Entstanden fernab des Mainstreams wollte Grunge dort auch lange bleiben. Hat aber nicht geklappt – Bands wie Nirvana sei Dank. Bis heute ist der hippe Flodderlook einfach von keinem Catwalk wegzudenken und überall auf den Straßen zu Hause.
Dreckig, gammelig und eine Spur verrucht. Entstanden in den 1970er-Jahren hat es der Grunge nicht lange im Untergrund ausgehalten und sich schnell an den Modehimmel gekämpft. Doch wie kam es eigentlich zu einem Style, der aus tiefster Seele keiner sein will? Schuld sind Musiker wie The Stooges, Iggy Pop oder Neil Young. Sie versetzten eine ganze Generation in Ektase mit ihren rockigen Gitarrenriffs und wendeten sich gleichzeitig gegen jeglichen modischen Mainstream. Musik und Style bilden eben eine untrennbare Verbindung in vielen Genres, auch im Grunge. Der endgültige Durchbruch der Lotterkleidung fand schließlich mit dem Aufstieg von Nirvana unter Frontsänger Kurt Cobain statt. Der stand wie kein Zweiter mit seinen XXL-Löcherpullis und ebensolchen Jeans für einen Bühnenlook, der überraschend unspektakulär daherkam. Dazu die strähnigen blonden Haare und das dunkle Augen-Make-up. Eine Mischung aus abgerockt und gerade aus dem Bett gestiegen, dazu ein großes Maß innerer Lässigkeit war das, was die Massen bewegte. Spätestens mit dem Erfolg eines der meistverkauften Alben der Geschichte – „Nevermind" – schien klar: alles egal!
Eine große Portion innerer Lässigkeit
Übersetzt bedeutet „Grunge" nichts anderes als Schmutz. Die Vereinigung von klassischer Arbeiterkleidung und Punkstyle schaffte etwas Neues, was gleichzeitig so alt aussah, wie es nur ging. Das Besondere daran: Lottrig sein mit Stil – das konnte jeder umsetzen. Egal ob in der Schule, am Arbeitsplatz oder in der Freizeit. Sogar namhafte Designer wie Marc Jacobs ließen sich davon inspirieren und schafften eigene Kollektionen. Die wohl aufsehenerregendste des Stardesigners datiert vom Frühjahr 1993 und war für das US-amerikanische Sportlabel Perry Ellis. Die plötzliche Verbindung von Couture-Style und Jugendbewegung machte Mode für die breite Masse zugänglich. Eine Idee, die Jacobs den Weg nach ganz oben ebnen sollte. Bis heute bleibt Grunge ein Stil für die Massen! Die Keypieces sind dabei schnell aufgezählt: Destroyed Denim, Flanellhemden, Strickpullis im XXL-Format, Bandshirts und bequeme Boots oder Chucks. Bei jedweder Kleidung geht es darum, sie so chaotisch, lässig und flapsig aussehen zu lassen, wie es nur möglich ist. Das Aushängeschild des Stils bildet das Flanellhemd, ein echter Klassiker der Arbeiterkleidung. Unaufgeregte Farben und das typische Karomuster machen das Hemd an kühlen Tagen optimal, um es sich locker über das Bandshirt zur Jeans zu werfen und damit einen Lagenlook zu entwerfen, wie er im Buche steht. Kurze Hemden oder Jacken über langen Shirts oder Pullovern, feiner Strick über grober Jeans. Vorteilhaft bei dem Lagensystem ist nicht nur der Gesamtlook, sondern auch der praktikable Nutzen. Egal wie das Wetter wird, man ist stets bereit und passend gekleidet. Doch zurück zum Flanellhemd, das ist ein Muss, wahlweise in gefütterter Variante für den Winter und aus einfachem Leinen oder Baumwolle für die warmen Monate. Gute Anlaufadressen für den nächsten Shoppingtrip sind C&A, Westborn oder auch holz-brueder.de. Das Hemd darf ruhig eine maskuline Note mit sich bringen. Wer kann, der schnappt sich einfach eines aus dem Kleiderschrank des Freundes. Das ist dann schon gewünscht XXL und vollkommen kostenlos noch dazu.
