Pflaster statt Nadel: Erstmals konnten amerikanische Wissenschaftler mit einer Humanstudie nachweisen, dass Hautpflaster im präventiven Schutz vor Infektionen eine gleichwertige und zudem schmerzlose Alternative zu herkömmlichen Spritzen sein können.
Grundsatzdiskussionen über Nutzen oder Schaden des Impfens flammen immer wieder neu auf. Dennoch lässt sich die in den letzten Jahren viel beschworene Impfmüdigkeit der Deutschen statistisch nicht belegen. Es kann lediglich von noch immer zu niedrigen Impfquoten gesprochen werden. Aber viele Bundesbürger, ob groß oder klein, haben schlicht und einfach einen gehörigen Respekt vor der Nadel. Zwischen drei und zehn Prozent der Bevölkerung hat sogar eine regelrechte Spritzenphobie. Kein Wunder, dass seit Jahren weltweit an Alternativen zu Impfspritzen geforscht wird, obwohl die ersten nadelfreien Injektionshilfen bereits vor 150 Jahren entwickelt wurden. Dabei sind spezielle Salben und (Nasen-) Sprays aktuell deutlich ins Hintertreffen geraten im Vergleich zu innovativen Pflastern.
Schon im Jahr 2008 hatten Wissenschaftler des Georgia Institute of Technology in Atlanta ihr Konzept vorgestellt: Statt den Wirkstoff durch eine einzige große Nadel zu injizieren, sollte dieser durch Dutzende, auf einem Pflaster aufgebrachten, höchstens einen Millimeter langen Mikronadeln verabreicht werden. Etwa zeitgleich hatte das Wiener Impfstoffunternehmen Intercell an einer ähnlichen Entwicklung gearbeitet, war später aber ausgestiegen, weil bei seinem Patent zu wenig Wirkstoffe in den Körper gelangten. Das Georgia Institute blieb hingegen weiter am Ball, konnte auch dank Unterstützung durch das Center for Disease Control and Prevention (CDC), der Bundesbehörde des amerikanischen Gesundheitsministeriums, die Technologie verbessern und führte erste Tierversuche durch. 2010 wurde dann bekannt, dass bei Mäusen die Impfung gegen Grippeviren mithilfe von Mikronadelpflastern mindestens genauso gut, wenn nicht sogar besser als mit einer herkömmlichen Nadel war.
Dutzende, höchstens ein Millimeter lange Mikronadeln
In Australien gelang Forschern der University of Queensland 2016 laut einem Bericht im Fachjournal "Scientific Reports" eine erfolgreiche Polio-Impfung per Pflaster bei Ratten. Wobei sie ein "Nanopatch" getauftes, optisch wie ein Fitzelchen Sandpapier aussehendes Impfpflaster verwendet hatten, das von dem Bioingenieur Mark Kendall und dessen von der Weltgesundheitsorganisation gefördertes Unternehmen Vaxxas entwickelt wurde. Nur mithilfe eines Mikroskops lassen sich Tausende winzigen Spitzen aus reinem Silizium, die mit dem Impfstoff beschichtet sind, auf der Pflasterunterseite entdecken. Beim Aufdrücken bringen die Mikronadeln das Vakzin unter die Hautoberfläche, wo es dann die erwünschte Immunreaktion auslöst.
Vor zwei Jahren wurden erstmals Menschen mit Pflastern gegen Influenza geimpft. Die Ergebnisse der Studie, die vom US-amerikanischen National Institutes of Health finanziert und gemeinsam von Forschern des Georgia Institute of Technology und der Hope Clinic des Emory Vaccine Center an der Emory University in Atlanta durchgeführt wurde, wurden im Juni dieses Jahres im Fachblatt "The Lancet" veröffentlicht. Ziel der Phase-I-Studie, die unter Leitung von Nadine G. Rouphael von der Emory University und Mark Prausnitz vom Georgia Institute of Technology verfasst wurde, war es, Sicherheit, Akzeptanz und die Wirksamkeit der Pflaster im direkten Vergleich mit einem per Injektion verabreichten Impfstoff zu überprüfen. Im Ergebnis erfüllte der Patch seine Aufgabe ebenso wie die Injektion. Und die Immunantwort, sprich die Reaktion des Immunsystems auf die Organismen, funktionierte auch noch sechs Monate nach der Impfung. Die Impfung mit dem Spezialpflaster erwies sich außerdem als sicher. Schwere Nebenwirkungen waren nach sechs Monaten überhaupt nicht zu verzeichnen. Lokale Hautreaktionen wie schwache Rötungen, Druckempfindlichkeit oder leichtes Jucken an der Impfstelle waren nach zwei bis drei Tagen verschwunden. Im Vergleich: Nach den herkömmlichen Injektionen gab es bei den Testpersonen Schmerzen und Druckempfindlichkeit am Oberarm.
