Plastik schadet Gesundheit und Umwelt. Das dürfte uns allen längst klar geworden sein. Die erfolgreiche Bloggerin und Buchautorin Nadine Schubert lebt seit 2013 fast plastikfrei. In Deutschland gilt sie damit als Vorreiterin. Dass Plastikvermeidung einfacher ist als gedacht, verrät sie im Interview.
Frau Schubert, für jeden Deutschen fallen jährlich 39 Kilogramm Plastikmüll an. Wie viel ist es bei Ihnen?
Gewogen habe ich es noch nicht. Aber bei uns genügt es, wenn ich die Gelbe Tonne zwei-, dreimal im Jahr rausstelle. Wobei da auch die Dosen reinkommen. Und wir haben viele Dosen, weil wir zwei Katzen haben.
Dosen werden aber besser recycelt …
Genau. Dosen sind zu 100 Prozent recycelbar. Und Katzenfutterdosen unterscheiden sich noch einmal gegenüber beispielsweise Ravioli-Dosen, denn sie sind innen nicht mit Kunststoff beschichtet.
Wie schaffen Sie es, so wenig Plastikmüll zu haben?
Indem ich den Müll erst gar nicht einkaufe. Wenn man sich seinen Müll einmal genau anschaut, erkennt man, dass der Großteil durch den Einkauf im Supermarkt anfällt.
Gerade in Discountern findet man viel Verpackungsmüll. Heißt das im Umkehrschluss, dass plastikfrei leben teurer und damit nur etwas für Besserverdiener ist?
Ich behaupte: Nein. Wenn ich natürlich anfange, Artikel auszutauschen, beispielsweise Milch im Tetra Pak gegen Milch in der Glas-Pfandflasche, dann ist die Milch in der Flasche natürlich teurer – jetzt sogar deutlich teurer.
Aber bei uns zum Beispiel ist es heute so: Ich konsumiere deutlich bewusster und weniger. Ich kaufe kein Putzmittel und kein Waschmittel. Ich mache viele Sachen selbst. Ich habe gelernt, dass ich nicht jedes Jahr neue Winterstiefel brauche, kaufe auch gern secondhand ein. Wenn man das alles zusammennimmt, dann spart man an einigen Stellen, wo man an anderen für Lebensmittel mehr ausgibt.
Mittlerweile sind Sie Profi, haben Ihren Haushalt und Ihr Leben umgestellt. Was hat Sie damals zu diesem Schritt bewogen?
Damals war Plastik kein Thema, das war nicht in den Medien wie heute. Man kannte nicht die schrecklichen Bilder von Tieren, die durch Plastik sterben. Und es war auch im Handel kein Thema. Ich habe 2013 eine Doku über Plastik und seine Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit gesehen. Danach wollte ich meine Familie nicht mehr mit Plastik „füttern". Eigentlich wollte ich nur keine Lebensmittel in Plastikverpackungen kaufen. Dass es so „ausartet" bei mir, damit konnte ich nicht rechnen. (lacht)
… das ist ja aber nur konsequent von Ihnen.
Man wusste damals aber noch nicht, was man heute weiß. Erst ein paar Jahre später hat man mehr über Plastikmüll und die gefährlichen Stoffe darin erfahren. Ich wusste ja auch nicht viel. Ich habe es aber für mich beschlossen und bin dann sehr konsequent. Das hat dazu geführt, dass ich in meinem Supermarkt, der zwischen Arbeit und Zuhause lag, nur noch wenig gekauft habe.
Heute machen Sie also vieles selbst, gehen in Unverpacktläden und zum regionalen Bauern, habe ich gelesen.
Ja genau. Das hilft mir in vielerlei Hinsicht, Plastik und Zeit zu sparen. Auch Geld geben wir dadurch nicht mehr aus. Beim Bauern geben wir für eine vorgepackte Kiste mit Obst, Gemüse, Käse et cetera nie mehr als 40 Euro aus – und das reicht für eine Woche für eine Familie mit vier Personen. Natürlich kaufe ich zusätzlich noch Reis und Nudeln. Ich würde sagen, wir kommen durchschnittlich mit maximal 100 Euro pro Woche aus.
Denken Sie denn, dass es ein Umdenken in der Gesellschaft gibt?
Was im Moment passiert, kann ich nicht sagen. Aber es hat schon ein Umdenken stattgefunden. Es hat ja auch einen Wandel im Handel gegeben, sozusagen. Entstanden durch die Nachfrage und den Druck der Kunden. Wenn man sich das Sortiment so anschaut, hat sich viel getan. Das haben wir uns selbst zu verdanken. Diese Bewegung, die dadurch entstanden ist und die ich, ohne jetzt groß etwas raushängen zu lassen, sicherlich mit angeschoben habe, weil ich die Erste in Deutschland war, die sich mit dem Thema befasst hat.
