Wie macht sich die Hauterkrankung Neurodermitis bemerkbar? Was sind ihre Ursachen und was kann man dagegen tun? Über das und vieles mehr spricht Prof. Dr. med. Claudia Pföhler von der Universitätshautklinik Homburg.
Frau Prof. Dr. Pföhler, können Sie kurz erklären, um was es sich bei Neurodermitis handelt?
Bei Neurodermitis handelt es sich um eine chronisch entzündliche, mit Juckreiz einhergehende Hauterkrankung. Der Aufbau der Haut hat sich verändert, sogenannte Kittsubstanzen fehlen, die die Haut schützen. Dadurch können Keime, die nicht auf die Haut gehören, sich leichter ansiedeln.
Wie äußert sich die Neurodermitis?
Die Haut ist trocken, schuppig, gerötet und juckt. Befallen sind häufig Gesicht, Nacken, Hals, Armbeugen und Kniekehlen. Viele Betroffene schämen sich deshalb, kurzärmelige Kleidung zu tragen. Ihre Mitmenschen reagieren oft auch mit Abwehr, haben Angst, sich anzustecken. Doch Neurodermitis ist nicht übertragbar durch Hautkontakt. Sie ist eine genetisch bedingte Erkrankung, sie wird also vererbt.
Sind genetische Faktoren ausschließlich ursächlich?
Die genetische Veranlagung allein macht noch nicht krank. Sie begünstigt jedoch ihr Ausbrechen im Zusammentreffen mit ungünstigen Umwelteinflüssen. Wir kennen heute eine Reihe von äußeren Faktoren.
Dazu zählen unter anderem häufiges Waschen, Hausstaubmilbenkot, Pollen, Tierhaare, Kuhmilch, Hühnerei, Weizen oder Soja, irritierende Stoffe auf der Haut, wie zum Beispiel Kleidung aus Schafwolle oder synthetischen Fasern, Kontakt mit Reinigungsmitteln, Duft- oder Konservierungsstoffen in Kosmetika, Kälte, Trockenheit, Umweltgifte oder psychische Belastung und Stress.
Viele sind wissenschaftlich nicht belegt, können aber, je nach Sensibilität des Patienten, den Krankheitsverlauf beeinflussen. Man muss individuell herausfinden, welche Faktoren den eigenen Krankheitsverlauf verstärken und worauf man deshalb besser verzichtet.
Wie verläuft die Erkrankung?
Die Erkrankung tritt häufig im Säuglings- und Kindesalter auf. Weltweit kann man ein deutliches Nord-Süd-Gefälle feststellen. Menschen in nördlichen Regionen mit heller Haut sind häufiger betroffen als Menschen in südlichen Regionen.
Die Krankheit verläuft schubweise, beschwerdearme oder symptomfreie Phasen wechseln sich ab. Vieles heilt die Zeit. Heilbar ist Neurodermitis allerdings nicht. Doch mittlerweile verfügen wir über eine Reihe vielversprechender Therapieansätze, die ein Leben mit Neurodermitis leichter machen. Betroffene leiden zusätzlich häufig unter Heuschnupfen und allergischem Asthma.
Sie sagen, im Laufe der Lebensjahre verändert sich das Erscheinungsbild einer Neurodermitis. Wie entwickeln sich die typischen Symptome über die Jahre?
Im Säuglingsalter gehen die juckenden Rötungen der Haut häufig mit Krustenbildung am Kopf („Milchschorf"), im Gesicht sowie an der Außenseite des Arms und der Knie einher.
Bei Kleinkindern und Jugendlichen sind eher die Gelenkbeugen, der Nacken, die Handgelenke und die Hände betroffen.
Im Erwachsenenalter ist die Lokalisation der betroffenen Stellen ähnlich. Nun treten häufig auch stark juckende Knötchen auf.
Egal in welchem Alter, der Juckreiz ist allgegenwärtig und kann den ganzen Tag über anhalten. Konzentrationsschwächen sind deshalb keine Seltenheit, da der Patient auf seinen Juckreiz fokussiert ist. Nachts wird dieser oft intensiver. Die Patienten klagen über Schlafschwierigkeiten, da sie sich ständig kratzen wollen. Der Leidensdruck ist riesig.
Welche Therapien helfen in dieser Situation?
Da Neurodermitis nicht geheilt werden kann, zielen unsere Therapien darauf ab, Symptome ganz verschwinden zu lassen beziehungsweise sie zumindest zu lindern und beschwerdefreie Phasen zu verlängern. Je nach Schweregrad der Erkrankung orientieren wir uns an einem vierstufigen Behandlungsschema. Im Rahmen der Basistherapie klären wir den Patienten und sein Umfeld auf und schulen ihn in Hautpflege und Umgang mit Hautschutzpräparaten und raten ihm, klinisch relevante Allergene zu meiden, wie zum Beispiel Latexmatratzen oder Kleidung aus synthetischen Stoffen. Wichtig ist, dass der Patient lernt, seine trockene Haut feucht und geschmeidig zu halten und ihre Schutzfunktion zu verbessern. Ganz wichtig für alle Schweregrade ist: Was rausgeduscht oder rausgebadet ist, kann nur schlecht wieder reingecremt werden. Deshalb: Duschgewohnheiten überprüfen! Kein Duschgel! Keine Kernseife!
