Hertha BSC hadert beim 2:2 gegen Leverkusen mit einer Entscheidung des Schiedsrichters – muss sich aber schnell wieder auf den „Angstgegner" Mainz 05 konzentrieren.
Sicher entsprach das 2:2 am vergangenen Sonnabend im Olympiastadion gegen Bayer Leverkusen am Ende dem Verlauf der Partie – was sich da aber kurz vor Spielende ereignete, wollte auch nach Abpfiff nicht so recht in den Kopf derer, die es mit den Blau-Weißen halten.
Warum der Unparteiische bei dem Handspiel von Odilon Kossounou, das das sichere 3:2 für Hertha BSC durch Jean-Paul Boëtius verhinderte, nicht noch einmal vom VAR zur Betrachtung der Videobilder aufgefordert wurde, blieb ihnen am Ende unerklärlich. „Herr Brand hat es anders bewertet auf dem Spielfeld, das kommt vor – aber bei Herrn Jöllenbeck als Videoassistent ist es mir ein Rätsel, warum er den Schiedsrichter nicht wenigstens mal rausschickt, um die Situation zu bewerten", sprach Sandro Schwarz anschließend wohl stellvertretend für alle Hertha-Fans und schloss: „Das ist für mich Wahnsinn." Das Pochen des Unparteiischen auf die Regelkonformität des Verhaltens in der Situation und das gewisse Verständnis für die Berliner („Ich verstehe den Ärger, weil es unmittelbar vor dem Tor eine sehr prominente Zone ist") half den Gastgebern bei der Bewältigung auch nicht wirklich weiter. Fakt blieb jedoch: Die aus der Szene heraus sicher auch mögliche Elfmeterentscheidung für die Hauptstädter blieb aus, und dadurch – möglicherweise – auch deren erster Heimsieg der Saison.
Dabei hatte Hertha bereits den Grundstein gelegt, um auch den „Rückstand-Fluch" zu besiegen. Nach dem 0:1 in der zweiten Halbzeit durch den glänzend geschossenen Freistoß von Demirbay zeigten sich die Blau-Weißen nicht nur ungerührt – erstmals gelang es ihnen in diesem Jahr anschließend auch noch, das 0:1 in eine Führung zu drehen. Bislang wurden 2022 alle diese Spiele sogar verloren. Doch Hertha gelang gegen eben auch immer noch nicht kurierte Leverkusener der baldige Ausgleich. Wilfried Kanga – der in der ersten Halbzeit noch aus spitzem Winkel, aber freistehend am Pfosten scheiterte und damit seinen ersten Torerfolg verpasste – glänzte dabei in der Vorbereitung auf der für ihn ungewohnten rechten Außenbahn, den Pass ins Zentrum verlängerte dann Chidera Ejuke zu Suat Serdar, der trocken zum 1:1 einschoss. Dann schrieb Marco Richter das zweite Kapitel seines grandiosen Comebacks nach einer Tumor-OP: Bereits die Woche zuvor hatte der 23-Jährige in Augsburg seinen ersten Treffer erzielt – nun gelang ihm erneut als Einwechselspieler sogar ein Abschluss der Marke „Tor des Monats". Allerdings sollte die 2:1-Führung nicht lange halten: Auf der Außenbahn war Andrich nicht zu stoppen, seine Eingabe fand Schick, der zum 2:2 einschoss.
So erfuhr der „Rückstand-Fluch" letztlich nur einen halbherzigen Bann mit dem einen Punkt, der für Hertha BSC heraussprang. Es blieb bei einem nächsten Mini-Schritt: Die Berliner sind erstmals unter Sandro Schwarz in zwei Partien hintereinander ungeschlagen. Dabei hatte der Trainer vor der Begegnung ausdrücklich davor gewarnt, den schwachen Saisonstart des Gegners zu überbewerten und dessen individuelle Qualität gelobt. „Es ist wichtig, dass wir alle weiter eng zusammenstehen – es ist keine lockere Stimmung, sondern wir sind alle fokussiert." Die Beschwörungsformel sollte helfen, die Bilanz der Rheinländer mit sechs Niederlagen in sieben Pflichtspielen, dem frühen Aus im DFB-Pokal und bislang nur einem Sieg in der Bundesliga (analog zu Hertha BSC) richtig einzuordnen und den Blick für die Aufgabe weiter zu schärfen.
