Nach der Machtübergabe im Repräsentantenhaus wird das Regieren für Joe Biden ungemütlicher. Dennoch hat der US-Präsident derzeit andere Sorgen als den Widerstand erzkonservativer Populisten im Kongress.
Es war ein denkwürdiges Zurschaustellen von Macht im US-Repräsentantenhaus: die Wahl von Kevin McCarthy zum neuen „Speaker of the House“. Mit McCarthy ist zwar ein machtbewusster Konservativer nun die Nummer drei der Vereinigten Staaten. Seine Hauptaufgabe aber wird es sein, die unterschiedlichen Fraktionen innerhalb der Republikaner zusammenzuhalten – vor allem die starken radikalen Kräfte. Diese „Caucus“ genannten Fraktionen spielten bereits bei seiner Wahl eine wichtige Rolle. Ganze 15 Wahlgänge brauchte es, bis er den Hammer, das Symbol des Vorsitzes über das US-amerikanische Abgeordnetenhaus, in Händen halten durfte, weil ihm radikale Abgeordnete wie Matt Gaetz oder Lauren Boebert hartnäckig ihre Stimmen verweigerten. Bis McCarthy letztlich mit ihnen einen Deal aushandelte. Sein politischer Kontrahent, der neue demokratische Minderheitsführer Hakeem Jeffries, gratulierte ihm und kündigte an, wo immer möglich mit McCarthy zusammenzuarbeiten. Mit Jeffries läuten die Demokraten die längst überfällige Nach-Pelosi-Ära ein. Die mittlerweile 82-jährige Nancy Pelosi war nahezu unangefochten 20 Jahre lang Fraktionschefin der Demokraten. Ihr Nachfolger versprach, sich dem Extremismus entgegenzusetzen – nicht nur dem von rechts. Jeffries gilt als Vertreter des moderaten linken Flügels der Demokraten.
Schwache Rolle als neuer Speaker
Um jedoch den Hammer von Demokraten-Urgestein Nancy Pelosi übernehmen zu können, musste Kevin McCarthy erhebliche Zugeständnisse an den „Freedom Caucus“ machen. Das einschneidendste für ihn: Mit nur einer Stimme kann nun ein Misstrauensvotum gegen den Speaker eingeleitet werden. Schon jetzt haben damit die radikalsten Kräfte der Republikaner einen bedeutenden Machtfaktor innerhalb des Repräsentantenhauses geschaffen, indem sie McCarthys Position in Händen halten, dazu mehrere Sitze in wichtigen Ausschüssen wie dem mächtigen Oversight Committee. Der „Freedom Caucus“ gilt als rechtspopulistisches Sammelbecken der Trump-Hardliner. Dass McCarthy ihnen schließlich sehr viel mehr Zugeständnisse machte als ursprünglich geplant, kann als Schwäche des neuen Speakers gedeutet werden.
Mächtigster Mann im Kongress aus den Reihen des „Freedom Caucus“ wird Jim Jordan. Als Vorsitzender des Justizausschusses wird der erzkonservative Jordan – auch dies ein Zugeständnis von McCarthy – sogleich einen Sonderausschuss berufen. Er soll überprüfen, ob die Regierung ihre Verwaltung und ihre Strafverfolgungsbehörden als „Waffe“ gegen die Meinungsfreiheit und vor allem gegen konservative Meinungen einsetzt. Diese schwammige Formulierung lässt dem Ausschuss einige Freiheiten. Zudem beschafft McCarthy dem Ausschuss die höchste Sicherheitsfreigabe, sodass er auch Zugriff auf Geheimdokumente erhält. Schon jetzt, so berichten US-Medien, regen sich im Justizministerium Zweifel an dem Ausschuss. Denn wenn ein politisches Gremium Zugriff auf teils laufende Prozesse wie diejenigen rund um die Erstürmung des Kapitols am 6. Januar 2021 erhält, sei die Unabhängigkeit der Justiz gefährdet, heißt es.
