Die re:publica geht unter dem Motto "Love out loud" als größte Konferenz zur digitalen Gesellschaft vom 8. bis 10. Mai in ihre elfte Runde. Mit 700 Bloggern gestartet, entwickelte sie sich zum internationalen Kongress mit mehr als 8.000 Experten. Markus Beckedahl, Mitbegründer der re:publica und Betreiber des Blogs netzpolitik.org, spricht über die "#rp17".
Herr Beckedahl, eine Digitalkonferenz interessiert nicht jeden. Welche Gründe gibt es, auch für "Analog-Menschen", zur re:publica zu gehen?
Es gibt keinen anderen Ort in Deutschland wie die re:publica, an dem sich die Facetten einer sich entwickelnden digitalen Gesellschaft so deutlich zeigen. Die re:publica bildet digitale und mediale Trends ab, die man direkt vor Ort ausprobieren kann. Kurz gesagt: Auf der re:publica erfährt man heute in drei Tagen und mit über 500 Stunden Programm, worüber die Gesellschaft morgen diskutieren wird.
Digitale und analoge Welt verflechten sich immer mehr. Wie bildet sich das auf der re:publica ab?
Das kann man gut im "Maker Lab" neben der Ruhezone am "Affenfelsen" sehen. Dort zeigen Hacker und Maker (digitale Bastler) aus Deutschland und vor allem aus zahlreichen Entwicklungsländern, wie etwa 3D-Druck oder CNC-Fräsen in abgelegenen Weltgegenden das Leben der Menschen verbessern können. Mit 3D-Druck können Werkstücke, die teils kollaborativ und länderübergreifend entwickelt wurden, fernab der Zivilisation hergestellt werden. Brauche ich ein spezielles Bauteil abseits von den Wegen der internationalen Logistik, kann ich mir eine CAD-Datei herunterladen, drucken und mit der Arbeit weitermachen. Wochenlanges Warten fällt weg. Mittlerweile hat sich ein großes globales Netzwerk rund um das jährliche Treffen der Hacker und Maker auf der re:publica entwickelt.
Welche zukunftsweisenden Trends zeichnen sich derzeit ab?
Die Auswirkungen von Virtual Reality und vor allem ethische Fragen dazu verdienen Beachtung. Ein Beispiel: Was geschieht, wenn Videospiele so real werden, dass ich gar nicht mehr weiß, wo die Grenze zwischen Realität und virtueller Realität verläuft? Was macht das mit mir, wenn ich jemand in fotorealistischer Darstellung und in 3D im Spiel "erschießen" kann?
Ein weiteres großes Thema ist die Nachvollziehbarkeit von algorithmischen Entscheidungen. Wenn ein Großteil der Gesellschaft auf Facebook kommuniziert, und das sind aktuell 40 Prozent der Bevölkerung in Deutschland, wer entscheidet dann, was wir sehen? Theoretisch kann Facebook durch das Sichtbarmachen und das Nicht-Sichtbar-Werden-Lassen Wahlen beeinflussen. Das sollte uns als Gesellschaft interessieren und wir wollen über Strategien diskutieren.
Beeinflusst die kommende Bundestagswahl die Themen der re:publica 17?
Tatsächlich haben wir die Bundestagswahl in diesem Jahr weniger im Programm als auf früheren re:publicas. Wahrscheinlich liegt es daran, dass das Internet im Wahlkampf tatsächlich genutzt wird. Man muss nicht mehr über die Besonderheit des Internets und von Social Media reden. Das Programm wird von Jahr zu Jahr umfangreicher.
Wie finde ich die richtigen Veranstaltungen für mich?
Jeder kann sich je nach Interesse "seine" re:publica individuell zusammenstellen. Es sprechen in den 700 Sessions und in insgesamt 500 Stunden Programm an den drei Tagen eine Vielzahl Menschen, die etwas zu sagen haben. Jeder kann sich in bis zu 17 parallelen Veranstaltungen zu jeder Stunde auswählen, was ihn interessiert oder was für ihn wichtig ist.
Gibt es wichtige Speaker, deren Sessions man besuchen sollte?
Wir haben mehr als 700 Sprecherinnen und Sprecher, da fällt es mir schwer, einzelne hervorzuheben. Wir laden auch lieber die "Stars von morgen" als die von gestern oder heute ein. Letztes Jahr hat zum Beispiel die Wissenschaftlerin Kate Crawford bei der re:publica über die Nachvollziehbarkeit von Algorithmen gesprochen. In diesem Jahr war sie mit demselben Thema eine der großen Nummern auf der "South by Southwest" (SXSW) in Austin/Texas.
Was bedeutet das diesjährige Motto "Love out loud"?
Wir sehen gerade verschiedene Entwicklungen in der Gesellschaft und damit auch im Netz. Der Hass im Netz dominiert. Er wird bei uns nur von einem kleinen Teil der Menschen so verbreitet, ist aber umso präsenter. Damit kommt auch die Tendenz, Minderheitenmeinungen abseits von rechten Extremen zu beschneiden und das dann auch noch im Namen der Meinungsfreiheit zu verkaufen. Es gilt, weiter aufmerksam dafür zu sein. Wir haben auf der re:publica schon darüber gesprochen, bevor es ein auf allen Ebenen der Gesellschaft diskutiertes Thema wurde. Wir wollen uns damit weiterhin kritisch auseinandersetzen, aber auch über die schönen Entwicklungen der Digitalisierung sprechen. Unser Motto "Love out loud" ist eine Aufforderung an alle, sich selbst einzubringen, das Netz und die Gesellschaft positiv voranzubringen.
