Das "Con Tho" in Neukölln war schon kurze Zeit nach seiner Eröffnung kein Geheimtipp mehr. Qualität spricht sich eben immer schnell herum. Die meist südvietnamesischen Gerichte mit überraschenden Aroma-Nuancen repräsentieren eine zeitgenössische asiatische und urbane Küche.
Ein lichter, kleiner Bambuswald umrahmt die große Terrasse vor dem neuen vietnamesischen "Con Tho". Wird es dunkel, weisen Scheinwerfer im Holzboden den Weg in den Innenraum. Der "kleine Hase", so die Übersetzung des naheliegenden Res-taurantnamens gegenüber von Park und Straße, mag es geschmackvoll und harmonisch im Design und auf den Tellern. Abgehängte Bambusstäbe und Kaskaden von Reispapier-Leuchten erzeugen mit Leichtigkeit ein behagliches Sitzgefühl. Wir sind als Viererteam unterwegs, und so ziehen wir nach einer ersten erfrischenden hausgemachten Melonen-Limonade von der Terrasse an den langen Holztisch im vorderen Gastraum um. Speisen und fotografische Aktion verlangen Raum und Ausbreitungsmöglichkeiten.
Draußen war es überdies ein bisschen zu heiß geworden. Das "Con Tho" war bei unserem Besuch so funkelnagelneu, dass die Sonnenschirme gerade erst geliefert worden waren und in langen Paketen vor dem Tresen noch aufs Auspacken warteten. Dennoch herrschte Hochbetrieb ab 20 Uhr an diesem ganz normalen Dienstagabend, nur acht Wochen nach Eröffnung.
Das Auge isst hier definitiv mit
Dafür gibts neben der einladenden Terrasse gute kulinarische Gründe. Die meist südvietnamesischen Gerichte mit überraschenden Aroma-Nuancen repräsentieren eine zeitgenössische, asiatische, urbane Küche. Sie ist fein nuanciert, ausgewogen und zudem ausgesprochen preiswert.
Nehmen wir etwa den "Spring Snow" bei den kleinen, vorspeisentauglichen "Happy to Share"-Gerichten. Auf den poetischen Namen "Frühlingsschnee" hört eine im Kokosbad gegarte Tofuscheibe. Sie versteckt sich unter einer Decke von sonnengelber Knoblauch-Mayonnaise mit dekorativen Kräuterpesto-Streifen. Eine Rosenblüte mit Frühlingszwiebel-"Blättern" schmückt eine Tofu-Ecke. Blütenblätter setzen pinkfarbene, essbare Akzente. Bei dieser Farbenpracht erklären wir den Winter kurzerhand für beendet und bringen den Tofu in unseren Mündern zum Schmelzen. Die Knoblauch-Mayonnaise ist präsent, aber nicht erschlagend. Gibts die auch für zu Hause? Geschmack, Qualität und die Präsentation der Gerichte auf Design-Keramiktellern haben ein anderes Niveau als der Preis von drei Euro je vermuten ließe.
Wie kommt das zustande? Ein hohes kreatives wie geschmackliches Level bei überaus volkstümlichen Preisen? Es werde spitz kalkuliert und auch mit regionalen Produkten, aber eben in Bio-Qualität, gearbeitet, verrät "Con Tho"-Mitbesitzer Huy-Thong Tran Mai. "Wir haben intensiv mit unseren Lieferanten gesprochen." Und lange vorher mit den Nonnen und Mönchen der buddhistischen Pagode "Phat Hue" aus Frankfurt am Main. Sie sind Mitbesitzer des "Con Tho" und Huy-Thong und seinem Team seit Jahren verbunden.
Der 46-Jährige ist kein Unbekannter in der Szene. Er ist Konzeptentwickler für Gastronomie und Hotels und betreibt das "Ryong" an der Torstraße. "Wenn unsere Köche und die Nonnen zusammenarbeiten, dann brodelt es." Nicht nur in den Köpfen, sondern auch in der Küche.
Heraus kommt dabei etwa die vegane "Hasen-Suppe" für 8,50 Euro, wie der Fotograf die "Yellow Bowl" mit dem ausgestochenen weißen Rettich-Hasen bezeichnet, der am dunklen Schalenrand sitzt. In der heißen, gehaltvollen und angeschärften Zitronengras-Annatto-Suppe schwimmen Seitan-Wölkchen und Tofu. Wir tunken in Tempurateig knusprig ausgebackene, goldgelbe Gittertaler aus Reisnudeln ein und essen sie zur Suppe. Die Gerichte, ob Suppen- und Reisschalen oder Reismehlcrêpes, sind auf der Karte farbig durchdekliniert: "Das erste Gericht ist immer das klassische", sagt Huy-Thong. In der grünen, gelben oder roten Version wird etwa mit Spinat, Kurkuma, Porree oder Rote Bete modern weitergespielt.
Wohltuende
Wirkung auf Körper, Geist und Seele
Der mit Rosmarin und Thymian ummantelte, gebackene Räucher-Seitan im "Happy Monk"-Reisgericht für acht Euro mutet womöglich hierzulande apart und unbekannt an. Aber die vietnamesische Küche hat in einhundert Jahren Kolonialzeit viele französische Einflüsse, Aromen und Produkte aufgenommen von Baguette bis "Cà phê", von Dill über Porree bis zur Karotte. Der "Glückliche Mönch" ist etwas für Liebhaber einer eher puristischen, beinah japanisch strengen Darreichungsform: Seitan, Frühlingszwiebeln, Wurzeln und Spinat liegen getrennt auf dem Reis und werden mit der gesondert gereichten Limetten-Knoblauch-Sauce nach Gusto übergossen und verbunden. Die Steinschale, in der das "Com Tham" gereicht wird, ist zudem selbst heiß, und das Essen bleibt lange warm. Sehr angenehm, insbesondere, wenn man wie wir viele unterschiedliche Gerichte zum Teilen auf dem Tisch hat. Wer mag, kann gegrillte Kräuter-Saitlinge, Auberginen oder ein Bio-Spiegelei für je einen Euro dazubestellen.
