In der Tea & Lobby Lounge des Hotels „Regent Berlin“ lässt sich viktorianischer Afternoon Tea samt Sandwiches und anderer Köstlichkeiten in allen Nuancen zelebrieren.
Kaum, dass wir einen time slot beim Afternoon Tea vereinbart hatten, schleicht sich im Kopf der Testerin schon der erste Ohrwurm ein: „I don’t drink coffee, I take tea, my dear“. Das ist die erste Liedzeile aus dem Song „English Man in New York“ von Gordon Matthew Thomas Sumner, auch Sting genannt. Der exzentrische Exil-Londoner Quentin Crisp soll den Popsänger zu seinem berühmten Lied inspiriert haben. Crisp ist kurz vor der Jahrtausendwende verstorben. In die nach wie vor lebendige britische Teekultur dürfen wir an diesem dunkelgrauen Winternachmittag eintauchen.
Knapp 1.000 Kilometer von der englischen Hauptstadt entfernt, betreten die Freundin und ich das „Regent Berlin“ am Berliner Gendarmenmarkt. Genau richtig zur Afternoon Tea Time passieren wir den Pianisten Leonhard Baumert an seinem Flügel und nehmen in der Tea & Lobby Lounge des Fünf-Sterne-Superior-Hotels Platz. Dort angekommen, landen wir in einer anderen Welt: Die Lounge sieht ein bisschen aus wie ein Lesezimmer aus der Serie „Downton Abbey“. Über unseren Köpfen befindet sich eine mit Stuck verzierte Decke und unter unseren Füßen ein orientalischer Teppich. Dazu ein einladendes Ledersofa, mahagonifarbene Biedermeierstühle, Spiegel, Gemälde und marmorne Wände. Empfangen werden wir von unserer Gastgeberin Barbara Hanimann, die uns als Tea Master – oder besser gesagt als Tea Mistress – begleitet. Die zuvorkommende Schweizerin nimmt uns Jacken und Mäntel ab und verstaut sie in der Garderobe. Dann dürfen wir Platz nehmen neben einem knisternden Kamin, auf dem eine antike Tischuhr thront. Was dann folgt – wie wäre auch anders zu erwarten gewesen – die Qual der Wahl unter drei Menüs und zahlreichen Teesorten. Soll es ein „Cream Tea“ sein mit Tee, Kaffee oder heißer Schokolade, begleitet von Scones, Clotted Cream und Marmelade? Oder eher der Klassiker „Regent Afternoon Tea“ mit zusätzlichen Leckereien wie Sandwiches, Früchtekuchen und Kleingebäck? Weder noch heißt unsere Devise an diesem Nachmittag, wir wählen die S-Klasse unter den Tee-Menüs.
Ursprung der Tea Time umstritten
Mit dem „Royal Afternoon Tea“ beginnen wir die britische Teezeremonie bei einem prickelnden Glas Veuve Cliquot. Ob es sich Catarina de Bragança in England auch hat so gut gehen lassen wie wir in Berlin? Ursprünglich wurde die Erfindung der viktorianischen Afternoon Tea Time Anfang des 19. Jahrhunderts Lady Anna Maria Stanhope, der Hofdame von Queen Victoria, zugeschrieben. Weil sie immer wieder Hunger zwischen dem Mittag- und Abendessen verspürte, habe sich die Duchess Tee und Sandwiches bringen lassen. Dazu soll sie dann ihre Freundinnen eingeladen und so ein neues Ritual etabliert haben.
Neuere Forschungen aber weisen auf Catarina de Bragança hin. Die Portugiesin, die den englischen König Charles II. ehelichte, könnte die eigentliche Tea-Time-Influencerin gewesen sein. In der portugiesischen Aristokratie war das Heißgetränk schon länger sehr beliebt. Das Land unterhielt bereits über seine im 15. Jahrhundert gegründete Kolonie Macau eine direkte Handelsverbindung nach China. Es waren auch die Portugiesen, die den Tee bereits im 16. Jahrhundert nach Europa brachten. Auch Catarina de Bragança war eine passionierte Teetrinkerin. Für ihre Vermählung mit Charles II. im Jahr 1662 soll sie sowohl losen Tee als auch Porzellan als Teil ihrer Mitgift mitgebracht haben.
Tee wurde im damaligen England nur als Medizin konsumiert. Doch die Portugiesin wollte auch in ihrer neuen Heimat nicht auf den morgendlichen Muntermacher als Teil ihrer täglichen Routine verzichten. In England setzte sie ihre Gewohnheit fort, sorgte damit für Aufmerksamkeit und machte das Teetrinken zu einem sozialen Event am englischen Hof. Es dauerte allerdings noch weitere Jahrzehnte, bis das Teetrinken die breite Masse erreichte und Tee im 18. Jahrhundert schließlich zum beliebtesten Getränk der Briten arrivierte.
