Das 9-Euro-Ticket hat Erwartungen geweckt. Das ungeplante Sommerexperiment hat gezeigt, dass viel mehr möglich in Sachen ÖPNV ist. Ideen und Visionen dazu gibt es reichlich, die Umsetzung ist eine Mammutaufgabe. Die Chancen für eine Verkehrswende sind aber besser als je zuvor.
Treidelpfade verwandeln sich zu Fahrradwegen, Hartfüßlerwege reizen heute zu sportlichen Anstrengungen, und ob man heutzutage noch eine Stadtautobahn durch Saarbrücken planen würde, darf getrost bezweifelt werden. Mobilität ist in einem beständigen Wandel. Bedürfnisse ändern sich, Verkehrsmittel ändern sich, Rahmenbedingungen ändern sich. Was bleibt ist das Grundbedürfnis, möglichst schnell, bequem, kostengünstig und flexibel durch die Gegend zu kommen.
Im Autoland Saarland funktioniert das im Großen und Ganzen recht gut. Aber die Rahmenbedingungen haben sich massiv geändert. Verkehr ist einer der wichtigsten Faktoren in Sachen CO2-Ausstoß. Über ein Viertel (26 Prozent) der gesamten CO2-Emissionen in der Europäischen Union kamen 2019 (letzte Erhebung vor Corona) aus dem Verkehrsbereich. Damit ist auch klar, dass dort ein erhebliches Potenzial liegt, wenn die Klimaschutzziele erreicht werden sollen.
E-Mobilität gilt dabei als eines der Zauberworte. Das betrifft nicht nur E-Autos, sondern auch die zunehmende Beliebtheit von E-Bikes und in der sogenannten Mikromobilität auch E-Roller. Kritiker halten die ziemlich einseitige Priorität auf E-Autos auch wegen etlicher offener Fragen – wie etwa, woher der ganze Strom kommen soll und wie die Entsorgungsfrage gelöst wird – nicht gerade für der Weisheit letzter Schluss. E-Bikes und Roller zeigen aber durchaus, dass sich im Nahbereich Alternativen entwickeln können. So wie überhaupt der Trend zu einem flexibleren Mobilitätsverhalten einhergeht mit technischen Entwicklungen und gestiegenem Umweltbewusstsein.
Dazu kommen die derzeit massiv gestiegenen Spritpreise, die den ein oder anderen schon mal über Alternativen nachdenken lassen. Die Preise an den Tankstellen sind derzeit ziemlich nah an dem, was die Grünen einst gefordert hatten. Noch zu D-Mark-Zeiten vor über 20 Jahren hielten führende Vertreter der Umweltpartei einen Spritpreis von fünf Mark pro Liter aus Umweltschutzgründen für angemessen. Der Aufschrei war entsprechend.
Jetzt liegen die Preise nahe an den damaligen Vorschlägen, aber nicht als klimapolitische Erziehungsmaßnahme, sondern wesentlich als Folge des Krieges in der Ukraine. Der Effekt ist allerdings durchaus, dass sich der ein oder andere persönliche Umstiegsszenarien bei der eigenen Mobilität überlegt.
Daran hat auch das inzwischen ausgelaufene 9-Euro-Ticket maßgeblichen Anteil. Unter dem Druck der Ereignisse ist quasi aus dem Stand etwas gelungen, was zu Normalzeiten und durch noch so bemühte Verhandlungen zwischen allen Beteiligten nicht wirklich vorstellbar war: ein bundesweit einheitliches Nahverkehrs-Ticket zu einem extrem günstigen Preis.
Geänderte Erwartungen und Bedingungen
Ein Erfolgsmodell, auf dem massiver Druck für eine Nachfolgeregelung lastet. Dass darüber heftig gerungen wird, liegt in der Natur der Sache. Denn der Preis hat seinen Preis. Irgendwer muss die Differenz zwischen günstigem Ticket und realen Kosten decken. 1,5 Milliarden hat der Bund im Entlastungspaket vorgesehen, die Länder müssten ähnlich tief in die Tasche greifen. Und wie dann was verteilt werden soll, ist aufgrund der unterschiedlichen Strukturen alles andere als leicht zu lösen.
Modelle für mögliche Nachfolgeregelungen gibt es einige, wie es auch in der Vergangenheit nicht an Ideen gemangelt hat, Tarife im öffentlichen Personennahverkehr attraktiv und möglichst einfach zu gestalten. Das 365-Euro-Ticket ist ein Beispiel dafür. Junge Leute sollten für einen Euro am Tag ein Jahr lang den ÖPNV im Land nutzen, war eines der SPD-Themen im saarländischen Landtagswahlkampf. Das hätte die damalige Verkehrsministerin und heutige Ministerpräsidentin Anke Rehlinger zwar auch gern für alle gehabt, allein die Finanzierungsfrage setzt Grenzen des Möglichen.
