Mitten im Wald im Zelt übernachten? An der Südlichen Weinstraße ist das erlaubt. Beim Wildnis-Trekking im Pfälzerwald marschiert man durch Haine mit Esskastanien, kehrt ein zur Weinprobe, klettert auf Sandsteinfelsen und blickt auf mittelalterliche Burgen.
Wenn sich der Vorhang der Nacht langsam über den Wald senkt, setzen sich die Wanderer ans Lagerfeuer. Holzscheite knacken, Funken sprühen, dunkelrot leuchtet die Glut. Alle rücken zusammen, schauen in die züngelnden Flammen. Für eine Auszeit vom Alltag in der Natur zu sein, tut nicht nur dem Körper gut, sondern auch der Seele. Doch die Abenteuerlust hat Grenzen: Das Feuer hält auch jene wilden Tiere auf Abstand, die im Pfälzerwald eigentlich das Hausrecht haben. So jedenfalls die Theorie. Doch ob das auch in der Praxis funktioniert? Ein spontaner Besuch von Fuchs und Reh wäre zwar ganz nett. Aber eine Rotte hungriger Wildschweine, die uns das Essen klaut? „Bei Begegnungen klatscht laut in die Hände", heißt es als Tipp im Infoschreiben des Trekkingplatzes, „das schreckt die Tiere in der Regel ab". Ihre Rucksäcke mit den Vorräten für die nächsten Tage hängen viele Wanderer also über Nacht in die Bäume – sicher ist sicher. Was aber raschelt da im Laub? Ist es nur eine neugierige Waldmaus?
Sandsteinfelsen prägen die Region
Später, zur Geisterstunde, ist die Stille dann fast mit Händen zu greifen. Es scheint, draußen sei wirklich nichts außer der Einsamkeit des Pfälzerwalds. Die Zelte stehen ein wenig abseits, für den Weg zum Plumpsklo liegt eine Stirnlampe neben dem Schlafsack. In einem Fünf-Sterne-Hotel bräuchte man so etwas natürlich nicht. Das Trekkingcamp liegt dafür mitten in der Natur und hat eine Million Sterne – mindestens! In der stockdunklen Neumondnacht glitzert am Himmel über dem Blätterdach der Bäume ein galaktisch funkelndes Firmament. Abenteuer und Abgeschiedenheit: Das lässt sich nach einem sehr langen Flug auf anderen Kontinenten erleben, in der Wildnis Afrikas, Amerikas oder Australiens. Aber eben auch zu Hause, gleich um die Ecke. Der Pfälzerwald ist das größte zusammenhängende Waldgebiet Deutschlands und bis heute noch weitgehend unzerschnitten. Zusammen mit dem nördlichen Teil der Vogesen in Frankreich bildet er ein grenzüberschreitendes, mehr als 3.000 Quadratkilometer großes Biosphärenreservat. Neben den dichten Wäldern auf dem Bergmassiv prägen Sandsteinfelsen die Region – hier nisten Kolkraben, Wanderfalken und Uhus. Fast hundert Burgen und Burgruinen sind Zeugnisse menschlicher Besiedlung, und am Ostrand geht der Pfälzerwald ins Rebenmeer der Weinstraße über.
„Das Wildcampen ist hier nicht erlaubt. Gerade in trockenen Sommern wäre ein Waldbrand fatal", sagt Peter Breitner, der sich im Winzerdorf Maikammer an der Südlichen Weinstraße bei der Freiwilligen Feuerwehr engagiert. Doch keine Regel ohne Ausnahme. Deshalb hat Peter Breitner noch ein zweites Ehrenamt. Er ist Campbetreuer eines Trekkingplatzes am Fuß der Kalmit, dem mit knapp 673 Metern höchsten Berg im Pfälzerwald. Die große Feuerstelle unter alten Kiefern bietet nicht nur Holzstämme zum Sitzen und einen Traumblick ins hügelige Hinterland, sondern auch ein einfaches Klohäuschen. Einen Mülleimer aber gibt es nicht: Was in den Wald hineingebracht wird, muss auch wieder hinaus. Wo genau sich der Trekkingplatz befindet? „Das halten wir lieber geheim und bitten Wanderer, die Koordinaten nicht in digitalen Karten zu veröffentlichen", sagt Peter Breitner. Denn nur jene, die vorher online für gerade mal 15 Euro pro Nacht ihr Plätzchen reserviert haben, dürfen dort von Anfang April bis Ende Oktober übernachten. Nur eine Nacht kann man bleiben – und zieht weiter. Für Abwechslung ist gesorgt, denn inzwischen gibt es 15 Trekkingplätze mit jeweils bis zu vier Lagermöglichkeiten. Alle Trekkingplätze liegen abseits der Dörfer und der üblichen Wanderwege. Wer unterwegs auch Bus und Zug nutzt, kann die Camps bei der Touristeninformation der Südlichen Weinstraße zwar in jeder beliebigen Reihenfolge buchen. Sinnvoller sind aber die Routenvorschläge, ob für den Kurztrip mit den Kindern oder für die anstrengende Zwei-Wochen-Tour.