Das nächste Keypiece bedeckt die Beine: die Jeans. Die gehört als echtes Basic ohnehin in jeden Kleiderschrank. In diesem Fall in zerstörter Ausführung. Löcher sind nicht nur erlaubt, sie sind ein Muss. Street One, About You und Bonprix sind einige der Anlaufadressen für coole Exemplare zum günstigen Preis. Da zerschlissene Jeans schon seit Jahren immer wieder groß in Mode sind, gibt es sie bei so gut wie jedem Label, auch bei Designern in der Luxusausführung. Wer kein Geld ausgeben mag, der kann auch hier einfach selbst im Kleiderschrank nachschauen, welche alten Jeans ohnehin ausgemistet werden sollten. Dann reicht der Griff zur Schere, um sie kreativ zu zerstören. Das schenkt dem Ganzen eine besonders individuelle Note. Um den Look zu komplettieren braucht es das viel gerühmte Bandshirt. Hiermit drückte man schon in den 1970er-, 80er-und 90er-Jahren seine Zugehörigkeit zu einer Gruppe aus und outete sich als Fan. Noch immer gibt es Bandshirts berühmter Künstler online und offline zu kaufen. Schon wenige Euro reichen aus, um das perfekte Stück zu ergattern. Daneben bieten sich auch Flohmärkte für die Suche nach alten Schätzen an. An kalten Tagen hilft der Lagenlook weiter. Schlichte Langarmshirts unter dem T-Shirt sorgen für Wärme.
Fehlt noch etwas Entscheidendes: die Schuhe. Hier haben Fans bequemer Treter die Wahl zwischen Chucks oder Docs. Beide dürfen gern abgeranzt sein. Während Chucks („Converse Chuck Taylor"-Schuhe) besonders für den Sommer geeignet sind, schwören Grunge-Fans auf Docs („Doc Martens"-Boots) im Winter. Sie halten den Fuß schön warm, sind ausgesprochen robust und erinnern an die Arbeiterschuhe der früheren Jahrzehnte.
Layering von Oversize-Kleidung
Was einseitig klingt, hat in der Mode aktuell seine wahre Vielfalt entfaltet. Topmodels wie Kate Moss zeigen sich gern in Luxus-Grunge-Varianten auf der Straße. Sie war es auch, die damals Marc-Jacobs-Entwürfe über den Laufsteg führte. Bis heute scheint sie dem Stil treu geblieben zu sein. Einfach zu stylen, rebellisch und mit einem kleinen Twist. Was niemals Mainstream sein wollte, ist es nun erst Recht geworden. Da überrascht es nicht, dass Grunge immer wieder neu aufflammt, zuletzt 2021. Designer nutzen gern die zahlreichen Einflüsse für ihre Kollektionen. Heraus kommen Kreationen aus Leder, Vinyl verbunden mit dem Drang zu dunklen Farben und mutigen Cuts. Zu sehen war das unter anderem bei Balmain, Sportmax, Chanel und sogar Christian Dior.
Zugegeben, statt lottrig geht es trotzdem halbwegs elegant zu auf den großen Schauen, und doch kommen Beobachter nicht umhin zu bemerken, wie viele Details dieser Bewegung Einzug in die unterschiedlichen Entwürfe gehalten haben. Layering von hippen XXL-Mänteln im typischen Karo-Print, Miniröcke zu derben Boots, schwarze semitransparente Samtröcke zu Volantblusen und Zylindern. Dazu schwere Ketten um den Hals, Silberringe an den Fingern und teilweise verspielte Details wie Broschen, Hüte, Sonnenbrillen und Ähnliches. Neben dem vielerorts dominierenden Schwarz dürfen auch Leoprints oder Streifenmuster die Design-Basics aufwerten. Die Schnitte sind mal übergroß, dann wieder verführerisch sexy mit gezielten Cut-outs. Wichtig ist, dass alles mit einem Augenzwinkern präsentiert wird, immer locker und gern verspielt. Das alles kann eine modische Ausdrucksform des Grunge sein. Getragen wird, was gefällt, aber gern etwas mehr davon! Das steht jedem gut zu Gesicht, hier ist keine Geschlechtertrennung zu entdecken. Auch Männer tragen abgerockte Jeans, vergilbte Bandshirts, Ketten um den Hals und vieles mehr. Da kann ein getrennter Kleiderschrank leicht zu einem gemeinsamen werden.
Eine Stilrichtung, um sich richtig auszutoben
Das Make-up dazu kann sich in zwei Richtungen entwickeln. Der No-Make-up-Look ist ideal, denn mehr Unaufgeregtheit geht nicht. Dazu das Haar locker herunterfallen lassen oder einen Undone-Pferdeschwanz zaubern. Ganz Mutige steigen einfach aus dem Bett, schmeißen sich in ein paar Jeans und mutieren zu Trendsettern. Wer etwas Aufwand riskieren möchte, der wählt einen dunkelroten Lippenstift und schminkt sich Smoky Eyes. Dazu den Eyeliner leicht verschmieren und schon sitzt der rockige Statement-Look. Messy-Waves ins Haar gezaubert machen etwas Arbeit, aber das sieht man zum Glück nicht. Angestrengt unangepasst zu sein – was für ein Modehimmel für all jene, die sich schon immer mal richtig austoben wollten ohne dabei auf hohen Stelzen durch die Straßen zu stöckeln. Es scheint eine Rückkehr zum „Teen Spirit" zu geben, der kaum mehr aufzuhalten ist. Also: Nevermind!