Im Grenzgebiet an der Oder sind unzählige Fische verendet. Ob und wie bilaterale Zusammenarbeit in puncto Umweltschutz funktionieren kann, beantwortet Christian Petry, europapolitischer Sprecher der SPD.
Herr Petry, das Fischsterben am deutsch-polnischen Grenzfluss wirft Fragen hinsichtlich des gemeinsamen Umweltschutzes auf. Inwieweit kann das EU-Recht helfen, wenn es um Umweltereignisse geht, die gleich zwei Staaten betreffen?
Es gibt die Gewässer-Rahmenrichtlinie, die seit 2003 in Kraft ist. Die gilt in der ganzen EU. Das ist aber eine Rahmenrichtlinie mit der Zielvorgabe der Gewässergüte. Sie gibt aber auch einen Sanktionsrahmen vor, der in nationales Recht umgesetzt werden muss. In Deutschland ist es so, dass diese Wasserrahmenrichtlinie ein Bundesrecht mit Ausführungsgesetz der Länder ist. Die EU arbeitet oft mit Rahmenrichtlinien, ohne konkret jedem einzelnen Land vorzuschreiben, wie der Weg zum Erreichen der Ziele ist. Die Ziele sind dort definiert, nämlich die Wasserqualität, das Vermeiden von Einleitungen und von Abwässern et cetera.
Wie läuft das ganz konkret ab?
Die entsprechenden Länder, auch Polen und die Slowakei, hatten bis 2003 den Auftrag, daraus nationale Gesetze zu machen. Das haben sie auch alle gemacht. Es ist auch von der EU vorgeschrieben, dass die Länder geeignete und angemessene Maßnahmen in ihre entsprechenden nationalen Gesetze schreiben müssen, bis hin zu strafrechtlichen Vorschriften. Es wird der Kommission noch mal vorgelegt, und wenn es dort der Rahmenrichtlinie entspricht, tritt das entsprechende Gesetz nach nationalen Kriterien in Kraft. Es ist bei der Oder schon seit fast 20 Jahren der Fall, dass wir eine entsprechende Rechtsgrundlage haben. Wir haben hierzulande auf der Strecke bereits vielfach noch mal nachgebessert, Änderungen angebracht, aber immer innerhalb des Rahmens, den die EU vorgibt. Unser Ziel ist es, europaweit eine Gewässergüte zu haben, die die biologische Vielfalt wiedergeben kann.
Braucht es dazu übergeordnete EU-Regelungen? Könnten sich nicht beide Länder gemeinsam an einen Tisch setzen und sich über den Umgang mit einem Fluss einigen, der durch beide Länder fließt?
Dass da ein Abstimmungsprozess stattfindet, bin ich mir sicher. Insbesondere wenn die Rechte des jeweiligen anderen Nationalstaates betroffen sind. Es gibt die Oderkommission, die die Anrainerstaaten gebildet haben, in der genau diese Dinge auch beraten werden. Es mag unterschiedliche Sanktionsmaßnahmen geben. Wir haben mit eines der strengsten Sanktionsregimes in unserem Umweltrecht. Da sind zum Beispiel Straftatbestände mit Blick auf die illegale Einleitung chemischer Substanzen und Industrieabfälle dabei. Wir haben die Zuständigkeiten auf die Bundesländer übertragen, und das wird wiederum in den Ländern selbst unterschiedlich geregelt. Der Umweltausschuss des Deutschen Bundestages hat hier eine Unterrichtung bekommen, dass der Fall an der Oder zum Anlass genommen wird, um die gemeinsamen Kommissionen nochmals mit neuen Aufgabenstellungen zu versehen.
Ist das EU-Recht bei Umweltschäden denn ausreichend, die mehrere Länder betreffen?
Es gibt ja nicht nur die Wasserrichtlinie, es gibt für alle Umweltgegebenheiten Rahmenrichtlinien. Da ist Europa schon ein Vorreiter in Sachen Verbraucherschutz und Umweltweltschutz. Europa ist qualitativ viel besser, als das viele im Bewusstsein haben. Die entsprechenden Richtlinien sind da. Die Verpflichtung der nationalen Staaten, nationales Recht zu schaffen, wurde in fast allen Bereichen umgesetzt. Insoweit ist das ein Bereich, wo Europa tatsächlich für die Bürger ein Garant ist, dass es doch europaweite Standards gibt im Umweltbereich und auch im Verbraucherschutz.
