Matthias Ginter kehrte mit 28 zu seinem SC Freiburg zurück. Als Weltmeister und aktueller Nationalspieler. Obwohl er Anfragen von deutlich größeren Vereinen hatte. Das und viele kleine Aspekte sprechen für eine Verbindung, wie es sie im Profi-Fußball kaum noch gibt.
Vor einigen Wochen haben wir an dieser Stelle über Spieler berichtet, die im Laufe ihrer Karriere noch einmal zu ihrem Heimatverein zurückgekehrt sind. Die meisten von ihnen taten das am Spätabend ihrer Karriere, auch weil ihr Herzensclub dann oft schon in unteren Klassen spielte. Matthias Ginter hat das Glück, dass sein Heimatverein in der Bundesliga spielt. Doch auf den ersten Blick war es mit Blick auf Vereinsgröße und Verdienstmöglichkeiten ein Rückschritt, nach Stationen bei Borussia Dortmund und Borussia Mönchengladbach zum etwas kleineren SC Freiburg zu gehen. Zumal es Angebote oder Interesse von großen internationalen Clubs, vom FC Bayern bis Juventus Turin, gegeben haben soll. Doch Ginter kehrte zurück, als aktueller Nationalspieler, im Alter von 28, und ist ein absoluter Garant dafür, dass die Freiburger den großen Vereinen in dieser Saison mehr denn je auf der Nase rumtanzen. Das alles macht seine Geschichte so schön.
Ein Garant für den sportlichen Erfolg
Wie verwurzelt Ginter in seiner Heimat ist, zeigte sich Anfang Oktober. Da leitete er einen Tag nach einem Bundesligaspiel die Partie in der Kreisliga B zwischen dem SC March II und dem SV Burkheim III mit zwei Freunden als Linienrichter. Das ist eine Bodenständigkeit, die man sich von anderen Nationalspielern kaum vorstellen kann. Auch, weil sie dann auf dem dortigen Sportplatz kaum Luft zum Atmen gehabt hätten. Ginter musste natürlich Autogramme geben und Selfies machen, in einem gewissen Rahmen wurde er aber in Ruhe gelassen. Auch wenn das Spiel im Matthias-Ginter-Sportpark stattgefunden hat. „Es ist ganz egal, wie viele Kilometer dazwischenliegen, er hilft uns im täglichen Leben. Sei es mit seinem Namen oder einfach dadurch, dass er hier vorbeischaut“, sagte Jochen Flamm, Vorstand des SC March, im SWR: „Für alle Kinder, die hier beim SC March sind – das Stadion trägt seinen Namen – ist es ein Ansporn, es genauso zu machen wie Matze.“
In der Heimat, da ist er für alle der „Matze“. Und weil er so heimatverbunden ist, hatte Ginter es nach eigenen Angabe „schon immer so ein bisschen im Hinterkopf, schon als ich aus Freiburg weggegangen bin, mal wieder für Freiburg zu spielen“. Weil sich solche Geschichten im Fußball nicht so leicht realisieren lassen, habe er „da zwischenzeitlich auch wirklich nicht mehr daran geglaubt, weil es vielleicht zu fußballromantisches Wunschdenken gewesen wäre. Aber dieses Jahr hat es perfekt gepasst.“ Er habe sich „auch das Ausland zugetraut. Aber vom Gefühl her habe ich gemerkt, dass ich in Deutschland am besten aufgehoben bin.“ Er wollte halt „noch mal etwas ganz Besonderes in meiner Karriere machen. Und etwas Spezielleres als die Rückkehr zum Sport-Club und in meine Heimat gibt es für mich nicht.“
„Ein Lebenstraum hat sich erfüllt“
Das ist ja fast alles schon ein bisschen kitschig. Und es wurde noch besser mit dem ersten Saisonspiel. Sein erstes Spiel als Profi hatte Ginter am 21. Januar 2012. Mit 18, gegen den FC Augsburg. Auch damals schon mit Trainer Christian Streich auf der Bank. Und gleich nach wenigen Minuten traf der damalige Teenager zum 1:0-Siegtreffer. „Da war so viel Adrenalin“, sagte er der „Badischen Zeitung“ nun. „In dem Stadion ein Tor zu erzielen, in dem ich als kleiner Junge im Kinderblock gestanden bin. Ein Lebenstraum, der nie so richtig greifbar war, hat sich in diesem Moment erfüllt.“ Vor dem Spiel gegen Augsburg nun, 2022, hätten ihm „viele Leute gesagt: ‚Jetzt machst du wieder einen‘. Da habe ich gesagt: ‚Jaja, ist klar‘.“ Doch natürlich machte Ginter „wieder einen“. Und die Social-Media-Abteilung des SC twitterte die beiden Bilder von vor zehn Jahren und nun, wie Ginter nach den Treffern bei seinen beiden Debüts gegen Augsburg das Wappen auf der Brust küsst. „Ich glaube, ich bin der glücklichste Mensch überhaupt“, sagte er nach seinem Comeback: „Und unfassbar froh, hier zu sein.“
