht. Es wird zunehmend ein Augenmerk darauf gelegt, und die Gewichte verschieben sich erfreulicherweise. Aber wenn man sich die Charts der in Deutschland kommerziell einträglichen großen Produktionen anschaut, ist es nicht so, dass wir hier Parität hätten.
Also weiterhin nur Til Schweiger und Bully Herbig?
Es gibt immer wieder tolle Ausnahmen, angefangen mit „Toni Erdmann", der ein Riesenerfolg ist. Oder Caroline Link, die mit „Nirgendwo in Afrika" einen Oscar bekam. Es gibt wunderbare Regisseurinnen, die auch Erfolge feiern. Aber sie sind bei den kommerziell einträglichen Produktionen leider nicht genauso vertreten wie die Männer.
Was könnte man denn machen, damit sich das ein bisschen bessert?
Wo Barrieren sind, wo Hürden sind, die noch weiter abbauen, etwa bei bestimmten Förderkriterien, noch mehr auch bei Förderentscheidungen auf Parität zu achten. Also dass Jurys paritätisch besetzt sind, dass Gremien paritätisch besetzt sind, wenn es um Filmförderung geht, und noch mehr auch in Kampagnen zu investieren, die zeigen: Es gibt so viele tolle Talente, die gesehen werden sollten.
Du selbst kuratierst in Hamburg und hast auch in Saarbrücken und Frankfurt schon viele Programme gestaltet. Achtest Du denn selbst auf Parität?
Ja, unbedingt. Ich habe gerade eine Woche eine Carte blanche vergeben, mit der zwei Gast-Kuratorinnen aus Frankfurt sich aus unserem Filmarchiv mit annähernd 6.000 analogen Filmkopien ihre persönliche Auswahl wählen durften. Das waren Heide Schlüpmann und Karola Gramann, und die haben so ein „Blick ins Archiv"-Spezial gestaltet. Wir haben diese Reihe, die wir im Team auch selbst kuratieren. Aber da gehen wir eben auch Gast-Kooperationen ein. Da kommen noch mal ganz neue, spannende Ideen und Perspektiven rein. Die haben tolle Sachen gehoben, auf die wir so gar nicht gekommen wären. Sie haben beispielsweise Dorothy-Arzner-Filme aus den 30er- und 40er-Jahren gezeigt, oder Derek-Jarman-Filme aus den 70ern und einen queeren Punk-Film aus den 90ern.
Und natürlich versuchen wir bei der Programmarbeit darauf zu achten, dass viele Stimmen vertreten sind und dass das möglichst ausgewogen ist. Auch da kommen wir aber an Grenzen, weil wir natürlich mit dem operieren müssen, was verfügbar ist und auch, was von den Verleihern angeboten wird. Ich hatte eine wunderbare Veranstaltung letztes Jahr hier, mit einer jungen Kamerafrau, Zamarin Wahdat. Sie ist afghanischstämmig, lebt aber seit früher Kindheit in Hamburg. Sie hat mit keinen 30 Jahren für ihre Kameraarbeit bei einem Kurzfilm bereits einen Oscar bekommen, dreht jetzt „Tatorte" und ist unheimlich erfolgreich.
Es wäre ja langweilig, wenn ich immer alleine entscheiden würde, mit meiner eigenen Sozialisation und mit meinen Sichtweisen.
Gut, das spricht für Dich. Und dann hoffen wir mal, dass andere das auch so sehen.
Ja, das hoffen wir natürlich immer. Ich meine, im besten Falle kann das Kino ein Angebot für einen gesellschaftlichen Diskurs sein. Wir von der Kinemathek Hamburg sind öffentlich gefördert und wir verstehen uns eben auch als Spiegel der Gesellschaft. Uns geht es auch darum, möglichst viele unterschiedliche Stimmen zu berücksichtigen, weil wir keinen Gewinn erwirtschaften müssen. Durch diese öffentliche Förderung ist das natürlich auch ein schöner Luxus, den wir uns erlauben können.