Sie ist nicht jedermanns Sache. Die Blutwurst allerdings, die Marcus Benser in seiner "Blutwurstmanufaktur" herstellt, braucht keinen internationalen Vergleich zu scheuen und überzeugt meist selbst die größten Skeptiker. Ein Selbstversuch.
Blutwurst. Ausgerechnet. Hätte die Freundin nicht beim dienstlichen Essengehen in der "Hafenküche" unlängst "Benser Blutwurst mit Kartoffelstampf" bestellt, wäre ich wohl nicht so schnell auf die Idee gekommen, derartige Hausmannskost selbst zu ordern. Gar nicht meine Baustelle. Und siehe da, die große Blutwurst-Bekehrung geschah. Ich kostete von der kross gebratenen, beinah schwarzen Wurst, die aus dem etwas aufgeplatzten Darm quoll. Schmeckte Majoran, Thymian und einen süßlichen Tick Zimt. Fühlte mich an gebratene "Panhas"-Scheiben aus meiner Kindheit erinnert und erklärte dieses Gericht unverzüglich zum Überraschungssieger des Abends. Ich vergaß die ganze, außerordentlich köstliche Angelegenheit recht bald. Mit einem Vermerk in meinem Hinterkopf: "nochmal hingehen, unbedingt wieder essen!"
Um kurz darauf, noch bevor ich auf die Idee kam, "Benser Blutwurst" zu googeln, in einem Stadtmagazin einen Hinweis auf die "Blutwurstmanufaktur" vom "Blutwurstritter" Marcus Benser am Karl-Marx-Platz, mitten in Neukölln, zu lesen. Und siehe da, die französisch geadelte "Boudin Noir" gibt es in Rixdorf in der Fleischerei zu kaufen. Einfach so. Ich ging hin, kaufte Würste. Wir brieten in der Küche einer anderen kulinarisch versierten Freundin die "schwarze" Blutwurst und karamellisierten Apfelspalten als Beilage. Buken belgische Waffeln aus Bierteig und packten eine Kugel Vanilleeis dazu. Wir fabrizierten eine sehr freie Abwandlung einer normannischen "Galette Surprise" und feierten ein privates Blutwurstgelage. Die Blutwurst bewies auch auf heimischen Tellern Noblesse und feinen, aber sehr würzigen Geschmack. Wir begannen in Blogs und Social Media zu schwärmen. Bald war klar: Blutwurstfreundin Nummer Zwei und ich müssen zum "Chevalier du Goûte Boudin" und selbst herausfinden, was es mit der adligen Blutwurst auf sich hat und wie sie gemacht wird.
Rixdorf, eine Remise im Hinterhof, die große Schiebetür öffnet sich zur Fleischerei. Eine sargartige Metallwanne mit einem überdimensionalen Schneebesen sowie drei Eimer Schweineblut stehen bereit. Fleischermeister Marcus Benser und seine Gesellen Olaf Kretschmer und Ivan Janackovic begrüßen uns. Wir wollen uns eine der täglichen Produktionsrunden für 750 Blutwürste anschauen und erfahren, wie diese Kochwurst hergestellt wird. "Die Berliner Blutwurst, um die es sich hier handelt, ist traditionell französisch", stellt Marcus Benser vorab klar. Die Hugenotten brachten das Rezept der "Boudin Noir" aus Frankreich mit nach Preußen. Sie war Nahrungsmittel der einfachen Leute: Die Wurst aus Schweineblut, Zwiebeln, Schwarte und Speck, ein paar heimischen Gewürzen und Därmen war auch für die nicht so betuchten Berliner erschwinglich. Die Fleischerei wurde 1860 im selben Haus eröffnet, damals noch im Keller des nach dem großen Brand von 1848 in Rixdorf neu errichteten Gebäudes. Die Fleischerei Otto Gleich versorgte das Arbeiterviertel in der wachsenden Großstadt Berlin.
Marcus Benser zerkleinert frische Zwiebeln und gleich danach eine Kiste gekochter Schweineschwarte in einem Industriewolf. Alles kommt in die große Metallwanne. Eine Schale Speisesalz und eine weitere Schale Gewürze dazu unter anderem thüringischer Majoran und Thymian, brasilianischer Pfeffer, Nelken aus Sansibar. Die Herkunft ist wichtig, "nur Naturgewürze, die die höchsten Anteile an ätherischen Ölen oder Peperin haben", betont Marcus Benser. Der von mir schon herausgeschmeckte Zimt mischt laut Webseite auch mit, der Rest der Gewürze bleibt geheim so wie sich das für ein hauseigenes Rezept gehört. Die auf dem Boden wartenden drei Eimer gekühltes Schweineblut werden dazu geschüttet. Noch fehlt der "al dente" gekochte Schweinespeck mit Schwarte, der durch den Wolf rattert. "Die Wurst muss im Anschnitt stehen. Der Speck und die Schwarte geben ihr das Gerüst", erklärt Benser. Nicht unwichtig für eine klassische "Boudin", die traditionell in Frankreich gegrillt serviert und aufgeschnitten verzehrt wird.
"Für meine Wurst interessieren mich die 40 entspannten, fetten Schweinchen, die acht Monate auf dem Buckel haben und die der Kleinbauer in Brandenburg und Sachsen-Anhalt hält", sagt Benser. Anonymes Industriefleisch aus Massenhaltung ist verpönt. In die Blutwurst kommen zudem keinerlei Zusatzstoffe hinein. "Biss, Struktur und Geschmack ergeben sich allein durch die Zutaten." Sprichts und greift in eine Schale mit Thymian und Majoran, die ihm Olaf Kretschmer hinhält. "Zwei Hände voll müssen gerieben hinein, damit kommen die ätherischen Öle erst richtig heraus."
