Erst Mitte Mai eröffnet, ist das "Golvet" in Tiergarten schon jetzt eines der kulinarischen Highlights in Berlin. Die Küche unter der Oberhoheit von Björn Swanson und Küchenchef Michael Schulz ist allein Grund genug für einen Besuch.
Jetzt wirds schwer, bei so vielen begeisterungswürdigen Attributen über das "Golvet" die wichtigen für diese Geschichte herauszufiltern. Machen wir es kurz für den Anfang: glorioser Panoramablick in Richtung Potsdamer Platz. Björn Swanson als Geschäftsführer und Küchenchef, vorherige Station "Gutshaus Stolpe". Benjamin Becker als Restaurantleiter und Sommelier, vormals "einsunternull". Elegante, produktbezogene Gerichte mit Bodenhaftung. Undogmatische Getränkebegleitungen in Wein oder Alkoholfreiem. Die Bar unter der Regie von Andreas Andricopoulos. Zehn selbstkreierte "Länderdrinks" für eine "Nord-Ostsee-Reise" im Glas. Ein Hotspot für Spät-Dinierer und Nachteulen.
Das neue "Golvet", im achten Stock über der Potsdamer Straße und dem Schöneberger Ufer, ist nach zwölf Jahren Party und Clubbing an die Stelle des "40 Seconds" getreten. Nachtschwärmer kennen die Location noch aus den Zeiten, in denen die "Potse" mit Rotlicht und Rümpeligkeit zu tun hatte. Künstler und Galerien, Mode- und Interior-Designer, Cafés und Restaurants waren fern. Doch in den vergangenen drei, vier Jahren erlebte die Meile auf dem Abschnitt zwischen Kurfürstenstraße und Landwehrkanal eine Renaissance. Das "Golvet" hat auf dieser neuen Kultur- und Gastro-Achse die perfekte Lage. Die Küche unter der Oberhoheit von Björn Swanson und Küchenchef Michael Schulz ist allein Grund genug für einen Besuch. Erst Mitte Mai eröffnet, startet das "Golvet" mit seinem puristischen, durchaus experimentierfreudigen Ansatz selbstbewusst in die Oberliga des Casual Fine Dining. Zu Recht.
Wir begeben uns auf eine viergängige Reise durch das Menü, das Björn Swanson und Michael Schulz mit ihrem 15-köpfigen Team entwickelten. Ich starte am Meer, mit einem Stück vom in Nussbutter gebeizten Wildlachs sowie mit Rhabarberstreifen in einem Dillblütensud und Miso-Mayonnaise. Schöne Grüße aus dem Bauerngarten an der Küste! Die säuerliche Süße des Rotstielgewächses klopft beinah beerig und diskret an die weiche Üppigkeit von Fisch und Mayonnaise. Lachshaut-Chips lassens so richtig krachen. Bei den Kleeblättern gerate ich wie immer ins Zählen. Drei oder vier? Nur drei, aber Glück habe ich allemal, bei einem so klaren Gericht, das seinen Komponenten aromatischen Freilauf gewährt.
Ich bekomme einen selbstgemachten Ananaskefir dazu. Die Experimentierfreude von Benjamin Becker in Sachen Kefir und Kombucha weckten meine Neugier auf eine nichtalkoholische Begleitung. Wasser, Zucker und "kleine, milchige Diamanten", die Kefir-Kristalle, wie die stellvertretende Restaurantleiterin Lisa Karsten verrät, setzen den Gärprozess in Gang. "Je länger das Kefir zieht, desto mehr gehts in die milchsaure Richtung." Wasserkefir hat nichts mit dem bekannten Milchprodukt zu tun. Lisa Karsten holt ein Glasgefäß mit dem Ansatz aus der offenen Küche. Später wird das Getränk mit Ananassaft aufgegossen und in Fläschchen abgefüllt. Ein angesäuertes, prizzeliges Frischgetränk fließt in mein Glas, setzt zum Fisch einen exotischen Kontrapunkt.
