Wer Zeit hat und im Urlaub nicht nur an einer Stelle verweilen möchte, kann auf Usedom und nur ein paar Autostunden entfernt an der Pommerschen Küste zwei wunderbare Destinationen mit gemeinsamer Geschichte erleben.
Beliebt ist sie, die bronzene Meerjungfrau an der Hafenmole von Ustka, früher Stolpmünde. Wie polierter Bernstein schimmert ihr oft berührter Busen. Genauso beliebt sind die Promenade an der schimmernden Ostsee und der breite, acht Kilometer lange Sandstrand.
Familiengeführtes
Fünf-Sterne-Hotel
Ustka, zwischen Swinemünde und Danzig gelegen, ist wegen seiner Sole- und Moorvorkommen ein anerkanntes Heilbad und seit dem 19. Jahrhundert ein geschätztes Ferienziel. Reichskanzler Otto von Bismarck ließ sich dort 1886 eine Urlaubsresidenz errichten. Jetzt heißt das Haus Villa Red und dient als Hotel. Das dazugehörige Restaurant "Dym na wodzie" erfreute sogar die Tester des Gastroführers Gault Millau.
Noch erfreulicher sind die hübschen, denkmalgerecht sanierten Fachwerkhäuser im früheren Kapitänsviertel. Besonders erfreut zeigt sich Marcin Barnowski, der als Stadtführer den einst sehr populären Kapitän Peter Haase verkörpert, dessen Haus auch schwierige Zeiten überlebte. Auf dem Balken über der Tür ist noch "18 P.H. 04" zu entziffern, was also Peter Haase 1804 bedeutet, das Jahr, in dem er sein Haus erbaute. Behutsam restauriert beherbergt es nun das Baltische Zentrum.
In den Schulferien erobern in West und Ost die Familien die Strände, sei es auf dem westlichen deutschen Teil der Insel Usedom oder auf der östlichen, nun zu Polen gehörigen Inselhälfte. Das Strandleben im dortigen Swinoujscie (früher Swinemünde) genießen nun die Urlauber beider Länder.
Allmählich wagen sich die Bundesbürger auch weiter ostwärts ins einst deutsche Hinterpommern. Beispielsweise nach Ustka, das einen Fischereihafen und zwei mit blauer Flagge prämierte Strände besitzt. Fürs Wohlbefinden sorgt dort als Perle der Region das familiengeführte Fünf-Sterne-Hotel "Grand Lubicz" mit umfangreichem Spa. Gäste aus der Bundesrepublik sind übrigens nicht nur dort herzlich willkommen. Vor allem im Winter füllen sie die preiswerten polnischen Wellness-Hotels.
Andererseits genießen die Polen gerne mal das Flair der Usedomer Kaiserbäder Ahlbeck, Heringsdorf und Bansin. Schon wegen der einmaligen Bäderarchitektur. In diversen Sprachen klingt es aus der schönen Heringsdorfer Jugendherberge. "Das ist die ehemalige Villa Ebell, ein traditionelles Wolgasthaus", erklärt Reise-Experte Hans-Ulrich Bauer.
Die Ostsee verbindet, und so ähneln sich deutsche und polnische Urlauber oft wie das "doppelte Lottchen", die Sandburgen bauenden Kinder, die Strandwanderer, die Radler und die Kunstsinnigen. In Ustka schauen sie in die restaurierte Baltische Galerie, die zeitgenössische Werke ausstellt. Im deutschen Seebad Heringsdorf auf Usedom locken stattdessen der Kunstkaten und die Villa Irmgard, wo 1922 der russische Schriftsteller Maxim Gorki mehrere Monate lebte. Zu den Kaisertagen am ersten Augustwochenende erscheint in Heringsdorf sogar das von Schauspielern verkörperte ehemalige deutsche Kaiserpaar Wilhelm II. mit Gattin.
Die Ostseeküste ist eine Region für Künstler. In Ustka können sie im Haus der Baltischen Galerie wohnen und werkeln. Und wieder gibt es Gemeinsamkeiten, so etwa bei den Keramikarbeiten. Sie stehen bei den polnischen Künstlern ebenso hoch im Kurs wie auf Usedoms deutschem Teil. Hier in der Mellenthiner Keramikmanufaktur nahe dem Wasserschloss Mellenthin fertigt Töpferin Susi Erler seit 2006 erfolgreich Pommersche Gebrauchskeramik, wie sie im 19. Jahrhundert im gesamten Gebiet üblich war. Seeluft macht hungrig, auch das gilt in West und Ost. Für Süßschnäbel ist im deutschen Kaiserbad Ahlbeck das "Café Röntgen" eine der besten Adressen. Wers urig-seemäßig mag, schlägt sich in "Uwes Fischerhütte" von 1830 den Bauch voll.