An diesem Nachmittag fühlen wir uns weit in ferne Zeiten zurückversetzt. Das wissen auch andere zu schätzen. An diesem Nachmittag ist die Tee-Lounge königlich besucht. Kleine Gruppen und Paare machen es sich in dieser ganz besonderen Atmosphäre gemütlich. Kaum ein Platz bleibt ungenutzt. Daher ist eine Reservierung für die Tea Time von 14 bis 18 Uhr sehr empfehlenswert. Dann aber darf man auch das gesamte Zeitfenster auskosten – wenn man denn wolle, versichert unsere bezaubernde Tea Mistress. Manche Menschen würden hier Business-Meetings abhalten, andere kämen, um in Ruhe ein Buch zu lesen, erzählt die Schweizerin. Und ja, es gibt wahrlich unschönere Orte, an denen man kalte und hässlich-graue Wintertage verbringen kann. Eigentlich wäre das hier der perfekte Ort zum Überwintern. Tiere verkriechen sich zum Winterschlaf in ihre Höhlen. Und wir kämen endlich zum Lesen aller noch zu lesenden Bücher. Oder einfach zum entspannenden Socialising mit einer oder mehreren Freundinnen.
Wie gut, dass es diese Kultur auch auf den Kontinent geschafft hat. Am Tisch hinter uns unterhält sich eine sechsköpfige Gruppe im Rentenalter angeregt auf Englisch. Lässt sich „good old England“ selbst im Ausland die tägliche Teestunde nicht entgehen? Doch nach einem richtig poshen „British English“ klingt es nicht, was am Nachbartisch gesprochen wird. Meine Freundin tippt auf irisches Englisch. Am Ende des Nachmittags wird sich herausstellen, dass die Reisenden vom anderen Ende der Welt kommen –auf meine Nachfrage hin stellen sie sich als teebegeisterte Australier vor. Doch zuvor muss noch die Neugier befriedigt, müssen verschiedene Tees gekostet werden. Außer dem Classic English Tea gibt es etliche andere Sorten an Schwarz- und Grüntees. Die Freundin wählt aus den zahlreichen Teesorten Superior Oolong. Er sei einer der edelsten Tees, von dem im Jahr nur kleinste Mengen geerntet werden, weiß unsere Teemeisterin und gießt die dampfend-heiße Flüssigkeit gekonnt in die Porzellantasse. „Traumhaft!“, entfährt es meiner Begleiterin nach dem ersten Nippen.
Weißer Tee ist kaum fermentiert
Ich wähle einen White Yin Long und schmecke weiches Pfirsicharoma mit leicht herber Note. Der weiße Tee ist eine Rarität aus den Bergen der chinesischen Provinz Anhui. Barbara Hanimann erklärt uns, dass der weiße Tee ähnlich wie ein grüner Tee hergestellt wird. Anders als schwarzer Tee ist er kaum fermentiert. Die Blätter werden kurz nach der Ernte erhitzt und getrocknet, um die Fermentation zu unterbrechen. Den Namen erhält weißer Tee von dem feinen hellen Flaum, der die Teeblätter dieser Sorten bedeckt. Wie gut, eine Expertin an unserer Seite zu haben. Die 31-jährige Schweizerin hat sich in der Ronnefeldt Tea Academy in Frankfurt zur Expertin ausbilden lassen und hat jetzt einen „Tea Master Silver“.
Dann kommt für mich der Höhepunkt des Nachmittags – das Erkosten der Etagere. Unsere Teemeisterin rät uns, uns vom Herzhaften zum Süßen hinaufzuprobieren. Wir starten mit den Kanapees und kosten eines mit Tête de Moine und Birne, weich gebettet in ein Hefekissen. Wahrhaft köstlich. Und angenehm überraschend, wie die Freundin meint. Sie habe eher etwas Schweres erwartet. „Stattdessen kommt etwas Leichtes, wie die Luft des Berner Jura“, sagt sie und spielt damit auf die Herkunft des Käses an.
Weiter geht es mit einem krossen Foccacia mit gerösteter Beete an Sonnenblumenkern-Pesto. Nach diesem schmackhaften Entree folgen die legendären Tea-Time-Sandwiches: eines mit Truthahn und Preiselbeere, ein weiteres mit Räucherforelle an Dill-Senf-Mayonnaise und ein drittes, das sich „Devilegg“ nennt. Letzteres ist ein Eiersalat-Sandwich, das seinen leicht scharfen, „teuflischen“ Geschmack dem beigefügten Chili verdankt. Wahrlich britisch sind auch die warmen Scones mit cremiger Cornish Clotted Cream und der hausgemachten Erdbeerkonfitüre: simply delicious!
In den wahren Süßspeisen-Himmel gelangen wir aber erst auf der letzten Etappe unserer viktorianischen Zeitreise. Dort warten Walnuss-Makronen, Mini-Apfelstrudel mit Vanillesauce und Canelés darauf, mit gebührender Wertschätzung verspeist zu werden. Die Krönung allerdings ist der fruchtige Glühwein-Wackelpudding. Noch ein paar von diesen fabelhaften Nachmittagen und dann kann auch ich – wenn vielleicht nicht singen, so doch sagen: „I don’t drink coffee, I take tea, my dear“.