Die Saucen sind so intensiv, dass kein Klecks übrig bleibt
Die Begleiterin bekommt dagegen ein "Zitronenbonbon pur" eingeschenkt, wie Benjamin Becker sagt, einen mineralischen 2015er "Schlossberg"-Riesling von Robert Wurm aus Lorch im Rheingau. Wir hören ihm ausgesprochen gern zu. Immer gibt er Zusatzinfos zu Böden, Familienbetrieben oder Rebsorten, die die Wein-Wahl und Passung zum Gericht begründen. Nicht zu kurz und nicht zu lang, so dass sie nicht vom Essen, dem Gegenüber und dem Besuch an sich ablenken. "Das ist genau die richtige Zeitspanne, die mein Hirn braucht, um auf Aufnahme zu schalten", meint die Begleiterin. Sie ist bekennende Nicht-Fisch-Esserin und erhält deshalb ein geflämmtes Rehtatar als Vorspeise: In einem gekühlten Sud aus Roter Bete und Birke liegt ein Taler vom schön stückigen Tatar unter einer rot-weißen Bete-Scheibe. Klackse von Eigelb-Emulsion machen sich drum herum breit. Ich greife zum Löffel, um von ihrem Gang und vom Sud zu probieren. Die Saucen sind so intensiv, dass ich den Löffel fürderhin gar nicht mehr aus der Hand legen mag. Davon darf nichts auf dem Teller zurückbleiben!
Björn Swanson versteht sich auf kontrastreiche, spannende Sude, Jus und Saucen. So auch bei der "Spargel-Papillote", die die Begleiterin entfaltet. Grapefruit kitzelt bei den in Folie gegarten weißen Spargel-Abschnitten die Bitternote hervor, die sonst meist absichtlich weggedrückt wird. Eine flaumig-leichte "Sauce Maltaise", eine in diesem Fall mit Grapefruit-Stücken herb gespielte Hollandaise, greift die Note des Gemüses auf und wiederholt sie. Das passt, auch zum extra gereichten, in Eiweiß-Vinaigrette marinierten Kalbsherz.
Pausiert der Löffel, ruht er sich auf einem Messerbänkchen aus. "Im Sinne der Nachhaltigkeit tauschen wir nicht in jedem Gang das Besteck aus", erläutert Lisa Karsten. Ich bin mir nicht sicher, wie ich das finden soll, zum Beispiel beim Wechsel von Fisch auf Fleisch. Aber meine Bitte um Austausch wird umstandslos umgesetzt nichts anderes als ein unkomplizierter, herzlicher Service wäre in der Handschrift von Benjamin Becker vorstellbar. Für die leicht gesalzene Karamellbutter, die wir zum selbstgebackenen Sauerteig-Topfenbrot beim Intro erhielten, war ohnehin ein Extramesserchen zuständig. Gibts diese spektakuläre Butter auch im Außer-Haus-Verkauf? Wir mussten uns sehr zusammenreißen, uns nicht bereits daran satt zu essen, und wir diskutierten Nachbau-Möglichkeiten für die heimische Küche.
In der Skyline versinkt die "Goldelse" in einem spektakulären Sonnenuntergang. Wir veranstalten das große Panorama-Raten. "Es rückt alles so nah. Die Kirchen, die Brücken am Gleisdreieck, der Radarturm auf dem Tempelhofer Feld. Und wir wissen, dass das alles gar nicht so ist", sagt die Begleiterin. Ich sage: "Das ist eine Aussicht, in der ich einen Heiratsantrag bekommen möchte". Ein entschiedenes "Ja" gebe ich sofort dem auf den Sonnenuntergang farblich und in seiner Intensität abgestimmten Dessert. Auf einer Walderdbeer-Consomée lagert ein Meringue-Sandwich, das mit einer Lavendel-Crème-Chantilly gefüllt ist. Mikado-Stäbchen aus Meringue und eine Nocke aus gebranntem Honig-Eis toppen eine Hügellandschaft aus verschiedenen Erdbeersorten. Wir durchstechen das hocharomatische rot-weiße Türmchen mit dem "mehrstufigen" Aroma, wie die Begleiterin sagt.
