Union Berlin erlebt ein fantastisches Jahr 2022, doch im Schlussspurt geht dem Team etwas die Puste aus. In der wegen der WM sehr langen Winterpause gibt es für das Team einiges aufzuarbeiten.
Mit einer gewagten Ansage verabschiedete sich Union Berlin in die lange Winterpause. „Um das noch kurz klarzustellen“, schrieb der Club auf Twitter: „Der 1. FC Union ist die beste Mannschaft auf der Welt.“ Dass mit „beste“ nicht unbedingt das Attribut „erfolgreichste“ gemeint war, dürfte allen klar sein. Nach den jüngsten drei Rückschlägen in der Fußball-Bundesliga sowieso: 0:5 bei Bayer Leverkusen, 2:2 gegen den FC Augsburg, 1:4 beim SC Freiburg. „Die Enttäuschung ist spürbar“, sagte Trainer Urs Fischer. Der missratene Schlussspurt soll aber die Freude über das ansonsten herausragende Jahr 2022 für Union nicht zu sehr trüben. „Wahnsinn, was die Mannschaft geleistet hat. Wir stehen mit 27 Punkten da, überwintern europäisch, sind noch im Pokal dabei – das ist fantastisch“, sagte Fischer. Der Schweizer gab aber auch zu: „Den letzten Eindruck nimmst du mit.“ Und zwar in eine zehnwöchige Pause, ehe am 21. Januar im Heimspiel gegen die TSG Hoffenheim wieder der Ball rollt.
Zeit, die letzten Spiele aufzuarbeiten
Bis dahin gilt es, die drei sieglosen Spiele aufzuarbeiten. Vor allem die Pleite gegen Freiburg wirkt nach, die ersten 20 Minuten mit zwei Gegentoren und der Roten Karte von Diogo Leite waren so gar nicht Union-like. „Die erste Halbzeit war ein Albtraum“, sagte Mittelfeldspieler Paul Seguin, „danach war das Spiel gelaufen, es ging nur noch um Schadensbegrenzung“. Auch Abwehrchef Robin Knoche, der defensiv einen rabenschwarzen Tag erwischte und offensiv einen Elfmeter zum möglichen 1:2-Anschlusstreffer vergab, haderte: „Die Anfangsphase hat uns einfach gekillt. Dann ist es schwer, in Unterzahl hier zurückzukommen. Wir hatten nur zu tun, hier nicht die Hütte vollzubekommen.“
Immerhin das gelang in der zweiten Halbzeit, „die haben wir mit Anstand zu Ende gespielt“, meinte Fischer. Allerdings vor allem deswegen, weil der Gegner sichtbar einen Gang zurückgeschaltet hatte. Im ersten Durchgang hatte der SC die Berliner förmlich überrollt, mit geschickten Chipbällen und schnellen Seitenwechseln wurden immer wieder Lücken in die Dreier-Abwehrkette der Gäste gerissen. „Eigentlich waren wir bestens darauf eingestellt, dass sie über die Außen hinter die Kette kommen“, sagte Knoche. Doch in der Praxis konnte das Team die Vorgaben des Trainers nicht umsetzen. „Wir haben es Freiburg viel zu einfach gemacht“, kritisierte Fischer: „Von Organisiertheit und Kompaktheit war nichts zu sehen.“ Dies sei nach der 0:5-Pleite eine Woche zuvor in Leverkusen nun schon zum zweiten Mal passiert, „das ist das, was nervt“, sagte Fischer deutlich, „da haben wir etwas aufzuarbeiten“.
Das wird noch vor dem Jahreswechsel geschehen. Zwischen November und Dezember plant Union sowohl Trainingseinheiten als auch Urlaub. Der eigentliche Trainingsstart ist für Anfang Januar geplant. Bis dahin sollen die Akkus nach den strapaziösen letzten Wochen neu aufgeladen werden – auch bei Fischer. „Ich freue mich, wieder in meine Heimat zu fliegen und meine Familie zu sehen“, sagte der Schweizer. Dort werde er sich auch „das ein oder andere WM-Spiel“ im Fernsehen anschauen. Rani Khedira wird er in Katar nicht spielen sehen, bei der WM-Nominierung von Bundestrainer Hansi Flick fehlte dessen Name ebenso wie der von Robin Knoche. „Rani hat es sportlich aufgenommen“, verriet Fischer aus einem kurzen Vier-Augen-Gespräch mit seinem Mittelfeld-Stabilisator: „Es ist auch unheimlich schwierig, als Nationaltrainer die richtigen 26 Spieler auszusuchen.“
Bei Union ist Khedira unersetzbar, das zeigte sich auch gegen Freiburg, als er gelbgesperrt gefehlt hatte. „Rani ist für unsere Balance, für unser Gleichgewicht zuständig“, so Fischer. An seiner Stelle durfte Seguin erstmals in dieser Saison von Beginn an ran. Werbung in eigener Sache konnte Seguin auch aufgrund des unglücklichen Spielverlaufs nicht betreiben. Ob es mit Khedira anders gekommen wäre, ist spekulativ.