Im "Con Tho" sollen die vegetarischen und häufig veganen Gerichte "eine wohltuende Wirkung" auf Körper, Geist und Seele ausüben. Dahinter stecke ein naturheilkundliches Konzept von Wirkung, Neben-Wirkung und Aufhebung der Auswirkungen der Zutaten, sagt Huy-Thong. "Das ist hauptsächlich auf Allergene gedacht. Wenn wir beispielsweise Pilze nehmen, die viele Allergene übertragen, geben wir Ingwer, Thymian oder Rosmarin dazu, die das mindern." Dieses Wirkprinzip vieler asiatischer Küchen zeige sich etwa in der Kombination von Ente und Ingwer oder in der Beigabe von Basilikum zu vielen Gerichten. Kompliziert zu merken und zuzubereiten? Keineswegs, sagt Huy-Thong: "Das klingt aufwändig, aber wenn man es liebt, dann ist das nicht so." Wir widmen uns dem Gericht "Softly bedded" "sanft gebettetem" Räuchertofu auf blanchiertem Porree. Die Stangen liegen auf einem Zitronengras-Lavendel-Pesto auf Teriyaki-Saucen-Basis. Sie werden getoppt von frittierten Chili-Fäden. Der Hauch lavendeliger Provence gibt dem Gemüse eine unerwartete, diskret parfümierte Note, die sich mit der mild-zwiebeligen Süße des Porrees und der Teriyaki-Sauce bestens verträgt. Ich meine: Die Welt braucht mehr frittierte Chili-Fäden. Begleiterin Nummer eins meint: "Eine tolle Art, pikant zu essen und die Dosierung selbst im Griff zu haben". Mir gefällt die durch das Frittieren zurückgenommene Schärfe besonders gut auf den "Double Trouble"-Auberginenhälften, die sich ansonsten gänzlich friedlich verhalten. Die gegrillten Auberginen für sieben Euro werden mit einem Dressing aus in Öl geschwenkten Kräutern, Knoblauch, Limette und Sojasauce gereicht. Besonderer Pfiff: Nori-Algen-Flocken obenauf, die dezent Meer spielen und eine Idee von Fischgericht herbeizaubern.
Wie verzaubert
und in eine andere Welt versetzt
Ich entdecke kurz darauf ungeahntes Basteltalent. Wir bekommen einen großen grasgrünen "Banh Xeo"-Reismehlcrêpes serviert. Auf Hälfte gefaltet und mit angezackten Rändern erinnert er an eine hungrige, fleischfressende Pflanze. Ob er zuschnappt, wenn ich ihn aufklappe, um die Füllung aus gegrilltem Porree, mariniertem Tofu, Schwarzwurzel und geschmolzenem Käse in Augenschein zu nehmen? Natürlich nicht ich habe wohl einmal zu viel das Musical "Der kleine Horrorladen" mit der übergriffigen Pflanze "Audrey II" angeschaut. Ich kann allerdings nicht ohne knackende und krachende Gegenwehr den knusprigen, hauchdünnen Fladen schneiden und einen Teil davon auf einem der drei extra gereichten, in Wasser eingeweichten Reispapier-Kreise verteilen.
Außerdem warten Salatblätter, Minze und Kochbananen-Scheiben darauf, gerupft, gezupft und auf dem Reispapier verteilt zu werden. Fladen-Streifen daraufgelegt, alles beherzt eng zusammengezurrt, gerollt und an den Ecken "selbstklebend" eingeschlagen, entsteht tatsächlich eine Rolle. Ich tunke sie in ein süß-scharfes Limettendressing, und kurz darauf ist alles wieder aufgegessen. Eine sparsame Verteilung der Zutaten verhindert, dass zu große, beim Essen auseinanderfallende Pakete entstehen. Die Kleidung dankt, der Geschmack ebenso. Denn die so komprimierten Kräutlein, Gemüse, Crêpe-Stücke und Tofu schmecken intensiver miteinander. Bleibt "Füllung" übrig, reicht der Service gern Reispapier nach.
Begleiterin Nummer zwei ist vom draußen wie drinnen harmonierenden Grün angetan. Die durchgehende Bepflanzung, Beet-Umrandungen und das Licht schaffen eine zwanglose optische Verbindung und vergrößern den Innenraum nach außen. In den beiden Räumen innen finden 60 Personen Platz, auf der Terrasse weitere 50. "Green Chaos" gibts im "Con Tho" zwar auch, aber nur im Glas und in Gestalt von grüner Mango, Petersilie, Limette und Ingwersud als Limonade. Die Begleiterin lässt die beruhigende Atmosphäre des Ortes und des Essens auf sich wirken: "Ich bin ganz verzaubert und fühle mich in eine andere Welt versetzt." Das ist gewiss nicht das Schlechteste, das ein Restaurant an der vielbefahrenen Hasenheide, nur wenige Meter vom trubeligen Hermannplatz entfernt, erreichen kann.
Ute Schirmack ist Journalistin, Autorin und Erforscherin großstädtischer Lebensräume. Diese Lebensräume sind unter anderem die Restaurants, Cafés und Bars in Berlin, die sie nun auch mit Stift und Papier genüsslich erkundet.
INFO:
Con Tho
Hasenheide 16
10967 Berlin-Neukölln
Öffnungszeiten:
täglich 12 bis 24 Uhr
Telefon 030-22456122
www.facebook.com/ConThoBerlin/