In Moabit wird die alte Schultheiss-Brauerei umgebaut: Im einstigen Arbeiterviertel entsteht eine hippe Kombination aus Shopping-Mall, Büroflächen, Hotel und Ateliers.
Gegenüber der ehemaligen Schultheiss-Brauerei steht noch eine Reminiszenz an das alte Moabit: In der gut geheizten Imbissstube kostet die Dose Schultheiss-Bier nur einen Euro. Diese Preise werden wohl, wenn das neue "Schultheiss Quartier" fertig ist, der Vergangenheit angehören. Auch Moabit, das einstige Armenhaus Berlins, verändert sich und bekommt nun endlich eine Shopping-Mall. 150 Läden sind geplant, das Ganze klingt ähnlich wie in vielen anderen der 65 Berliner Shopping-Malls. Einzige Besonderheit: Die Mall wird zum Teil in den denkmalgeschützten Mauern der alten Schultheiss-Brauerei liegen.
Erste Sanierungen mit schnödem Plastik
1871 wurde sie erbaut, und wie es damals üblich war, wollte man der riesigen Anlage einen ästhetischen Anblick geben. Noch heute wirkt der Ziegelsteinbau mit seinen Türmchen und Zinnen wie eine Burg. Es gab Platz für Bierkutschen in Remisen, ein großes Sudhaus, für einen Festsaal mit Kronleuchtern und natürlich für die riesigen Gebäude für den Brauprozess und die Lagerung des Gerstensaftes.
1913 war Schultheiss die größte Lagerbierbrauerei der Welt, man zählte 2.800 Angestellte und in den 40ern sieben Berliner Schultheiss-Brauhäuser eines davon das in Moabit. Das wurde im Laufe der Zeit immer wieder umgebaut. Das älteste heute noch erhaltene Gebäude ist das Sudhaus mit den sich nördlich anschließenden Kellereien, traditionell mit wuchtigen Bogengewölben. 1980 stellte Schultheiss den Betrieb in Moabit ein. Was folgte, war eine ziemlich krude Mischung an Gewerben: Auf das Gelände zogen eine Squashanlage, ein Billardsalon, ein Tapetengeschäft, ein Asialaden und Autowerkstätten ein. Sie hausten zwischen notdürftig improvisierten Zwischenmauern. Und wo Fenster saniert werden mussten, tat man das mit schnöden Plastikrahmen.
Erst 1995 wurde der Komplex unter Denkmalschutz gestellt. Und dann passierte erst einmal längere Zeit nichts, die ehemalige Brauerei dümpelte vor sich hin. Als jedoch bekannt wurde, dass einige der denkmalgeschützten Gebäude abgerissen werden sollten, organisierten Nachbarn der alten Anlage den gemeinsamen Protest erfolgreich.
Davon profitiert heute der neue Investor. Rund 200 Millionen Euro investiert die HGHI Baumanagement GmbH in die Sanierung. HGHI das ist die Firma von Harald Huth, der in Berlin schon etliche Shopping-Malls hochgezogen hat, vom Steglitzer "Schloss" über die Neuköllner Gropius-Passagen bis zur Mall of Berlin am Leipziger Platz. Baubeginn für die neue Errungenschaft in Moabit war im September 2015, seitdem werkeln täglich rund 200 Arbeiter auf der Baustelle. Fertig soll alles im Februar 2018 sein wenn man es mit dem neuen Hauptstadtflughafen vergleicht, ein Rekordtempo.
Und was wird dann daraus? Im vorgelagerten Bereich wurden einige Nachkriegsbaracken abgerissen. Hier entsteht stattdessen ein Meininger Hotel mit 250 Zimmern, das in seiner Blockbauweise wie eine Schuhschachtel mit Löchern wirkt. Damit das nicht zu sehr ins Gewicht fällt, gab es eigens einen Fassaden-Architekturwettbewerb. Der Sieger-Entwurf soll nun die Ziegelsteinstruktur der historischen Nachbargebäude aufgreifen.