Das 9-Euro-Ticket hat neben der grundsätzlichen Erfolgsgeschichte, die nicht irgendwer, sondern letztlich der Steuerzahler mitfinanzieren muss, aber eben auch die andere Seite gezeigt: Was nutzt selbst das günstigste Ticket, wenn kein Bus fährt?
Deshalb fordert nicht nur die Ministerpräsidentin: Es braucht neben einem Preissignal auch ein Angebotssignal im öffentlichen Nahverkehr. Das will dann aber auch finanziert werden. Und das in einer Zeit, wo an einigen Stellen der Republik bereits Verkehre abbestellt werden, weil sie nicht mehr finanzierbar sind wegen gestiegener Energie- und Personalkosten.
Die Rahmenbedingungen für die seit Langem dringlichst eingeforderte Verkehrswende sind schwieriger geworden. Eine Nachfolgeregelung für das 9-Euro-Ticket wäre ein wichtiges Signal. Aber eben nur eines von vielen weiteren notwendigen. Dass neue Mobilitätsformen etabliert werden müssen, aus Klimaschutzgründen wie auch aus wirtschaftlichen, ist unbestritten. An Ideen, Modellen und Visionen fehlt es nicht. Aber ein derart komplex gewordenes System wie den real existierenden ÖPNV aufzuknacken und zu entwirren, ist eine politische Herausforderung besonderer Art.
Allein im doch recht überschaubaren Saarland haben die vergangenen Jahrzehnte gezeigt, wie mühsam es ist, gewachsene Strukturen zu verändern. Allein die Überwindung des leidigen Wabensystems schien wie eine Generationenaufgabe. Die jüngste Tarifreform samt zusätzlicher Angebote (Plusbus und Expressbus) waren für viele schon ein Durchbruch. Für andere aber nur ein längst überfälliger Baustein für einen ÖPNV der Zukunft.
Andere Bausteine müssen dazu kommen. Eine bessere Anbindung in ländlichen Regionen gehört mit dazu. Bürgerbusse oder On-Demand-Verkehre sind Stichworte dazu. Dazu besserer Service durch Digitalisierung und intelligente Vernetzung unterschiedlicher Mobilitätsformen. Reaktivierung von Bahnstrecken steht auf dem Wunschzettel von Initiativen sowie Verbesserungen für Radverkehr.
Das Land hat in den letzten Jahren beachtliche Summen dafür mobilisiert. Um alle Ideen auf den verschiedenen Wunschzetteln zu erfüllen, wird es angesichts der Haushaltslage niemals reichen. Und die Bedingungen werden schwieriger angesichts vielfältiger Notwendigkeiten durch die aktuelle Krise und die latente Herausforderung der Transformation, die wiederum auch etwas mit Klimaschutz zu tun hat. Womit einiges auf der Agenda steht, was um einen Spitzenplatz auf der Prioritätenliste notwendiger Aufgaben – und damit letztlich um die erforderlichen finanziellen Mittel – konkurriert.
Die Verkehrswende gehört dabei ganz nach oben auf dieser Agenda. Aus vielen guten Gründen. Ihr Beitrag gegen den Klimawandel ist unabdingbar erforderlich. „Es muss gelingen", meint deshalb Mobilitäts- und Umweltministerin Petra Berg (siehe Interview, S. 4). Aber es bleibt ein zähes Ringen um die notwendigen Mittel und nicht zuletzt auch die Bereitschaft, Mobilitätsverhalten zu ändern. Was wiederum, um Ministerin Berg zu zitieren, der Lösung des Henne-Ei-Problems gleich käme.
Die Voraussetzung, signifikante Fortschritte zu erzielen, sind – ungewollt – besser als je zuvor: Wenn schon nicht aus Klimaschutzgründen Mobilitätsverhalten ändern, dann aus ökonomischen Gründen.
Das 9-Euro-Ticket ist dabei zum Symbol geworden, was alles möglich sein kann und was alles notwendig ist. Gezwungenermaßen sozusagen.
In Schulen hat die Pandemie der vorher lange und zäh diskutierten Digitalisierung zu einem enormen Schub verholfen, ebenfalls alles andere als freiwillig. Notwendig war es allerdings, sogar überfällig. So könnte die aktuelle Krisensituation auch wie ein Beschleuniger in Sachen Verkehrswende wirken. Die Chancen dafür stehen jedenfalls besser als zuvor. Die Zauberformel ist: mehr Mobilität bei weniger Verkehr.