Auch Sheraldo Becker fliegt nicht zur WM, die surinamische Nationalmannschaft konnte sich nicht für die Endrunde in Katar qualifizieren. Beim Spiel gegen den FC Augsburg (2:2) hatte Becker noch seine persönliche Torflaute beendet, dem ersten Tor nach zuvor sechs Spielen ohne Erfolgserlebnis ging Becker gegen Freiburg aber erneut leer aus. Für Jordan Siebatcheu, der zu Beginn der Hinrunde mit Becker noch ein kongeniales Sturm-Duo gebildet hat, lief es in den letzten Spielen vor der Ligapause sogar noch schlechter: Gegen Freiburg schmorte der Franko-Amerikaner das komplette Spiel auf der Bank, zuvor gegen Augsburg durfte er nur sechs Minuten ran. „Es wird immer auf Tore geschaut. Wenn aber beide Sturmspitzen nicht mit Bällen gefüttert werden, ist es schwierig, Tore zu erzielen“, verteidigte Fischer seine außer Form geratenen Torstürmer: „Die letzten Pässe auf den letzten 30 Metern waren zu unpräzise, dann siehst du als Stürmer oft auch nicht gut aus.“
Fahrige Abwehr, wenig Chancen im Sturm
Gegen Freiburg sahen aber auch die Abwehrspieler schlecht aus, was auch den gegnerischen Trainer Christian Streich etwas überraschte. Er attestierte Union generell ein „unfassbar taktisch gutes Verteidigungsgen“, gegen das man nur einer „festen Überzeugung“ bestehen könne. Die brachte Freiburg auf und eroberte so den zweiten Tabellenplatz der Berliner, die ihrerseits auf Rang fünf zurückfielen. Ein Drama ist das nicht, der Abstand zum SC beträgt nur drei Punkte.
Während künftige Auftritte in der Champions League also weiter möglich sind, klingt bereits die Zwischenrunde in der Europa League nach Königsklasse: Ajax Amsterdam. Der niederländische Rekordmeister ist eigentlich Dauergast in der Champions League, musste durch den dritten Platz in der Vorrunde aber den „Abstieg“ in den zweithöchsten europäischen Club-Wettbewerb antreten. Union freut sich auf einen großen Namen mit viel Renommee, großen Talenten – aber auch mit einigen Problemen in dieser Saison.
„Union gegen Ajax Amsterdam – das ist ein tolles Los und klingt für uns nach Europapokal-Glanz“, kommentierte Geschäftsführer Oliver Ruhnert das Traumlos: „Die Favoritenrolle ist hier natürlich ganz klar verteilt, aber wir freuen uns riesig auf diese beiden Partien und werden unsere Chance suchen“. Und Unions niederländischer Innenverteidiger Danilho Doekhi, der die berühmte Ajax-Nachwuchsausbildung durchlaufen ist, freut sich vor allem auf den Auftritt im Johan-Cruyff-Stadion: „Im Stadion herrscht eine tolle Atmosphäre, besonders für die Fans.“
Unions Chancen sind nicht so minimal, wie es auf dem Papier scheint. In der Hinrunde der heimischen Liga war das Team von Trainer Alfred Schreuder, der in den vergangenen Wochen als neuer Coach des VfB Stuttgart gehandelt worden war, nicht so dominant aufgetreten wie gewohnt. Das jüngste 3:3 beim Abstiegskandidaten FC Emmen war eine große Enttäuschung. Es gilt als sehr wahrscheinlich, dass Ajax das zweite Transferfenster nutzten und sich vor den beiden Duellen gegen Union am 16. und 23. Februar noch mal kräftig verstärken wird. Das Geld für die Shoppingtour soll der Verkauf des wechselwilligen Edson Álvarez bringen.