Neben dem Haupteingang des Hotels gelangt man in die Shopping-Mall, die sich dann bis ins alte Brauereigebäude auf zwei Etagen durchzieht. "Sie ist nahezu komplett vermietet, wir bedienen immerhin ein Einzugsgebiet von rund 200.000 Haushalten", sagt Karsten Kluge, Geschäftsführer der HGHI. Die nahegelegene Turmstraße, früher die Haupteinkaufsmeile des Bezirks, hat in letzter Zeit arg gelitten und beherbergt inzwischen sehr viele Ein-Euro-Shops und dergleichen.
Weg mit dem Proll-Image, mag man sich gedacht haben und so folgt bei ehedem Schultheiss nun Kaffee aufs Bier. Denn ein Aushängeschild des Quartiers soll die Berliner Kaffeerösterei werden: Sie zieht in die acht Meter hohen Räume des ehemaligen Sudhauses und soll mit edlem Plantagenkaffee das gastronomische Highlight der Anlage bilden.
Ein kleiner Teil dient noch der Bierproduktion
Dennoch bleibt noch genügend Raum für anderes. Die Grundstücksfläche des Quartiers beträgt 23.000 Quadratmeter, rechnet man alle Stockwerks-Flächen zusammen, kommt man auf stolze 71.706 Quadratmeter. Doch das reicht noch nicht: "Im hinteren Teil der Anlage möchten wir noch ein Studentenwohnheim bauen, die Genehmigung dafür steht allerdings noch aus", erläutert Kluge. Höchst edel dagegen wirken schon jetzt die Büroräume in der alten Brauerei, die dafür fast vollständig entkernt wird. Massive Eisenträger durchziehen die Großraumbüros, die billigen Plastikfenster werden durch industriell wirkende Stahlrahmen ersetzt, die Backsteinwände werden gereinigt und lasiert IT-Unternehmen werden sich die Finger nach einem derartigen Arbeitsambiente lecken.
Die alten Garagen für die Kutschen und die Brauereipferde auf der Hinterseite des Grundstücks baut Investor Huth zu lichten Ateliers für Künstler und Kreative um. Auch die werden schicker als die ehemaligen Kiez-Werkstätten und Läden sein. Und sie werden, ebenso wie Büros, Geschäfte oder Hotels, gut erreichbar sein: "Die Verkehrsanbindung mit dem U-Bahnhof Turmstraße ist gut, demnächst wird auch die Straßenbahnlinie vom Hauptbahnhof bis zur Turmstraße verlängert", sagt HGHI-Geschäftsführer Kluge. Schultheiss Moabit reiht sich somit ein in die Umnutzung anderer historischer Berliner Brauereien. Da wäre die ebenfalls burgartige Schultheiss-Brauerei am Prenzlauer Berg aus dem Jahr 1878, die heute als Kulturbrauerei Gastronomie, Kinos, Konzertsäle und Theater beherbergt. In der eleganten Tivoli-Brauerei am Südhang des Kreuzbergs aus dem Jahr 1862 entstand um die Jahrtausendwende ein ehrgeiziges Projekt einer Luxuswohnanlage in historischen Gemäuern. In der Kindl-Brauerei in Neukölln wurde von 1926 bis 2005 Bier gebraut, nun ist ein Zentrum für moderne Kunst entstanden, ein kleiner Teil dient aber immerhin noch der Bierproduktion (Privatbrauerei am Rollberg). Ganz unterschiedliche Konzepte füllen nach und nach die oft wundervollen Gebäude ehemaliger Braustätten von Ateliers und Veranstaltungsräumen über Industriehöfe bis zur Musikbrauerei. Bleibt zu hoffen, dass eine neue Nutzung möglichst vielen dieser Orte und ihrer historischen Bedeutung gerecht wird: Immerhin war Berlin um 1900 mit 250 Brauereien der größte Bierproduzent Europas.
Dirk Engelhardt