Wo Manufaktur draufsteht, ist viel Handarbeit drin. "Mindestens 50 Prozent, das ist gesetzlich vorgeschrieben." Nicht nur beim Gewürzereiben, sondern nun auch beim Mischen mit dem überdimensionalen Quirl. Marcus Benser rührt. So lange, bis die sämige Blutmasse ordentlich durchgemengt ist. Nun kommt unser Part mit den bereitgestellten Löffeln: Probieren und Meinung abgeben. Unerschrocken tunken wir sie in die Flüssigkeit, kosten. Tatsächlich schmeckt es genauso wie das, was wir unlängst gebraten auf dem Teller hatten. Eine kleine Blockade im Kopf übersprungen, das Gesehene kurz beiseitegeschoben. Doch, das ist die Blutwurst, die wir so mögen und die mit 30 Prozent Fett deutlich magerer als etwa Salami ist. "Jetzt habe ich meine Pflicht, einmal in der Woche Blutwurst zu essen, erfüllt", sagt Marcus Benser lachend und legt den Löffel beiseite. Strenge Auflage des Blutwurst-Ordens! Die "Confrérie des Chevaliers du Goûte Boudin" zeichnete die Bensersche in den Jahren 1999, 2001 und 2004 in Blindverkostungen als beste Blutwurst Europas aus.
Ivan Janackovic kommt mit leeren Eimern, öffnet den Abfluss in der Wanne und lässt die Portionen für die Füllmaschine ab. Olaf Kretschmer hat gewaschene und entfettete Rinderkranzdärme vorbereitet und an einem Stutzen "eingefädelt". Das Einfüllen, Portionieren auf 180 Gramm und Abtrennen übernimmt die Maschine. In ihrem eigenen Tack-Tack-Rhythmus stößt die "Wurstspritze" die Würste aus, 175 Stück in der Minute. Olaf Kretschmer legt sie anschließend in den großen Wurstkessel, in dem sie 45 Minuten gekocht werden.
Wir dürfen erneut zum Besteck greifen und eine gekochte Wurst probieren. Schmeckt genauso wie die "rohe" Masse zuvor, sieht nur dunkler aus. Eben wie "schwarze Blutwurst", wie die Übersetzung von "Boudin noir" lautet.
Familienwissen nicht nur um die Herstellung, sondern auch um die Vermarktung guter Fleisch- und Wurstwaren wurde seit der Gründung des Fleischereibetriebes Benser in Weimar anno 1902 immer weitergegeben. Enkel Marcus besann sich darauf, als er vor 20 Jahren, als gerade selbst erst 22 Jahre alter Geselle, den nicht minder altehrwürdigen Betrieb der "Fleischerei Otto Gleich" von Meister Wolfgang Trieselmann übernahm.
Mehr als 100 Jahre Familienwissen
Marcus Benser setzte eine in dieser Fleischerei übliche Tradition fort. Er nahm mit seiner Blutwurst an den Wettbewerben der "Confrérie" im normannischen Mortagne-au-Perche teil. Parallel zur dritten Auszeichnung im Jahr 2004 wurde Benser wegen seiner langjährigen Verdienste zum "Chevalier du Goûte Boudin", zum "Blutwurstritter", geschlagen. Seitdem ist er mit Grillrost und goldener Blutwurstgabel, so die Signets der Bruderschaft, in der Mission Blutwurst aktiv. Und erfolgreich: Seine Blutwurst macht 50 Prozent des Umsatzes in dem Zehn-Personen-Betrieb aus. Von der "Boudin Noir" gehen jährlich 300.000 Stück über die Theke oder in eines der 4.000 Versandpakete.
"Mehr als Blutwurstritter geht ja nicht", sagt Benser. Es sei wichtig, den Kunden jeden Tag "ein tolles Produkt" anbieten zu können. Die Blutwurst ist zwar der Star, aber auch die anderen unter den 70 Sorten Fleisch und Wurst sind, bis auf die regional geschützten, hausgemacht. "Wir haben immer darauf vertraut, dass sich Qualität langfristig durchsetzt. Aber die Jahre von 2003 bis 2005 waren schwierig." Billigheimer-Konkurrenz, eine Kundschaft mit wenig Geld im Portemonnaie, Neukölln keineswegs ein angesagtes Pflaster.
So besann sich Marcus Benser, gemeinsam mit einem befreundeten Marketing-Experten, wieder einmal auf großväterliche Weisheit: "Mach einen Laden, aber mach ihn richtig!" Deshalb gibt es bereits seit 1998 einen Online-Verkauf, aber nur ein einziges Geschäft. Das dafür aber mit gutbürgerlichem, wechselndem Mittagstisch, handwerklich hergestelltem Fleisch und Wurst sowie selbstredend täglich frischer, ritterlicher Blutwurst.
Sie wird nach wie vor zu höchst demokratischen Preisen verkauft: 9,90 Euro kostet ein Kilogramm an der Theke, 11,90 Euro im Versand. Günstiger war Adel für alle noch nie.
Ute Schirmack
Ute Schirmack ist Journalistin, Autorin und Erforscherin großstädtischer Lebensräume. Diese Lebensräume sind unter anderem die Restaurants, Cafés und Bars in Berlin, die sie nun auch mit Stift und Papier genüsslich erkundet.
Info
Blutwurstmanufaktur
Karl-Marx-Platz 9 bis 11, 12043 Berlin-Neukölln
Öffnungszeiten: Mo. bis Fr. 8 bis 18 Uhr, Sa. 8 bis 13 Uhr
Telefon 030-6872004, www.blutwurstmanufaktur.de