Neue Energie aus Lothringen das ist das Ziel von Romain Seguier. Für das Gasförderunternehmen FDE sucht der Geologe verheizbares Kohlegas im französischen Boden. Milliarden Kubikmeter schlummern angeblich in Steinkohlevorkommen. Auch das Saarland ist in seinem Visier.
Romain Seguier ist optimistisch. Der Geologe des Gaspioniers Française de lEnergie (FDE) geht felsenfest davon aus, dass spätestens in zwei Jahren das neue "schwarze Gold" aus den Tiefen Lothringens geborgen werden kann. Das ist allerdings nicht fest, sondern gasförmig: Kohleflözgas. Die mittlerweile fünfte Probebohrung zur Gewinnung des Gases verläuft bislang erfolgreich.
Unweit des 850-Seelendorfes Lachambre bei Saint Avold ist der 30 Meter hohe Bohrturm auf dem umzäunten Gelände schon von Weitem zu sehen. Seit Mitte Dezember vergangenen Jahres gräbt sich der Bohrer Meter für Meter bis auf rund 1.000 Meter Tiefe vor erst senkrecht und dann an der vermuteten Kohleader horizontal bis zu zwei Kilometer weit. Ein neues technisches Verfahren, das in dieser Form erstmalig in Europa eingesetzt werde, erklärt Romain. Ein wissenschaftliches Freiluft-Versuchslabor. Der Untergrund Lothringens ist kartografiert: 150 Kilometer lang, 80 Kilometer breit, sechs Kilometer tief. Wo einst Steinkohle gefördert wurde, wird nun nach Gas gebohrt. Wo weitere Kohleflöze vermutet werden, wie die Gesteinsformationen aussehen, all diese Daten wurden vorher mit Hilfe der öffentlich zugänglichen Archive der ehemaligen Steinkohlegrubengesellschaft in Freyming-Merlebach zusammengetragen, ausgewertet und für die notwendigen Probebohrungen aufbereitet.
"Je nach Bodenbeschaffenheit kommt der Bohrer bis zu zwölf Meter in der Stunde voran", erläutert Benjamin Joubier, der auf der Baustelle für die Bohrung verantwortlich ist. "Ist der Kohleflöz erreicht, geht es in die Horizontale. Das in der Kohle gebundene Gas kann auf natürlichem Wege entweichen, ohne Hinzufügen von Chemikalien, Sand oder Wasser." Mit dem aus den USA bekannten Fracking, das in Frankreich im Übrigen verboten sei, habe das rein gar nichts zu tun. Das Gas steige durch die Rohre an die Oberfläche, werde gesammelt und könne direkt weiterverarbeitet werden, so Joubier.
Rund 50 Personen sind auf der Baustelle in Lachambre im Durchschnitt tätig, überwiegend Fachleute wie Ingenieure, Geologen, Hydrologen, Umweltfachleute sowie Mitarbeiter der ausführenden Baufirmen. 24 Stunden, sieben Tage die Woche nach sechs Wochen wandert die Baustelle ein paar Hundert Meter weiter.
Das erste Bohrloch auf dem Gelände in Lachambre ist bereits wieder komplett mit meterdickem Beton verschlossen, damit kein Gas aus den Tiefen nach oben steigt und entweichen kann. Lediglich ein verschlossenes Rohr mit 30 Zentimetern Durchmesser erinnert an die Bohrung. "Das gewonnene Steinkohlengas besteht aus 96 Prozent Methan, im Gegensatz zum importierten Gas aus Russland oder Algerien mit nur 93 Prozent. Der hohe Heizwert, die Reinheit, denn das Gas muss nicht mehr für den Verbrauch aufbereitet werden, der natürliche Druck sowie die Lagermöglichkeiten vor Ort machen das Gas wettbewerbsfähig", sagt Romain Seguier.
Genehmigungen stehen noch aus
In jeder Tonne Steinkohle tief in der Erde stecken rund sechs Kubikmeter Gas, haben Fachleute berechnet. Schätzungen zufolge schlummern allein in Lothringens Tiefen 370 Milliarden Kubikmeter Gas und rund 50 Milliarden im Norden Frankreichs. Dort ist Française de lEnergie über ihre 100-prozentige Tochter Gazonor im Département Pas-de-Calais bereits tätig. Mitte dieses Jahres soll das Gas unter anderem für die Stromerzeugung mittels vier großer Block-Heizkraftwerke mit je neun Megawatt Leistung produktiv eingesetzt werden. Übrigens reichen die Vorräte an Kohlengas angeblich aus, um den gesamten Gasverbrauch Frankreichs für acht bis zehn Jahre zu decken. Besonders Lothringen verfüge über die besten Kohlegasvorkommen in Europa. "Zwischen 750 und 1.500 Meter schlummern noch viele unberührte Flöze", sagt der Chef von Française de lEnergie, Julien Moulin. "Aus technischen Gründen sind wir bisher nur bis 1.000 Meter tief gegangen."
Interesse an günstigem Gas gibt es wohl auch schon in Lothringen. Industriestandorte wie Carling, Stadtwerke wie diejenigen in Saint Avold schauen, was Newcomer FDE in der Gasszene treibt. Die geringen Entfernungen zu den nahegelegenen Städten und Gemeinden könnten den Aufbau einer Gasversorgung lukrativ machen, erklärt Pressechefin Laurence Franke. Viele Lothringer heizen nämlich mit Strom oder Heizöl. Kontakte zu potenziellen Abnehmern gebe es bereits. Und auch Belgien und Deutschland hat das Unternehmen im Visier, denn sowohl im Norden an der Grenze zu Belgien als auch im Saarland sind die Bodenbeschaffenheiten und die einstigen Kohlevorkommen ähnlich.
Doch bis das Gas großtechnisch gefördert werden darf, sind noch einige administrative Etappen zurückzulegen. Endgültig grünes Licht für das seit 2009 laufende Mammutprojekt gibt es erst, wenn die entsprechenden Genehmigungen vom französischen Umwelt- und Wirtschaftsministerium vorliegen. Und das kann dauern, denn so ganz reibungslos und ohne Proteste läuft auch bei unseren französischen Nachbarn nichts mehr. Die Bürgerinitiative Apel57 läuft seit Jahren Sturm gegen die großtechnische Ausbeutung von Kohlegas. Das Argument, das klimaschädliche Gas könne durch die Bohrungen in die Atmosphäre gelangen, lässt FDE allerdings so nicht gelten. "Alle Bohrungen sind verschlossen, das Gas kann nicht entweichen", betont Benjamin Joubier. Alle Umweltbestimmungen würden sehr genau eingehalten und überprüft. Noch Mitte Januar seien die kommunalen Vertreter der umliegenden Gemeinden vor Ort gewesen, um sich über den Fortschritt auf der Baustelle zu informieren. Protestmärsche mit wenigen Leuten und Flugblattaktionen habe es bereits gegeben, aber die meisten Lothringer lasse das Projekt wohl eher kalt, erklärt die Pressesprecherin.
30 Standorte mit sechs bis acht Bohrungen sowie 200 Arbeitsplätze könnten am Ende herausspringen, wenn genehmigungstechnisch alles glattläuft und die vermuteten Gasvorkommen sich auch nach den Vorstellungen von FDE technisch und wirtschaftlich ausbeuten lassen. Rund 42 Millionen Euro hat das Unternehmen bereits investiert, einige Millionen sollen noch folgen, doch das investierte Geld soll irgendwann gewinnbringend zurückfließen. Daran arbeitet FDE mit Hochdruck.
Armin Neidhardt