Die Panzerfrage offenbart Risse in der westlichen Staatengemeinschaft
Lange Zeit war der Westen stolz auf seine Geschlossenheit. Nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine vor fast einem Jahr herrschte zwischen Washington, Brüssel, Berlin und Tokio Einigkeit: Die Invasion wurde in klarer Sprache verurteilt. Die Regierungen schnürten harte Sanktionspakete gegen Moskau. Sie rangen sich zur Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine durch.
Kremlchef Wladimir Putin schaffte etwas, was er bestimmt nicht beabsichtigt hatte: Er verpasste der Europäischen Union und der Nato ein umfassendes Revitalisierungsprogramm. Die Bilder von der barbarischen Zerstörung der Ukraine schweißten den Westen zusammen. Für Putin eine bittere strategische Niederlage.
Doch seit dem Herbst stockt die Rückeroberung der Kiewer Truppen. Die Russen erzielen minimale Geländegewinne im Donbass. Zudem will Putin Hunderttausende weiterer Kräfte mobilisieren und die Ukrainer in einer Frühjahrs-Offensive endgültig in die Knie zwingen. Ohne westliche Kampfpanzer ist Kiew verloren. Nur mithilfe dieses schweren Geräts können die Ukrainer die russischen Linien durchbrechen und Putins Verbände zurückschlagen.
Doch im Lichte dieser neuen Lage ist die Einheit des Westens dahin. An der Lieferung von in Deutschland hergestellten Leopard-2-Kampfpanzern scheiden sich die Geister. Immer mehr Länder fordern die Bundesregierung auf, „Leos“ zu verschicken – oder zumindest die Genehmigung zum Re-Export zu erteilen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat zwar mit einer starken Rede am 27. Februar 2022 die „Zeitenwende“ eingeläutet. Doch seit dem historischen Auftritt ist seine Kommunikation versiegt. Der Kanzler redet kaum, er erklärt kaum. Derweil preschen andere vor.
Polen hat sich am offensivsten positioniert. Sein Land werde bei der Bundesregierung eine Genehmigung für die Lieferung von Leopard-Kampfpanzern an die Ukraine beantragen, kündigte Ministerpräsident Mateusz Morawiecki an. Zur Not verschicke es das Gerät auch ohne Zustimmung Berlins, im Rahmen einer kleinen Koalition.
Das Bundeskanzleramt verspricht jedoch keinen Schnelldurchlauf. Es gebe hierfür „eingespielte Verfahren – an die halten wir uns“, betonte Regierungssprecher Steffen Hebestreit. Dies geschehe im Bundessicherheitsrat, einem Kabinettsausschuss der Bundesregierung. In ihm sind die Chefs und Chefinnen wichtiger Ressorts wie das Verteidigungs-, Außen- und Finanzministerium vertreten. Den Vorsitz hat der Kanzler.
Rückendeckung bekommt Warschau durch die baltischen Staaten, wo Deutschland als Bremser gilt. Die Kritik ist zum Teil massiv. Litauens Außenminister Gabrielius Landsbergis warf Scholz sogar indirekt vor, Furcht davor zu haben, Russland an den Rand einer Niederlage in der Ukraine zu bringen.
Washington wünscht sich Leopard-Entsendungen durch Deutschland, will die Bundesregierung aber nicht öffentlich in Zugzwang bringen. Was Scholz seinerseits nervt: Washington lehnt derzeit eine Lieferung von Abrams-Kampfpanzern in die Ukraine ab. US-Verteidigungsstaatssekretär Colin Kahl betonte, der Abrams sei teurer, erfordere eine schwierige Ausbildung und verbrauche mit seinem Turbinenantrieb sehr viel Treibstoff.
London verschickt als erste westliche Regierung Kampfpanzer an die Ukraine – 14 Challenger 2. Auch auf der Insel erwartet man, dass Deutschland mit „Leos“ nachzieht. Und selbst in Brüssel wächst der Druck. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell erklärte, er befürworte die „Leo“-Entsendung. Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn hob hervor, auf Scholz laste „eine große Verantwortung, wirklich einen Schritt zu tun“.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat zwar die Lieferung von „leichten Kampfpanzern“ vom Typ AMX-RC 10 in die Ukraine angekündigt. Doch bei der Verschickung von schweren Leclerc-Kampfpanzern argumentiert er ähnlich zurückhaltend wie Kanzler Scholz. Auch Spanien fährt eher einen bedächtigen Kurs.
Dennoch: Die Indizien, dass die Bundesregierung zumindest den Re-Export von Leopard-Panzern in die Ukraine genehmigt, mehren sich. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hat bereits signalisiert: Deutschland werde „nicht im Wege stehen“, wenn andere Staaten mit einer Ausbildung an den Panzern beginnen wollten. Besser wäre gewesen, wenn Berlin schon wesentlich früher eine klare Position bezogen hätte.