Schlechte Bilanz gegen Mainz
Dabei setzte Schwarz auf die siegreiche Aufstellung von Augsburg, was bedeutete: erneut kein Kaderplatz für Neuzugang Agustin Rogel (Verteidigung), Boetius zunächst wieder nur auf der Bank. Dazu griff Herthas Coach trotz weiterer Lichtung des Lazaretts in der Offensive noch nicht auf mögliche Alternativen wie Stevan Jovetic, Dong-Jun Lee oder Jessic Ngankam zurück, die in der Woche vor dem Leverkusen-Spiel wieder ins Mannschaftstraining hatten einsteigen können. Größeres Aufsehen verursachte im Übrigen auch Präsident Kay Bernstein, der das Zusammenwachsen der verschiedenen Lager innerhalb des Vereins bislang eher hinter den Kulissen betrieben hat. So sorgte er in der Woche nach dem ersten Sieg gleich für zwei öffentliche „Wohlfühlmomente". Zum einen pflanzte er vor der Geschäftsstelle symbolisch einen Apfelbaum – so, wie er es bei den Feierlichkeiten zum 130-jährigen Vereinsbestehen versprochen hatte. „Dieser erste Sieg verstärkt die Aufbruchsstimmung, deshalb haben wir dieses Bäumchen für uns alle gepflanzt – und jetzt geht es weiter", erklärte Herthas Präsident per Video. Zwei Tage später dann hieß es „Döner für alle" auf dem Gelände im Olympiapark: anlässlich seines 42. Geburtstags spendierte Bernstein für alle Mitarbeiter den für Berlin so besonders typischen Snack. Dabei nutzte er die Gelegenheit zu einem Aufruf, das Heimspiel gegen Bayer Leverkusen zu besuchen und sich selbst ein Bild davon zu machen, welche Entwicklung der Verein in den vergangenen Wochen genommen habe.
Mit den 40.643 Besuchern blieb die Kulisse dann allerdings im erwarteten und nicht erhofften Rahmen. Im Gegensatz dazu hatte sich Fredi Bobic es trotz aller genereller Sparpolitik wiederum nicht nehmen lassen, mit Pal Dardai und Andreas „Zecke" Neuendorf zwei verdiente Herthaner per Abfindung zu verabschieden und damit auch einen Schlussstrich zur Vergangenheit zu ziehen. Ex-Trainer Dardai soll dabei eine Zahlung im „niedrigen siebenstelligen Bereich", Neuendorf eine im sechsstelligen zugesichert worden sein. Damit soll die weitere Rundumerneuerung des Vereins nach den Vorstellungen von Bobic vonstattengehen.
Bereits am heutigen Freitag kann Hertha BSC dann schon den nächsten Fluch überwinden – denn gegen den 1. FSV Mainz 05 waren die Bilanzen zuletzt erschreckend schlecht. Seit sechs Spielen ist man gegen die Rheinhessen insgesamt ohne Sieg, aus der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt fuhr die alte Dame sogar bereits siebenmal in Folge ohne Dreier wieder nach Hause. So gibt es also für die Berliner an der alten Wirkungsstätte von Trainer Schwarz jede Menge Möglichkeiten, die schlechten Statistiken etwas aufzupolieren. Denn in der aktuellen Situation gilt letztlich immer noch für einen Verein wie Hertha BSC: Jeder Punkt bringt das Team nach vorne, und wenn es nur der bewusste Mini-Schritt ist.