Das Impfpflaster war auf der Unterseite mit 100 Mikronadeln mit einer Länge von 0,65 Millimetern bestückt und musste nach dem Aufkleben etwa 20 Minuten auf dem Handgelenk einwirken. Dabei drangen die Mikronadeln schmerzlos in die mikroskopisch dünne Oberhaut ein, weil sie so fein und kurz waren, dass sie Schmerzzellen kaum treffen konnten. Die Nadeln bestanden aus einem körperverträglichen Kunststoff, der sich von selbst in der Haut auflöst und dadurch den Wirkstoff freisetzt. Die Pflaster wiesen nach der Prozedur keinerlei spitzes Material mehr auf und konnten im normalen Müll entsorgt werden. "Die Haut ist unsere Schnittstelle zur Außenwelt", erklärt Prausnitz. "Daher ist sie gut dafür ausgerüstet, Erreger zu entdecken und eine Immunreaktion gegen sie auszulösen."
Mehr als 70 Prozent der Pflaster-Probanden gaben auf Befragen der Forscher an, dass sie diese Art der Applikation bei künftigen Impfungen gegenüber der Spritze den Vorzug geben würden. Dies könnte einen Anstieg der Impfquoten als erwünschten Nebeneffekt zur Folge haben. "Es war sehr aufregend, die Patches in einer klinischen Studie zu testen und ein so gutes Ergebnis zu bekommen. Wir müssen das jetzt mit einer Phase-II-Studie weiterverfolgen und hoffen, dass das bald möglich wird", so Prausnitz. Derzeit ist allerdings noch nicht absehbar, wer diese fraglos teure klinische Studie an rund 1.000 Patienten finanzieren wird. Nur: Ohne diese Studie wird es in den USA keine Zulassung für das Impfpflaster geben. Viel Geld wird sicherlich auch noch für die Weiterentwicklung der Technik hin zur Massenfertigung der Pflaster benötigt werden. Die Mikronadeln sollen natürlich künftig nicht nur zur Grippeimpfung befüllt werden, sondern als wirksame Vorbeugung gegen weitere Infektionskrankheiten wie Masern, Röteln oder Kinderlähmung auch mit anderen Wirkstoffen (womöglich auch gegen Diabetes oder Osteoporose) eingesetzt werden.
Nach Vorstellung der amerikanischen Forscher sollen die Menschen das Impfpflaster in absehbarer Zeit in der Apotheke kaufen können. Die Patches müssen im Unterschied zu herkömmlichen Vakzinen nicht gekühlt werden, sondern sind bei 40 Grad Celsius ohne Wirkverlust mindestens ein Jahr lang lagerfähig. Sie könnten also problemlos vorgehalten und sogar mit der Post verschickt werden. Durch die Möglichkeit zur Selbstanwendung könnten zudem Kosten und lästige Arztbesuche eingespart werden. Speziell für arme Regionen dieser Welt, in denen es an medizinischem Fachpersonal mangelt und die Kühlkette oft nicht lückenlos eingehalten werden kann, sind die Pflaster die ideale, sprich bessere Alternative zu Spritzen.
Experten sehen großes Potenzial
Man sollte allerdings bedenken, dass in den Mikronadeln nur relativ geringe Mengen an Wirkstoff eingelagert werden können. Dadurch ist die Dosis, die man in einem Pflaster unterbringen kann, beschränkt. Ein paar Milligramm sind möglich. Muss man aber einige Dutzend Milligramm verabreichen, ist das mit dem Pflaster nicht mehr praktikabel. Klaus Cichutek, der Präsident des in Langen ansässigen Paul-Ehrlich-Instituts, das in Deutschland für die Zulassung von Impfstoffen zuständig ist, bescheinigt den Impfpflastern ein großes Potenzial: "Wir sind optimistisch, dass Pflaster in Zukunft als Alternative zur herkömmlichen Impfung genutzt werden können." Allerdings weist er darauf hin, dass die Wirksamkeit und Verträglichkeit nicht nur an gesunden Erwachsenen, sondern auch an Babys, Kindern und älteren Menschen überprüft werden muss.