Bei leichtem Ekzembefall setzen wir entzündungshemmende Wirkstoffe ein. Bekannt sind hier sicherlich schwach wirksame cortisonhaltige Salben. Allerdings sind die Nebenwirkungen von Cortison nicht zu vernachlässigen. Bei längerer Anwendung führt Cortison zu dünnerer Haut, Einblutungen und begünstigt Keimansiedlungen. Bei langfristiger Einnahme von Cortison zum Beispiel als Tabletten droht Gewichtszunahme, Fettumverteilung, Veränderung des Blutzuckerstoffwechsels und Knochenschwund. Aus diesem Grund kommen neuerdings Cortisonersatzstoffe (sogenannte Calcineurininhibitoren) zur Anwendung. Diese kommen ursprünglich aus der Transplantationstherapie. Sie wirken immununterdrückend und helfen, Cortison einzusparen.
Stellen wir einen Keimbefall der Haut fest, verabreichen wir Antiseptika. Früher griff man da noch zu Antibiotika.
Beim Auftreten von moderaten Ekzemen kommen stärker wirksame Präparate, wie Tacrolimus oder potentere Glukokortikoide infrage, zusätzlich Nasswickel, psychologische Beratung, Klimatherapie und UV-Strahlen. Bei der UV-Bestrahlung muss man jedoch auch immer das Risiko im Blick behalten, dass durch die Strahlen auf lange Sicht ein erhöhtes Hautkrebsrisiko entsteht.
Hat der Patient anhaltende und schwere Ekzeme, hilft oft nur noch eine stationäre Behandlung, bei der wir eine systemische Therapie mit Wirkung auf das Immunsystem einsetzen.
Gibt es neben der medikamentösen Behandlung noch ergänzende Therapien?
Eine Vielzahl an nichtmedikamentösen Verfahren sind zum Teil klinisch erprobt. Dazu zählen zum Beispiel Immunabsorption, extrakorporale Photopherese, Gabe von essenziellen Fettsäuren sowie von Laktobazillen zur Stärkung der Darmflora und des Immunsystems sowie Phototherapie und Eliminationsdiäten. Nicht alle diese Verfahren sind durch klinische Studiendaten belegt, viele werden von den Krankenkassen nicht getragen.
Manche Patienten haben gute Erfahrungen gemacht mit einfachen Schwarzteeumschlägen und dem Verzicht auf säurehaltige Lebensmittel. Bei Babys hat Wäsche, in die Silberfäden eingewirkt waren, geholfen. Silber tötet Bakterien ab und reduziert so die Besiedelung der Haut mit bestimmten Keimen.
Sie forschen viel auf dem Gebiet der Biologika. Haben sich hieraus neue Therapieansätze ergeben?
In der Tat sind diese Forschungsergebnisse bahnbrechend. Wir behandeln mit zwei neuen Antikörpern, die wir in den Bauch spritzen. Sie wirken zielgenau im Immunsystem, sie haben keine Auswirkungen auf den Stoffwechsel, haben keine Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten, die Neurodermitis-Patienten häufig nehmen, und helfen uns, die Cortisongabe zu reduzieren. Diese Mittel sind aber sehr teuer, pro Quartal fallen Kosten von rund 4.000 Euro an. Sie kommen nur in Fällen von schwerem Ekzembefall zum Einsatz. Das sind sozusagen „Wundermittel", wenn sonst nichts geholfen hat.
„Wir behandeln mit zwei neuen Antikörpern, die wir in den Bauch spritzen"
Zu meinen Patienten zählte zum Beispiel eine Frau, die so schlimme Beschwerden durch ihre Neurodermitis hatte, dass sie ihren Job verloren hat. Sie traute sich nicht mehr aus dem Haus, weil sie so schlimme Ekzeme und Kratzspuren hatte. Sie verbrachte ihren Tag auf dem Sofa, sie wollte sich sogar umbringen. Dank der neuen Medikamente hat sich ihre Haut erholt, mittlerweile ist sie wieder berufstätig. Und das nach zehn Jahren Arbeitslosigkeit.
Was raten Sie Patienten mit Neurodermitis bei der Berufswahl?
Unsere Patienten müssen sich im Klaren sein, dass ihre Erkrankung sie ein Leben lang begleiten wird. Sie werden immer mehr Zeit zur Hautpflege benötigen als Altersgenossen ohne Hautprobleme. Im Schnitt müssen sie täglich 20-30 Minuten ihre Haut mit rückfettenden und feuchtigkeitsspendenden Pflegeprodukten schützen. Berufe wie zum Beispiel in der Kranken- oder Raumpflege, Friseur, Maler, Bäcker sollten eher gemieden werden. Ist es der Herzenswunsch trotz eigener Erkrankung in einem hautbelastenden Beruf zu arbeiten, sollte von Anfang an auf gute Hautschutzmaßnahmen geachtet werden.
Einer meiner Patienten hat sich nichts sehnlicher gewünscht, als Bäcker zu werden. Er musste im zweiten Lehrjahr seiner Ausbildung leider abbrechen. Neben einer Verschlimmerung seiner Handekzeme trat zusätzlich noch eine Mehlstauballergie auf. Er bekam das sogenannte Bäckerasthma. Für ihn bedeutete das eine berufliche Katastrophe. Gottlob fand er bald eine neue Lehrstelle und ist heute als Anlagentechniker glücklich.