Nun hat die EU auch den Ruf, eine behäbige Behörde zu sein. Gäbe es da nicht andere, schnellere Möglichkeiten, mit denen zwei Länder unter sich Dinge über den kurzen Dienstweg regeln könnten?
Ja, aber die Rahmenrichtlinie gibt den kurzen Dienstweg der bilateralen Zusammenarbeit her. Es gibt das sogenannte Goldplating. Das heißt, man geht über den Rahmen hinaus. Dann hängt es tatsächlich an den Ländern, ob sie den Willen haben, bilaterale Abkommen zu machen oder nicht. Insoweit ist da der eine ein bisschen schneller, der andere langsamer. Das ist aber Einheit in Vielfalt, das ist die EU. Ich sehe beim Umweltrecht keinen wirklichen Änderungsbedarf in der Konstituierung darin, wie die EU arbeitet. Da gibt es eher an der einen oder anderen Stelle im Vollzug, an der unteren Ebene vielleicht ein bisschen Handlungsdruck, der dann immer auftaucht, wenn solche Ereignisse wie jetzt an der Oder stattfinden. Man könnte behördlicherseits gemeinsame Ermittlungsgruppen und gemeinsame Kontrollpunkte einrichten. Das wäre aber dann weniger ein Problem der EU, sondern eher ein Problem der Umsetzung vor Ort.
Auf die Forderung des Bundesumweltministeriums, den Ausbau der Oder zu stoppen, hat die polnische Regierung bislang verhalten reagiert. Haben Sie Ideen, wie Deutschland und Polen sich bilateral auf besseren gemeinsamen Umweltschutz einigen könnten?
In der letzten Wahlperiode noch in der Regierung Merkel wurde mit der polnischen Regierung ein Vertrag geschlossen, was den Ausbau angeht, und: „Pacta sunt servanda". Insoweit bleibt dann nur das Überzeugen und das Miteinander-Reden. Im Fall des Fischsterbens in der Oder wird noch mal alles begutachtet, es geht verstärkt auch um die Renaturierung naturnaher Räume und den Hochwasserschutz. Das wird überprüft und ausgeweitet. Das ist die Aufgabenstellung, auf die man sich jetzt aktuell geeinigt hat. Da könnte am Ende natürlich herauskommen, dass man beim Ausbau an der einen oder anderen Stelle korrigieren kann. Aber das muss mit Überzeugung und nicht mit Vorgabe erfolgen. Da bin ich der Auffassung, wir müssen uns an die Verträge halten, die wir mal geschlossen haben. Die gemeinsame, grenzüberschreitende Zusammenarbeit ist ein wesentliches Instrumentarium. Das fängt damit an, dass man sich regelmäßiger trifft, dass man sich austauscht auf der Behördenebene.
An welchen Punkten könnte sich der innereuropäische Umweltschutz aus Ihrer Sicht generell noch verbessern?
Das ist natürlich die bilaterale Zusammenarbeit aller Ebenen. Die gemeinsamen Kommissionen sind schon da. Was immer verbesserungswürdig ist, ist, dass man im Grenzbereich der jeweiligen Nachbarstaaten Befugnisse in einem gewissen Rahmen hat. Das haben wir schon im polizeilichen Bereich. Ein deutscher Polizist kann beispielsweise noch bis zu 20 Kilometer in den französischen Raum hinein eine Strafverfolgung vornehmen, das heißt er kann jemanden auch körperlich anhalten. Dafür haben wir lange gebraucht. Aber im Vollzug der normalen Umweltgesetzgebung ist das nicht der Fall. Da könnte man eventuell überlegen, an welcher Stelle das effektiv wäre. Wenn das ginge, könnte man gemeinsame Kontrollen und Untersuchungen in Abstimmung vornehmen. Wichtig ist die Zusammenarbeit vor Ort, auch die entsprechenden stärkeren informativen Austausche. Das wird jetzt auch mit angegangen. Das Leitmotiv ist, dass man bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit das Wort „grenzüberschreitend" irgendwann nicht mehr braucht, sondern nur noch von Zusammenarbeit redet. Das ist meine Traumvorstellung, nicht nur im Umweltrecht, sondern insgesamt.