Dazu darf eine 2011er Scheurebe Beerenauslese vom fränkischen Weingut Störrlein Krenig aus Franken brillieren. Die frischen, belebenden Spitzen vom Riesling bleiben präsent dieser Süßwein mit der Kreuzung aus Riesling und Buketttraube hat so gar nichts mit "pappigem Oma-Wein" von früher zu tun. Auf meiner, der alkoholfreien Seite des Tisches, darf ein Karamell-Wasserkefir sein gebranntes Zucker-Aroma entwickeln. Ich erhalte, ähnlich wie beim Wein, die Spitzen in meinem Getränk über die feine Kohlensäure, die sich in einer zweiten Gärung entwickeln durfte. "In den nichtalkoholischen Getränken wollen wir die Süße- und Säurestruktur der Weine zu den Gerichten nachempfinden", erläutert Becker den Ansatz der Eigenkreationen.
Während die Siegessäule dann mal bis zum Morgen weg ist, sinnieren die Begleiterin und ich über das Menü unseres Abends. Unerwartet, Neugier weckend: Die rosa gebratenen Brust-Scheiben von der Étouffée-Taube auf einem Saubohnen-Cassoulet. Dicke Bohnen, frische und getrocknete Kirschen sowie Pfifferlinge in einer mit Kirschessig abgeschmeckten Sauce sind die fein uminterpretierte Sommerversion des traditionellen französischen Schmortopfs. "Das ist genau das, was Berlin heute ausmacht. Höchstes Niveau, ohne angestrengt oder albern zu sein", sagt die Begleiterin. In drei bis sechs Gängen gibt es sowohl Höhe wie Niveau für 68 bis 104 Euro; die Getränkebegleitung ab acht Euro pro Glas. A la Carte kosten die Gerichte zwischen 18 und 34 Euro.
Wie eine gemütliche "Kuschelhöhle"
Was fürs Kulinarische gilt, zählt für die Gestaltung des "Golvet" nicht minder eine leichtfüßige, ungezwungene Eleganz prägt Raum und Atmosphäre. Wir fühlen uns in einer intimen, optischen "Kuschelhöhle" am runden Tisch wohl. Ein Punktstrahler erleuchtet Tisch und Gerichte angenehm hell. Wir lehnen uns ins Dunkel zurück und fühlen uns gut aufgehoben übrigens ohne einen Ton von den lebhaft miteinander sprechenden Nachbarn mithören zu müssen.
Björn Swanson nutzt alle Möglichkeiten, seine durchaus undogmatische, aber auch nachhaltige und regionale Küche so umzusetzen, wie er sich das vorgenommen hat. "Wir gehen weg von Schnörkeln und Chichi-Krimskrams", sagt er. "Immer nur für 20 Leute so ruhig und gesittet zu kochen, hat mich auf Dauer gelangweilt." Der 33-Jährige erkochte seinen Michelin-Stern im "Gutshaus Stolpe" im Vorpommerschen und weiß auch von weiteren Stationen wie dem "Fischers Fritz" und dem "Facil" in Berlin sowie aus dem Dresdener "Bean & Beluga" genau, was High-End-Küche bedeuten kann. Action dürfte im "Golvet" mit den 80 Plätzen im Restaurant, der sich noch um eine Lounge mit 60 Plätzen erweiternden Bar und in der offenen Küche genug zu erwarten sein. "Ich habe mir überlegt, wie ein Restaurant sein müsste, das ich selbst gern betrete." Also genau so wie das "Golvet": Mit dem Kopf in den Wolken, aber mit den Füßen fest auf dem Boden. So wie es der schwedische Name des Restaurants vorgibt und wie es der Küchenchef und seine Crew umsetzen.
Ute Schirmack ist Journalistin, Autorin und Erforscherin großstädtischer Lebensräume. Diese Lebensräume sind unter anderem die Restaurants, Cafés und Bars in Berlin, die sie nun auch mit Stift und Papier genüsslich erkundet.
INFO:
Golvet
Potsdamer Straße 58
10785 Berlin-Tiergarten
Telefon 030-89064222
www.golvet.de
Öffnungszeiten:
Di. bis Sa. ab 18.30 Uhr
Küchenschluss: 23.30 Uhr
Bar: open end