Es gibt heute schon sehr viele, die ihr Leben anders gestalten. Sie sehen es doch, wenn Sie einkaufen gehen. Es gibt viel mehr unverpacktes Obst und Gemüse als noch vor ein paar Jahren. Und es ist jetzt wieder, nach Corona, möglich, mit seinen eigenen Behältnissen einzukaufen. Das machen auch viele. Trotzdem sind wir noch nicht fertig, wir müssen noch weiter darüber sprechen.
Es hat sich natürlich schon viel getan. Und das deutsche Recycling-System wird oft hoch gelobt. Dabei werden nicht einmal 39 Prozent
des Plastiks tatsächlich recycelt.
Das ist ein großes Problem. Die meisten Verpackungen, zum Beispiel von Wurst und Käse, sind nicht einmal recycelbar. Weil die Folien aus unterschiedlichen Komponenten bestehen, die verschmolzen werden. Das kann man nicht mehr trennen. Das kann man nur verbrennen. Das ist ein Problem und auch ein bisschen Augenwischerei. Hier muss sich viel verbessern. Die Verpackungen müssen so verändert werden, dass sie tatsächlich recycelbar sind. Es könnten sehr viele Verpackungen, Folien zum Beispiel, viel dünner sein. Das würde im Umkehrschluss auch nur einen Bruchteil an Rohstoffen, meist fossiler Herkunft, erfordern. Aber das können wir Kundinnen und Kunden nicht alleine schaffen. Wir fühlen uns hier oft allein gelassen. Die Politik muss etwas tun. Sie könnte viel konsequenter sein.
Leider mahlen die Mühlen oft sehr langsam.
Da ist natürlich auch eine Lobby. Das haben wir jetzt in der Pandemie gemerkt, wer eine Lobby hat und wer keine. Die Pflegekräfte haben keine. Und alle Hersteller, da wo wirklich Geld verdient wird, da gibt’s eben eine. Aber wir haben das in der Hand. Die Macht, die wir haben, wir Bürgerinnen und Bürger, ist Geld. Über Geld regelst du alles. Es ist nicht umsonst etwas an dem Spruch „Geld regiert die Welt" dran. Wir entscheiden doch, wem wir unser Geld geben. Und wenn wir unser Geld für bestimmte Dinge nicht mehr ausgeben, dann verschwinden sie.
Haben Sie ein Beispiel?
Wir Kundinnen und Kunden haben Deos mit Aluminiumsalzen „abgeschafft". Vielleicht erinnern Sie sich, das war 2014/2015, da wurde ganz viel darüber berichtet und die Kunden wollten keine Deos mit Aluminiumsalzen mehr haben. Damals gab es nur ganz wenige, und heute steht auf fast allen Deos „ohne Aluminiumsalze". Das haben wir geschafft. Und zwar innerhalb weniger Wochen. Das können wir natürlich beeinflussen: Produkte, die nicht gekauft werden, werden verschwinden. Und das würde ich mir auch für Coffee-to-go-Becher, Kaffeekapseln und Babybel wünschen. (lacht)
Am 17. November halten Sie einen Vortrag im VHS-Zentrum in Saarbrücken. Was erwartet die Zuhörer?
Diese Vorträge sind immer eine tolle Gelegenheit, sich miteinander auszutauschen. Es ist ja nicht so, dass nur ich dort spreche. Ich gebe natürlich ganz viele Tipps, die die Leute am nächsten Tag ohne großen Aufwand umsetzen können. Ganz einfach und zum gleich Starten. Leben ohne Plastik ist unkomplizierter, als man denkt. Im Gegenteil, es macht auch Spaß, befreit auch irgendwie von diesem Konsumwahnsinn. Beim Vortrag sind auch oft Leute von der Gemeinde, von der Stadt da, denen man auch mal etwas auf den Weg mitgeben kann. Aber das geht natürlich nur, wenn auch die Leute, die es betrifft, die da leben, kommen und sagen, wo es bei ihnen fehlt und was sie sich wünschen würden. Diese Vorträge sind immer eine gute Gelegenheit, in den Dialog zu treten und vielleicht etwas anzustoßen. Es ist wichtig, dass man sich beteiligt. Denn wenn man nichts tut, dann ändert sich auch nichts. Reden hilft ganz viel.