Nach dem G20-Gipfel ist der Streit um die politische Verantwortung und die Konsequenzen voll entbrannt. Im Zentrum stehen Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) und Kanzlerin Angela Merkel (CDU).
Hamburgs Polizeipräsident hatte bereits im Vorfeld des G20-Gipfels klargemacht, man müsse "Sachbeschädigungen teilweise hinnehmen, um den Gipfel zu schützen". Das würde jeder Polizeipräsident, egal in welcher deutschen Stadt, sofort unterschreiben. Auch der Hamburger Chef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Jan Reinecke, bestätigt, die erste Priorität des Einsatzes sei die Sicherung des Gipfels, erst die zweite Priorität habe der Stadt und ihren Bürgern gegolten. Und genau das ist das Problem von Hamburgs Erstem Bürgermeister Olaf Scholz (SPD). Denn er kann seinen Bürgern kaum erklären, nicht mehr Polizei zu schicken, wenn Geschäfte geplündert werden und Autos brennen. Es wäre eine Bankrotterklärung und klarer Rücktrittsgrund. Für einen Rücktritt aber, betont er gebetsmühlenartig Anfang der Woche, sehe er "keinen Grund".
Überraschend Schützenhilfe erhielt Scholz ausgerechnet von höchster CDU-Seite. Kanzleramtsminister Peter Altmaier nahm ihn ausdrücklich in Schutz: "Ich kann keine Begründung erkennen, warum er zurücktreten sollte." Was Scholz allerdings auf die Füße fällt, ist seine flapsige Aussage im Vorfeld des G20-Gipfels, wonach er das Treffen der "Großen dieser Welt" mit dem Hamburger Hafenfest verglichen hat. Nun entsteht unwillkürlich der Eindruck wie nach der Silversternacht 2015/16 in Köln, nämlich dass die SPD keine innere Sicherheit kann. Und das kurz vor der heißen Phase im Bundestagswahlkampf. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) nutzte umgehend die Chance und empfahl der Bundesregierung, den nächsten internationalen Gipfel doch lieber wieder im Freistaat abzuhalten, dort seien "die Gäste wenigstens sicher". Das wiederum löste prompt einen Proteststurm bei der SPD aus, angeführt von Kanzlerkandidat Martin Schulz.
Scholz will nicht zurücktreten
Gleichzeitig fordert Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) eine europäische Extremisten-Datei: "Wir haben keine ausreichende Datengrundlage in Europa, das hat der Gipfel deutlich gemacht", begründet er seine Idee. Auch Hamburgs Erster Bürgermeister will schärfere Mittel gegen Extremisten. Anmelder von "gewalttätig ausgearteten Demonstrationen" sollen konsequenter verfolgt, das Demonstrationsrecht eingeschränkt werden. Das wird allerdings nicht nur von der Linkspartei abgelehnt. Auch die eigenen Genossen stehen diesem Ansinnen kritisch gegenüber. Bleibt die Frage, warum ein solches Spektakel mitten in einer Großstadt stattfinden musste, und nicht im umliegenden ländlichen Bereich, ähnlich wie vor Jahren der G8-Gipfel in Heiligendamm an der Ostsee, gut 100 Kilometer von Hamburg entfernt. Auch dort hatten sich in "Friedenscamps" Tausende gewaltbereiter Chaoten versammelt. Um allerdings überhaupt in die Nähe von Heilgendamm zu kommen, mussten die Gipfelgegner zehn bis 20 Kilometer in der sengenden Sonne marschieren. Weit und breit keine Geschäfte, wo man sich mit Alkohol versorgen konnte, und vor allem keine parkenden Autos, die in Flammen aufgehen konnten.
SPD und Linkspartei sehen die eigentliche Schuld bei Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie wollte angeblich unbedingt nach Hamburg wegen der schönen Bilder. Linken-Spitzenkandidat Dietmar Bartsch ist nach den Krawallen mit seiner Kritik am Polizeieinsatz zwar sehr zurückhaltend, mit Blick auf die Kanzlerin aber klar: "Wenn man Hamburg für einen solchen Gipfel auswählt, hat man einen Fehler gemacht." Nur kann auch eine Kanzlerin nicht einfach selbstherrlich alleine bestimmen, wo ein Gipfel stattfindet. Angeblich war es Olaf Scholz, der unbedingt den G20-Gipfel in der Hansestadt haben wollte, sozusagen als Ersatz für die Olympiabewerbung, die die Hamburger in einem Volksentscheid rundheraus abgelehnt haben. Bis zum Gipfel galt Scholz als Hoffnungsträger der SPD, seither kämpft er erst mal ums politische Überleben.
Sven Bargel