Die re:publica ist Teil und Initiator der zweiten "Spring", eines Zusammenschlusses von mehr als 20 Festivals und Events vom 20. März bis 20. Juni. Wie kam es dazu?
Wir haben die "Spring" im vergangenen Jahr zum ersten Mal mit initiiert. Wir konnten feststellen, dass es im Frühling eine Vielzahl von Veranstaltungen zu digitalen Themen von Gaming über Kunst bis zu Do-it-Yourself gab, die aber alle nicht recht miteinander verbunden waren. Wir sind mit der re:publica selbst im Netzwerk entstanden und der Community verbunden. Es war die logische Konsequenz, dass wir uns in einem größeren Rahmen alle miteinander vernetzt haben.
Die re:publica ist mit 8.000 Teilnehmern sehr groß. Wie verhalten sich Politik und Wirtschaft dazu?
Früher wurden wir mit unseren Themen belächelt, jetzt ist es normal, dass DAX-Unternehmen und Spitzenpolitiker, die cool sein wollen, bei uns sprechen wollen. Dieter Zetsche, der dieses Jahr auf der "South by Southwest" gesprochen hat, war schon vor zwei Jahren bei uns. In diesem Jahr haben wir unter anderem Andrea Nahles, Thomas de Maizière und Brigitte Zypries aus der Politik dabei.
Welche wichtigen Entwicklungen hat die re:publica selbst im Laufe der mehr als zehn Jahre genommen?
Wir sind stolz darauf, dass wir inklusiv sind. Die Hälfte der Speaker ist weiblich, so wie die Hälfte der Welt weiblich ist. Wir hatten viele inzwischen anerkannte Experten und Expertinnen da, die auf der re:publica ihre erste große Bühne hatten Raul Krauthausen, Sascha Lobo, Anne Wieczorek oder Julia Probst etwa. Menschen wie Raul Krauthausen haben früh inklusive Strategien bei uns mitentwickelt, einfach, weil sie sich mit ihren Bedürfnissen eingebracht haben. Wir sind aus dem Zuhören entstanden und an der Community orientiert. Also hören wir genau zu und setzen um, was möglich ist. Wir haben auf Bühne 1 seit einigen Jahren Live-Transkriptionen der Vorträge, die Menschen mit Einschränkungen beim Hören zu Gute kommen. Das bedeutet jedes Mal eine Menge Aufwand, den wir gern auf uns nehmen. Rein kommerzielle Organisatoren würden wahrscheinlich bei Menschen, die auf Transkriptionen oder auf barrierefreie Zugänge, Toiletten und Rampen angewiesen sind, sagen: "Ach, für die paar Menschen lohnt sich das nicht, lass mal."
Insgesamt merken wir auch die Veränderungen bei unseren Teilnehmern. In der ersten Welle haben die Leute ihre kleinen Kinder mitgebracht. Wir brauchten also Wickelräume, weil wir um die 200 Kinder bis zum Schulalter mit ihren Eltern vor Ort haben. Inzwischen bringen die Leute nicht nur ihre Kinder, sondern auch ihre Eltern mit. 75-Jährige sind auf der re:publica auch nichts Außergewöhnliches mehr.
Dann wären also Sitzkissen mit re:publica-Motiv für die Plastikstühle eine sinnvolle Ergänzung.
Gute Idee, das nehme ich gleich als Anregung mit. Mal sehen, vielleicht klappt es bis Anfang Mai.
Von Ute Schirmack
Info:
Auf der re:publica 17 werden vom 8. bis 10. Mai in der Station Berlin am Gleisdreieck Fragen der vernetzten Gesellschaft diskutiert. Netzpolitik, digitale Bürgerrechte und der Einsatz für ein offenes Internet sind wichtige Anliegen. Speaker wie die Publizistin Carolin Emcke, Stadtgestalter Usman Haque, Physikerin Christine Corbett Moran, Politikberater Peter Neumann, Medienjournalistin Ingrid Brodnig und die US-Roboterbauerin Lisa Winter werden auf der rp17 erwartet. Themen wie Gesundheit, digitale Bildung, Musik oder FinTech finden Raum. In diesem Jahr findet die sub:marine statt, eine Subkonferenz zum Thema Netz und Umwelt im Rahmen des Wissenschaftsjahres 2016/17. Zum vierten Mal kooperiert die re:publica mit dem Medienkongress Media Convention Berlin. Standardtickets gibt es ab 199 Euro. Weitere Infos und Programm unter www.re-publica.de.
Info:
Der Frühling ist da und mit ihm zum zweiten Mal die Spring Berlin, das Event-Netzwerk für mehr als 20 Festivals, Messen und Konferenzen. Die spartenübergreifende Plattform ist ein Schaufenster für Veranstaltungen der Berliner Kreativwirtschaft und Kulturszene. Das Spektrum reicht von bildenden Künsten und Musik bis zu Design und Digitalwirtschaft. Bis zum 20. Juni sind an diversen Orten in Berlin diese Events zu erleben: re:publica, Media Convention Berlin, achtung berlin, Comicinvasionberlin, Amaze, #verlagebesuchen, Performing Arts Festival Berlin, Karneval der Kulturen, Cube Tech Fair, Maker Fair Berlin, The Hive, Investors Dinner, #unit, Pictoplasma Berlin, state of design Berlin, Digitalisierung im Grünen IGA Berlin 2017, Performersion, Xjazz Festival, Wear it Festival, Leap, Torstraßenfestival und die Heureka Conference. Mehr Infos unter www.spring.berlin
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