Besonders im Visier der konservativen Hardliner ist das Heimatschutzministerium. Dessen Minister Alejandro Mayorkas soll entlassen werden, weil an der Grenze sehr viel weniger Menschen abgewiesen werden als unter Bidens Vorgänger Donald Trump. Laut Daten der US-Grenzschutzbehörde übertraf die Zahl der „undokumentierten Grenzübertritte“ im Südwesten der USA im vergangenen Jahr eine Rekordmarke und liegt nun bei 2,76 Millionen Menschen. Des Weiteren suchen die Republikaner nach Beweisen, dass die Familie von Joe Biden in Delikte des Menschenhandels und anderer Straftaten bis hin zur Verletzung der Verfassung verwickelt sei, kündigte der Chef des Oversight Committee, James Comer, bereits kurz nach der Wahl an. Im Visier: Joe Bidens Sohn Hunter, der für ukrainische und chinesische Firmen gearbeitet hat, eine seit Langem von den Republikanern hartnäckig wiederholte, aber bislang unbewiesene Erzählung von Vorteilnahme und Finanzdelikten.
Außerdem soll die Verbindung zwischen dem FBI und dem Kurznachrichtendienst Twitter untersucht werden, angeblich habe die Regierung über das FBI die Meinungsfreiheit beschnitten. Unter anderem geht es um Tweets von Donald Trump rund um den Tag der Erstürmung des Kapitols.
Den Republikanern in dieser „geteilten Regierung“ geht es vorrangig darum, das Durchregieren der Demokraten zu erschweren. So wischte die Mehrheit als eine ihrer ersten Amtshandlungen die Einstellung von „87.000 neuen Finanzmitarbeitern“ vom Tisch. Das Geld, das die Regierung dafür freigegeben hatte, war jedoch nicht für Steuerfahnder, wie die Republikaner ihre Wähler glauben machen wollen, sondern für die Modernisierung der überalterten Systeme der Steuerbehörden gedacht.
Rückenwind für die Republikaner
Trotz des drohenden republikanischen Störfeuers kann Joe Biden weiterhin auf eine Senatsmehrheit und sein präsidiales Veto zu Gesetzen bauen. Die Konservativen aber sind derzeit das kleinere Übel: Biden gerät wegen der Aufbewahrung geheimer Regierungsdokumente in privaten Räumen zunehmend unter Druck. Bidens Berater Richard Sauber teilte mit, er habe im Privathaus des Präsidenten im Bundesstaat Delaware weitere fünf Seiten an vertraulichen Regierungsunterlagen gefunden. Bidens Mitarbeiter hatten zuvor bereits in mehreren Tranchen an verschiedenen Orten Unterlagen aus seiner Zeit als US-Vizepräsident entdeckt. Der Demokrat und das Weiße Haus stehen wegen ihrer Kommunikationspolitik in dem Fall stark in der Kritik. Die Republikaner im Kongress forderten, kaum verwunderlich, bei der Regierung weitere Informationen zu dem Fall an.
Biden war von 2009 bis 2017 Stellvertreter des damaligen Präsidenten Barack Obama. In den vergangenen Tagen wurde bekannt, dass vertrauliche Regierungsunterlagen aus dieser Zeit in privaten Büroräumen Bidens in Washington und in seinem Haus in Wilmington, Delaware, gefunden worden waren. In Wilmington entdeckten Mitarbeiter Geheimunterlagen unter anderem in Bidens Garage, was den Demokraten besonderen Spott einbrachte. Kein Wunder, dass die Republikaner angesichts der noch immer laufenden Untersuchung gegen Ex-Präsident Donald Trump wegen ähnlicher Delikte nun Rückenwind verspüren.
Nach zwei eher ruhigeren Jahren weht nun ein rauer Wind durch die Straßen Washingtons. Ein Vorgeschmack auf den Präsidentschaftswahlkampf im kommenden Jahr.