Andererseits verführt in Ustka das "Café Mistral" mit tollen Torten und handgefertigten Kuhbonbons, die die Chefin Beata Jakubiak und ihre Mitarbeiterin herstellen. Als Wunderkammer entpuppt sich dort auch die voll gestopfte Teestube "Herbaciarnia Galeria" mit ihrem Weinkeller.
Sich im Urlaub was Hübsches leisten? Warum nicht, denken vor allem die Damen und streifen gerne durch die vielen Läden in den Kaiserbädern. Allzu umfangreich ist das Angebot an der polnischen Ostsee allerdings nicht. Das Sprachengewirr zeigt: hier shoppen Frauen aus diversen Ländern. In Heringsdorf werden Modebewusste in der fein restaurierten Villa Oechsler fündig, die Designermarken anbietet.
Für Geschichtsbewusste bleibt sicherlich ein Ausflug, ausgehend von Ustka, unvergesslich. So der zum Dorf Swolowo (früher Schwolow), der "Hauptstadt des karierten Landes". Damit sind die bis 1945 von den Deutschen bewohnten Fachwerkhäuser und Höfe gemeint.
Objektiv wird dort die Geschichte des Gebietes dargestellt. Unter Glas liegen Ziegel mit dem Namensaufdruck H. Falkenhausen Rügenwalde und Carl Westphal Stolp.
Ein Film zeigt die Flucht der Bewohner, die bei Eis und Schnee unmenschlich war. Im Hier und Jetzt stehen die Schafe im Stall und der Misthaufen vor der 400-jährigen, ehemals deutschen Scheune, in die gerade eine polnische Schulklasse strömt. "An unseren Workshops können auch deutsche Kinder teilnehmen", sagt die Leiterin Joanna Golofit. Der eigentliche Glanzpunkt sind für viele jedoch die Wanderdünen nahe Leba und Rowy (Rowe) östlich von Ustka. Der Weg hügelauf, hügelab durch den tiefen Sand bis zum Meer geht zwar in die Beine, doch die Stärkung im "Hotel Kormoran" hinterher folgt auf dem Fuße. Die liebevoll gestaltete Anlage ist auch im Winter bestens gebucht. "Unsere Gäste lassen sich verwöhnen und lieben die Ruhe zwischen der Ostsee und dem Slowinski Nationalpark", erklärt Direktorin Anna Banasik. Im frühen 20. Jahrhundert zog es die Brücke-Maler dorthin. Max Pechstein malte hier seine "Boote am Strand von Rowe".
Zur selben Zeit, ab 1908, entdeckte der Deutsch-Amerikaner Lyonel Feininger, der später als Bauhaus-Künstler und Vertreter der Klassischen Moderne berühmt wurde, die (damals ungeteilte) Insel Usedom. Er verliebte sich sofort in sie und kam mehrere Sommer wieder. Mit dem Rennrad fuhr er umher und machte zahlreiche Skizzen, nach denen er dann seine weltbekannten Usedom-Bilder malte.
Martin Bartels, von 1968 bis 2000 Pfarrer der St. Petri-Kirche in Benz, gehört zu denjenigen, die die Stellen suchten und fanden, wo Feininger skizzierte. Der im Mai 2008 eröffnete, 56 Kilometer lange Feininger-Radweg vereint 43 ausgewählte Stationen bis nach Swinemünde. Zu Feiningers Lieblingsmotiven zählte die Holländer-Windmühle von Benz. "Nach seinen Skizzen und mit Hilfe des Malers Otto Niemeyer-Holstein konnte sie wieder originalgetreu instand gesetzt werden", betont Pfarrer Bartels.
So berühmt wie Feininger ist Otto Niemeyer-Holstein trotz seiner eindrucksvollen Landschaftsbilder nicht geworden. Mit seiner jüdischen Frau hatte er während der Nazizeit Berlin verlassen und sich an Usedoms schmalster Stelle ein Refugium namens Lüttenort geschaffen. Hier sind seine Bilder ausgestellt, im Garten stehen Skulpturen seiner Freunde. Ein Ort zum Träumen.
