Der Barfußpark in Beelitz-Heilstätten ist ein Wegenetz mit drei Hauptpfaden, die miteinander kombinierbar sind. Auf insgesamt 3,1 Kilometern geht es barfuß über Steine und piksende Bucheckern sowie durch wadentiefen Schlamm und kaltes Wasser.
Ich gebe meine Schuhe am Eingang ab und bin gespannt, wie es ist, ohne Strümpfe loszulaufen. Ausprobiert habe ich es schon öfters. In Buckow zum Beispiel gibt es einen Barfußpfad, in der Therme in Ludwigsfelde oder im Tierpark in Angermünde. Das sind allerdings nur kurze Strecken. In Beelitz ist das anders. Hier wartet ein 15 Hektar großes Gelände auf mich, das barfuß erobert werden kann. Unschlüssig, wo ich anfangen soll, stehe ich immer noch da. Ich soll den ersten Pfad entlanglaufen, so die Empfehlung. Der ist fast eineinhalb Kilometer lang und gut für Anfänger.
Zugegeben, es ist ungewohnt, über die kleinen Kiesel, die später zu faustgroßen Steinen werden, zu laufen. Es kitzelt oder pikst unter den Fußballen. "Die Hindernisse sind extra so angelegt, damit man nicht gleich davonläuft. Jetzt heißt es, sich zu konzentrieren. Denn wir sind es nicht gewohnt, barfuß zu laufen", erklärt Claudia Stolzenwald, Mitbegründerin des Barfußparks. Es wird eiskalt. Im kleinen Becken, das gleich hinter den Kieselsteinen beginnt, fließt 13 Grad kaltes Wasser. Der Blutkreislauf soll angeregt, der Stoffwechsel gefördert und die Füße für die kommenden Reize stimuliert werden. So hat es sich Pfarrer Kneipp vorgestellt, als er sein Heilverfahren entwickelte, das auf dem Zusammenspiel von den fünf Elementen Wasser, Pflanzen, Bewegung, Ernährung und Balance beruht. Seine Methoden sind auch heute moderner und wurden in den Beelitzer Barfußpark integriert.
Von der Sonne reflektiert, blitzen Glasscherben als seien sie glasiert. Sie ähneln Diamanten, kalt, hart und voller Glitzerschein. Hier soll ich rüberlaufen? Ich setze den Fuß auf die Scherben, in der Hoffnung, dass mir ganz schnell eine Hornhaut wächst. "Die Scherben sind abgeschliffen, da passiert nichts", macht mir Claudia Mut. Und es stimmt. Nach dem kurzen Hindernis trage ich keine Verletzung davon, dafür aber sind jetzt mehr als 200 Muskeln und zahlreiche Nerven in den Fußsohlen aktiviert.
Eine "blinde
reise" an einem seil entlang
Die Arme werden in speziellen Becken auf Ellenbogenhöhe gekühlt. "Es soll nicht nur die Füße desensibilisieren, der ganze Körper soll auf dem Pfad in Wallung kommen", erklärt Claudia. Auf der wackelnden Brücke aus Douglasienholz heißt es, die Balance halten. Endlich habe ich das Gefühl, den Alltag hinter mir zu lassen. Da ich mich viel mehr auf den Boden konzentrieren muss als beim Gehen mit Schuhen, schalte ich ab. Und mitten in der Natur fühle ich mich frei und unbeschwert. Es ist herrlich, die verschiedenen Untergründe zu spüren, das weiche Gras, den federnden Waldboden, einen schwankenden Moorboden oder einen warmen Erdweg. Den zweiten Pfad möchte ich nun auch entdecken. Auf diesem soll die Natur noch mehr erlebbar sein. Riech- und Tastkästen reihen sich entlang des Weges. An einem Sandpendel ist Geschicklichkeit gefragt. Auf dem Hochsitz blicke ich über den Wald. In der Ferne zeigt sich das Gebäude der Chirurgie der ehemaligen Beelitzer Heilstätten. Früher wurde hier Tuberkulose geheilt. Patienten konnten an der durch Kiefern gefilterten frischen Luft spazieren gehen. Außerhalb der Stadt, in waldreicher Gegend und windgeschützter Lage. Mit der Idee, die die Betreiber des Barfußparks aus der Lüneburger Heide mitbrachten, ist es jetzt möglich, auf dem Gelände selbst etwas für sich zu tun. Auf der sogenannten "blinden Reise" schließe ich die Augen und folge tastend einem Seil, das zu verschiedenen Bäumen führt. An der Rinde soll ich fühlen, um was für ein Gewächs es sich handelt. Das ist gar nicht so einfach. Gleich beim ersten Baum habe ich mich vertan. Hinter der weichen Rinde hätte ich nie eine Kiefer vermutet. Es soll 60 verschiedene Baumarten auf dem Gelände geben, so hat es ein Sachverständiger herausgefunden. Nach dem Laufen über piksende Bucheckern gibt es etwas zum Entspannen: ein Becken mit nassem Torf. Kinder tollen bereits darin, und sobald sie die Füße herausziehen, quietscht es. Bis zu den umgekrempelten Hosenbeinen reichen die dunklen Spritzer. Doch das macht nichts, denn hier darf man sich richtig einsauen.
Bernhard Knuth, Bürgermeister von Beelitz, ist froh, dass es seit Anfang Juni solch einen Barfußpark gibt. "Ich kann nur jeden einladen, es selbst einmal auszuprobieren, alle Sinne anzuregen und die Natur und den Wald auf diese besondere Weise zu erleben." Das Gelände inmitten von dichten grünen Wäldern auf dem Areal der ehemaligen Lungenheilstätten ist heute als Bau- und Flächendenkmal geschützt. Die ungewöhnliche und sehr schöne Architektur lässt sich noch an vielen Stellen erleben. Einige der Bauwerke sind saniert und dienen als Wohnhäuser oder für Klinikbetriebe. Die anderen Gebäude sind heute Ruinen, die bei Führungen begangen werden. Sogar als Fotomotiv oder Drehort für internationale Filme dienen die alten Gemäuer. Ausblicke aus der Vogelperspektive über den Park und die Anlagen ermöglicht der Baumkronenpfad, der sich direkt am Barfußpark befindet.
im spiegelgang kann man spiegel-schrift üben
Die dritte Runde führt mich immer tiefer in den Wald. Das Vogelzwitschern wird deutlicher, die Geräusche der Autobahn verschwinden. An das Barfußlaufen habe ich mich gewöhnt. Jetzt kann ich den hohen Kiefern zusehen, wie sie die schweren Kronen im Wind wiegen. Der inzwischen hoch gewachsene Birkenwald sieht märchenhaft aus. An Ideen, damit Kinder und Erwachsene die Natur mit verschiedenen Sinnen und auf spielerische Weise kennenlernen, wurde auch hier nicht gespart. Im Spiegelgang üben sich die Barfußgänger in Spiegelschrift schreiben. Ein Kuckuck ruft. Der kommt von der Pfeifenwippe – natürlich nur, wenn man mit den Füßen die einzelnen Hölzer bewegt. Langsam spricht es sich herum, und immer mehr Gäste sind barfuß unterwegs. Wer allerdings lange nicht mehr ohne Schuhe gelaufen ist, sollte damit langsam beginnen. Sonst könne es zu Überlastungssymptomen kommen, warnt Claudia. Es helfe auch schon, mal in Socken durch die Wohnung zu gehen.
Heidrun Lange