Von der Erstrettung am Unfallort bis zum stationären Aufenthalt: In der Gesundheitsbranche sind kommerzielle Ziele oft wichtiger als optimale Versorgung der Patienten. Eine Krankenhausreform soll das ändern – aber die Probleme liegen tiefer.
Ein typischer Einsatz der Berliner Feuerwehr an einem Dienstag-Nachmittag im Januar in Mitte – Verkehrsunfall. Ein Notarztwagen trifft kurze Zeit später ein, die junge Frau wird nach Augenschein des ersten Notfallsanitäters äußerlich als nur leicht verletzt eingestuft. Er will auf Nummer sicher gehen, der obere Halswirbel könnte durch den Aufprall auf einen anderen Wagen etwas abbekommen haben, darum soll die Frau doch in einer Spezialklinik auf eine mögliche Fraktur untersucht werden. Damit ist der Vor-Ort-Dienst der Ersthelfer an der Patientin erst mal erledigt. Dann beginnt für den zweiten Mann neben dem Fahrer der Notarztwagenbesatzung der eigentliche Dienst. Er telefoniert die entsprechenden Kliniken ab, um zu erfahren, wo der Frau am schnellsten geholfen werden kann. Sie bekommen eine Notaufnahme fast zehn Kilometer entfernt im Südwesten zugewiesen. Im ländlichen Bereich sicherlich keine Entfernung, doch im Berliner Stadtgebiet mitten im anbrechenden Berufsverkehr mit Blaulicht eine mehr als 20-minütige Fahrzeit. Ein Krankenhaus, keine fünf Minuten entfernt, musste wegen völliger Überlastung seiner Notfallmediziner ablehnen.
„Solche Situationen erleben wir Rettungsteams auf dem RTW jeden Tag“, so Feuerwehrmann Robert. Seinen vollen Namen will er nicht nennen. Das ist ein heikles Thema, auch bei der Feuerwehr, die in Berlin hauptsächlich für die Erstrettung zuständig ist. In der Notaufnahme angekommen, übernimmt der örtliche Notarzt.
Lange Wartezeiten in der Rettungsstelle
Sein Befund ist, dass der Halswirbel der jungen Frau durch eine Fraktur betroffen sein könnte, das soll geprüft werden. Da es für Sofortmaßnahmen keine Veranlassung gibt, muss die eingelieferte Patientin neben einem Dutzend anderer Patienten auf dem rollenden Klinikbett im Wartesaal der Notaufnahme anderthalb Stunden warten. Dann wird sie endlich näher untersucht und eine Computertomografie gemacht. Es ist der erste Augenblick, in der die Klinik tatsächlich an der Behandlung der eingelieferten Patientin Geld verdient. „Das ist das Problem für uns von der Feuerwehr, mit der Notaufnahme verdienen die Klinikkonzerne kein Geld, darum arbeiten die seit Jahren da immer auch mit Notbesetzung. Ob da die jetzt angestrebte Krankenhausreform etwas ändern wird, glaube ich eher nicht“, so Feuerwehrmann Robert.
Nicht nur die Krankenhäuser sind auf Gewinn getrimmt, sondern auch das Rettungswesen, auch bei der Berliner Feuerwehr. Kommt ein Notfall-Auftrag über die Funkleitstelle am Nikolaus-Groß-Weg in Siemensstadt zu Zeiten, in denen nicht so viel los ist, kann es sein, dass am Einsatzort neben dem hellroten Einsatzfahrzeug der Berliner Feuerwehr fast gleichzeitig ein Wagen des Arbeiter-Samariter-Bundes oder des Deutschen Roten Kreuzes hält. Wer zuerst da ist, bekommt den Patienten und verdient daran. Doch wenn drei Fahrzeuge mit einem Einsatz gebunden sind, fehlen sie woanders. Das führt im täglichen Einsatzgeschehen zu teils absurden Szenen. Ein Radfahrer wird von einem Rechtsabbieger unweit des Kurfürstendamms umgefahren, innerhalb von drei Minuten stehen drei konkurrierende Ersthelferfahrzeuge mit Blaulicht auf der Kreuzung. Doch der umgefahrene Radfahrer ist nicht verletzt und weigert sich, in einem Rettungswagen Platz zu nehmen, um sich untersuchen zu lassen. Kein Wunder, der Mann ist privatversichert und hat eine Selbstbeteiligung von 2.000 Euro. „In dem Augenblick, wo ich den Wagen betrete, kriege ich auch schon eine Rechnung von knapp 300 Euro, ohne Transport, nur fürs Angucken“, sagt er. Genau das scheint das Problem zu sein, die völlige Kommerzialisierung der medizinischen Versorgung, nicht nur in den Krankenhäusern. Eine Krankenhausreform soll den Anfang machen, diesen Missstand zu beenden. Geplant ist ein Referentenentwurf, der bis zu diesem Sommer entwickelt werden soll. Die „Durchökonomisierung der Medizin“ soll vermieden werden, so Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Ein Entwurf soll entwickelt werden, damit „das System der Fallpauschalen systematisch“ überwunden wird. Das Pikante daran: Es war der Gesundheitsökonom selbst, der sich in den frühen 2000er-Jahren als Berater der damaligen Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) für die Einführung des Fallpauschalensystems starkmachte.