Stromanschluss und W-Lan gibt es auf den Trekkingplätzen im Pfälzerwald selbstverständlich nicht. Müde Füße werden an heißen Sommertagen im Bach gekühlt, das Trinkwasser am Brunnen gezapft und zum Übernachtungsplatz getragen. Das inspiriert Wanderer zu nicht ernst gemeinten Kommentaren. Im Gästebuch des Trekkingplatzes beim Forsthaus Heldenstein, das sich auf der Komposttoilette befindet, ist zu lesen: „Konnte weder Pool noch Spa finden."
Das stimmt natürlich. Wobei man bei der Tour für diesen Reisemangel mehr als entschädigt wird. Vom Slevogtfelsen, benannt nach einem Landschaftsmaler, gibt es den ersten Blick auf die Reichsburg Trifels. Die zum Teil restaurierte Ruine war im Mittelalter ein bedeutendes Zentrum des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Im zwölften Jahrhundert war dort auch der englische König Richard Löwenherz eingesperrt. Heutige Besucher verlassen die Burg dagegen nur ungern – weil man sich dort auf einen Thron setzen kann, vor allem aber wegen der grandiosen Aussicht auf weitere Burgruinen und den Pfälzerwald.
Sanft geschwungene Hügel und viel Grün
Nachts ist es im Forst still und einsam. Tagsüber aber verläuft die Route ab und an in Sichtweite der Winzerdörfer am Fuß des Pfälzerwalds. Es zeigen sich sanft geschwungene Hügel, dicht bewachsen mit einem Meer aus Reben. Ein Stillleben in 1.001 Schattierungen von Grün liegt einem zu Füßen, ein Blätterteppich breitet sich aus bis zum träge dahinfließenden Rhein in der Ferne. Wie rotbraune Farbkleckse schauen daraus die urigen Dörfer hervor, wo Mandeln, Feigen, Zitronen und Aprikosen wachsen und auch Lebensfreude und Genuss erblühen. Lieblich ist in der Pfalz indes nur noch die Landschaft, nicht mehr der abgefüllte Rebensaft. Der süßlichen Liebfrauenmilch haben die meisten der einst vom Pfad der Tugend abgekommenen Winzer längst wieder Adieu gesagt. Leute wie Franz Wehrheim vom Bio-Weingut Dr. Wehrheim in Birkweiler verstehen sich als „Terroiristen", weil sie Weine herstellen, die zum Terroir der Region passen. „Sandstein, Muschelkalk, Keuper: In den Seitentälern der Südpfalz gibt es auf gleicher Höhe ganz unterschiedliches Gestein", sagt der junge Mann. Der Wald fungiert als Klimapuffer – er bringt Kühle im Sommer und Wärme im Winter.
Franz Wehrheims Rieslinge, Weißburgunder und Spätburgunder zählen zum Besten, was die Region hervorbringt. Beim Probeschluck im Weingut bleibt es also nicht. Zwar ist es etwas verrückt, wenn man sonst beim Gepäck auf jedes Gramm Gewicht achtet. Aber was soll’s: Der Wein schmeckt so gut, dass wir zwei Flaschen samt Weingläsern und Korkenzieher zurück in den Wald schleppen. Vom Quellwasser gut gekühlt, gibt’s die edlen Tropfen dann am Lagerfeuer.