Richtig schön wird diese Heimatliebe-Story dadurch, dass der Wechsel nach Freiburg am Ende zur WM-Teilnahme geführt hat. Denn Ginter kam in den 15 Länderspielen unter Bundestrainer Hansi Flick nur zweimal zum Einsatz. Drei Spiele verpasste er wegen einer Corona-Infektion, bei vieren war er nicht nominiert, bei den sechs anderen saß er 90 Minuten auf der Bank. Doch auch Flick fand den Wechsel beachtlich. „Er hat mir direkt gratuliert, er kennt und schätzt Christian Streich ja auch schon seit Jahren“, sagte Ginter im „Kicker“: „Seine Meinung war mir wichtig, daher war es schön zu wissen, dass er diesen Schritt gutheißt.“
Im Nationaltrikot war Ginter eigentlich der, der immer dabei war. Auch wenn er nicht sofort auffiel. Er ist Weltmeister 2014, auch wenn er in Brasilien damals als 20-Jähriger keine Minute zum Einsatz kam. Gleiches galt übrigens für die unglückselige Weltmeisterschaft 2018 in Russland. Allein schon deshalb wäre ein Kader-Platz für Katar etwas Besonderes. Abrunden könnte dies nur noch ein Einsatz, auf welchen Ginter seit nun drei Weltmeisterschaften warten muss Beim Gewinn des Confed-Cups 2017 stand er in vier von fünf Spielen über die volle Spielzeit auf dem Platz, bei der 2021 ausgespielten Euro 2020 gehörte er in allen Spielen zur Startelf. Ebenso bei der U21-EM 2013 und 2015 und in fünf von sechs Spielen bei Olympia 2016. In diesem Sommer habe er zum ersten Mal seit zehn Jahren so etwas wie Urlaub gehabt, sagte Ginter deshalb. Eigentlich ist so einer dem SC Freiburg entwachsen. Doch sie näherten sich durch die Erfolge des Clubs an. Und den Rest machte die Fußball-Romantik.
Streich dachte zuerst an einen Scherz
Als er in Gladbach im Vorjahr mit einem auslaufenden Vertrag in die Saison ging, dachten viele, Ginter spekuliere auf ein Angebot von einem internationalen Topverein. Ob dem so war und dies nie konkret wurde oder ob Ginter von Anfang an einen ablösefreien Wechsel nach Freiburg im Hinterkopf hatte, wird wohl nie geklärt werden. Aber unabhängig von seiner Beziehung zum Verein und der Region ist der SC in den vergangenen Jahren ja auch abseits jedes Idealismus eine immer bessere Adresse geworden. Und schließlich wechselte Ginter im Sommer ja zu einem Europa-League-Teilnehmer, nachdem die Gladbacher die Qualifikation für Europa verpasst hatten. „Es war das i-Tüpfelchen, diese neu entfachte Euphorie mit neuem Stadion und der dann am Saisonende gesicherten Europacup-Qualifikation“, schwärmte Ginter. Und obwohl er noch um die fünf Karriere-Jahre vor sich hat, dachte der gebürtige Freiburger auch gleich schon an ein Karriereende im Breisgau. „Das war schon immer ein bisschen mein Ziel, das hat sich auch nicht geändert. Man soll niemals nie sagen im Fußball. Aber ich hoffe, dass es für beide Seiten gut funktioniert, und dass ich nicht mehr wechseln muss.“
Trotz der ständigen Verweise auf eine mögliche Rückkehr dachte Förderer Streich derweil an einen schlechten Scherz, als es konkret wurde. „Als ich es das erste Mal gehört habe, dachte ich, das kann doch nicht stimmen“, sagte er: „Dann ist es relativ schnell gegangen und ich habe gedacht, ja, es gibt ja auch ein paar Argumente für diesen Verein.“ Und man habe sich deshalb auch versichert, dass Ginter aus voller Überzeugung zurückkehrt. „Ein Spieler von dieser Qualität, von dieser Historie, der muss von sich aus so etwas wollen“, sagte Streich: „Er wollte unbedingt. Und dann wollten wir auch unbedingt, selbstverständlich.“
Denn bei kaum einem Spieler kommt Streich so ins Schwärmen wie bei Ginter, mit dem er schon 2011 Deutscher A-Junioren-Meister wurde. Und den er in seinem ersten Spiel als Bundesliga-Trainer zum Schwimmen ins kalte Wasser warf – ja, es war das Spiel gegen Augsburg, in dem Ginter gleich traf. „Ich kenne ihn, diese Energie, diese Power, den wahnsinnigen Ehrgeiz, sein hohes Maß an Disziplin und das hohe Maß an fußballerischen Fähigkeiten. Er hat eine sehr gute Spieleröffnung, ist im Zweikampf gut und kopfballstark“, sagte er. Und vor allem: „Er ist ein Freiburger Junge und kommt aus der Fußballschule.“