Mittlerweile selbst in der Verantwortung, versucht er die Geister, die er vor 20 Jahren rief, wieder loszuwerden. Ein komplexes Unterfangen. Die seit 2003 geltende Fallpauschale in den Kliniken fördert wie auch das anfangs beschriebene Prozedere der Rettungsdienste vor allem eines: Kommerzialisierung. Je mehr Patienten in kürzester Zeit durchgeschleust werden, desto mehr klingeln die Kassen. Zu Ungunsten der Patienten, insbesondere derer, die oft mehr Zeit brauchen: so etwa Kinder und Schwangere. Sie sind für Kinderkliniken und Geburtsstationen ein Minusgeschäft. Für die Ausgestaltung seiner Reform hat Lauterbach eine 16-köpfige Expertenkommission einberufen, darunter Juristen, Ökonomen und einige wenige Fachmediziner. Aber ausgerechnet ein Facharzt für Geriatrie fehlt im Gremium, obwohl Menschen, die 65 Jahre und älter sind, die größte Gruppe der Krankenhauspatienten ausmachen.
Ursprünglich für Fallpauschale plädiert
Lauterbachs Ankündigung, die Fallpauschale grundsätzlich abzuschaffen, wird gleich in der Präambel des Entwurfs relativiert. So will die Kommission, dass „Leistungsanreize erhalten bleiben müssen“. Eine „ausschließlich leistungsunabhängige Vergütung“ etwa in Form „eines zu 100 Prozent garantierten Budgets oder einer Selbstkostendeckung“ will man nicht. Zudem sollen Vorhaltekosten, etwa für Personal und medizinische Geräte, berücksichtigt werden. In Bereichen wie Kinderheilkunde, Geburtshilfe und Intensivmedizin soll die Fallpauschale weniger Gewicht haben.
Außerdem sollen Kliniken in verschiedene Versorgungsstufen eingeteilt werden: Kleine Krankenhäuser, die auf lokaler Ebene die wohnortnahe Grundversorgung gewährleisten, sollen eng mit niedergelassenen Ärzten zusammenarbeiten. Kliniken der Stufe zwei sollen die regionale Regel- und Schwerpunktversorgung übernehmen. Krankenhäuser der Stufe drei, etwa Unikliniken, würden in dem Modell die maximale Versorgung anbieten. Zudem sollen nur solche Kliniken bestimmte Behandlungen durchführen, die ausreichend spezialisiert sind.
Gerald Gaß, Chef der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), kritisiert am derzeitigen Reformkonzept, dass die strukturelle Unterfinanzierung und die Defizite bei der Investitionsförderung ausgeblendet würden. „Ökonomischen Druck zu reduzieren ohne die offensichtlichen Finanzierungsdefizite zu beseitigen, einen revolutionären Strukturwandel anzukündigen ohne ein Wort über die dafür notwendigen Investitionen zu verlieren, und seine unreflektierten Aussagen über billige Medizin im Krankenhaus haben der Sache mehr geschadet als genützt“, so Gaß. Kritik kommt auc vom Verein „Patientenrechte und Datenschutz“. Er beurteilt die Finanzierungsreform als „Etikettenschwindel“. Die vorgeschlagenen Vorhaltepauschalen seien weder leistungsunabhängig noch eine Finanzierung der notwendigen Vorhaltekosten. Man könne sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Vorschläge eine „heilige Kuh“ auf jeden Fall unangetastet lassen sollen: „die Möglichkeit, auch weiterhin mit Krankenhäusern Gewinne machen zu können. Dies wird insbesondere die privaten Klinikkonzerne freuen.“ Daseinsvorsorge brauche Sachsteuerung, keine finanzielle Steuerung.