Hellwache Leseratten besuchen jedoch schon seit Jahren die Usedomer Literaturtage im April, bei denen diesmal die polnische Schriftstellerin Joanna Bator mit dem Usedomer Literaturpreis 2017 geehrt wurde. Noch deutlicher wird das echt grenzenlose Interesse der Ostsee-Anrainer beim Usedomer Musikfestival, das diesmal vom 23. September bis 14. Oktober stattfindet und auch polnische Spielorte einbindet.
Ritter Rüdiger rettete die "Bernsteinhexe"
Das friedliche Miteinander praktizieren darüber hinaus die jährlich 150.000 Besucher, die Peenemünde am Nordwestzipfel Usedoms besuchen und dort das Historisch-Technische Museum im früheren Kraftwerk der Heeresversuchsanstalt aus der Hitlerzeit besichtigen. Dort wurden die V2-Raketen entwickelt und produziert, mit denen England attackiert wurde. Selbst Gefangene und KZ-Häftlinge mussten für Hitlers angestrebten Endsieg schuften. "Heutzutage interessieren vor allem die hochgradigen Ingenieurleistungen. Die in Peenemünde entwickelte Raketentechnik war ja die Basis für die späteren Mondlandungen und das weitere Vordringen in den Weltraum," erklärt Dr. Philipp Aumann, Kurator und wissenschaftlicher Leiter der Ausstellung. Wernher von Braun, der führende Kopf dieser Entwicklungen, engagierten nach Kriegsende die Amerikaner. Er wurde bei der Nasa zum Vater der US-Mondlandungen.
Mit sichtlichem Interesse lesen die Besucher die auf Deutsch, Englisch und Russisch beschrifteten Schilder zu den Exponaten. Bei der geführten Rundfahrt durch das Sperrgebiet, wo einst getüftelt und gerechnet wurde, läuft Sensiblen jedoch ein Schauer über den Rücken, obwohl die Bauten nach Kriegsende zerstört wurden. "Für die Nachkriegsgenerationen ist das alles Geschichte", sagt Aumann schließlich und zitiert einen Eintrag im Gästebuch: "Der Besuch von Peenemünde war der Höhepunkt unserer Hochzeitsreise."
Vielleicht sollten nun einige Paare auch die Bootsbauschule von Ursula Latus jenseits der Peene besichtigen, einen Workshop buchen und unter Anleitung der Bootsbaumeisterin ihr eigenes Kanu fertigen. Damit könnten sie an der Küste entlangpaddeln und dabei gar die legendäre versunkene Stadt Vineta entdecken. Nach den Ausgrabungen auf der nun polnischen Nachbarinsel Wollin vermuten sie Forscher neuerdings dort.
Womöglich weiß es die "Bernsteinhexe", die Titelheldin des 1843 gedruckten Romans von Pfarrer Wilhelm Meinhold aus Koserow. Auf dem 58 Meter hohen Streckelsberg hat sie nachts angeblich Bernstein ausgegraben und sollte als Hexe verbrannt werden. Doch ihr Geliebter, der Ritter Rüdiger, konnte sie retten.
Steht diese lebendig gebliebene "Bernsteinhexe" nicht gerade im bunten Mantel am Ausguck und blickt auf die Ostsee? Nein. Die Schöne ist die Autorin des Buches "Vineta-Trugbilder". Bei den jährlichen Vineta-Festspielen in Zinnowitz wird die alte Sage in neuer Version aufgeführt, diesmal noch bis zum 2. September. Das werden sich wohl alle Ostsee-Lottchens nicht entgehen lassen.
Ursula Wiegand
INFO: Allgemeine Infos zu Usedom unter www.usedom.de
Traditionelle Bäderarchitektur modern interpretiert bietet das Aurelia Hotel St. Hubertus in Heringsdorf, www.aurelia.net. Telefon 038378-47760. Bücher von Hans-Ulrich Bauer über die Bäderarchitektur gibt es im Igel-Verlag Usedom, www.igel-usedom.de.
Polen-Infos beim Polnischen Fremdenverkehrsamt in Berlin unter www.polen.travel.de. Im Katalog (gedruckt und online) von "Travel netto", dem deutschen Spezialisten für Polen-Urlaub, findet sich eine große Auswahl von Unterkünften plus Ortsbeschreibungen, siehe unter www.travelnetto.de.