Die deutschen Athleten kämpfen für mehr Mitspracherecht. Auch international nehmen sie hier die Führungsrolle ein. Das sorgt für Wirbel.
Max Hartung ist ein Weltklasse-Säbelfechter. Doch auch verbal ist bei ihm fast jedes Wort ein Treffer. Der Aachener ist eloquent, gebildet und ein Freund klarer Worte. Kein Wunder, dass die deutschen Leistungssportler ihn zu ihrem Athletensprecher gewählt haben. Und Hartung ist auch einer von 45 Aktiven, die im Oktober des vergangenen Jahres den Verein „Athleten Deutschland" gegründet haben. Warum? Weil die Bedingungen für Hochleistungssport in Deutschland alles andere als optimal sind. „Sportler aus anderen Ländern, die in etwa so erfolgreich sind wie ich, verdienen in ihrer Sportkarriere mindestens zehnmal so viel", sagt Hartung. Doch es geht der Interessenvereinigung nicht nur um die unbestritten wichtige finanzielle Frage. Weitere Schwerpunkte ihrer Arbeit sind die Duale Karriere, die Athletenförderung, das nationale und internationale Anti-Doping-Management und sportrechtliche Fragestellungen. Die Topsportler um Hartung wollen sich dabei unabhängig vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) machen. Ihre Stimme soll in Zeiten einer unsicheren Leistungssportreform an Gewicht gewinnen. Und der Verein hat gleich für mächtig Wirbel gesorgt. Es gab Streitigkeiten mit dem DOSB über den Sinn der Gründung und über die Finanzierung. Und es gab einen Brief an Thomas Bach, den Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), der viel Sprengkraft besitzt.
In dem Schreiben fordert die deutsche Athletenkommission, dass das IOC zehn Prozent seiner Vermarktungs- und Übertragungserlöse in den Kampf gegen Doping steckt. Doch damit nicht genug, sie verlangt auch eine 25-prozentige Beteiligung der Spitzensportler. Ihre Argumentation ist einleuchtend: Erst durch die Verwendung von Bildern der Sportler seien die Übertragungsrechte so lukrativ. Von 2013 bis 2016 soll das IOC dafür umgerechnet 4,8 Milliarden Euro eingestrichen haben. Die Athleten gehen dagegen fast leer aus, obwohl sie in der Vorbereitung zum Teil hohe Kosten haben und für diese mitunter selbst aufkommen müssen. Das wäre anders, könnten sie beim Mega-Event für ihre eigenen Sponsoren werben. Doch das ist nach Regel 40 der Olympischen Charta kurz vor, während und kurz nach den Spielen nur sehr eingeschränkt möglich. Die sogenannte Frozen Period ist den Aktiven ein riesiger Dorn im Auge, die Regel 40 muss sich seit Monaten in einem Verfahren vor dem Bundeskartellamt bewähren. Sie wurde vom IOC zwar leicht aufgelockert, aber das reicht den Sportlern bei Weitem nicht.
Die deutschen Athleten, die die Führungsrolle in dieser Sache übernommen haben, wollen ihren Kampf auch auf andere Länder ausweiten. „Wir haben den Kopf bewusst weit aus dem Fenster gestreckt, um neue Verbündete einzusammeln", sagt Hartung. Eine weltweite Athletenkommission ist das Ziel – und die könnte den meist konträren Interessen der hohen IOC-Funktionäre tatsächlich gefährlich werden. Dann wäre das Druckmittel extrem stark: ein möglicher Boykott der besten Athleten bei Olympischen Spielen. Dann, ja dann würde auch das IOC ins Grübeln kommen.
Eine weltweite Athletenkommission ist das Ziel
„Das ist der richtige Weg. Kuscheln bringt da gar nichts. Sonst wird man nicht wahrgenommen", sagte Diskus-Olympiasieger Robert Harting dem „Sport-Informations-Dienst" (SID). Für den Berliner, der im Sommer nach der Heim-EM seine Karriere beendet, käme der warme Geldregen bei einer eventuellen Beteiligung am Olympia-Gewinn zwar zu spät. Dennoch unterstützt er die Forderung und auch den Streik als letzte Option: „Man müsste sicherlich die nötigen Ressourcen zusammensuchen, die Streikkasse braucht man ja dafür. Ich glaube, dass sich viele Athleten daran beteiligen würden."
Noch aber ist man nicht so weit. Noch wird die Forderung von den IOC-Funktionären mit einem müden Lächeln und erwartbaren Argumenten abgebügelt. Das IOC weist darauf hin, dass 90 Prozent der Einnahmen an die Sportverbände zurückgeführt würden und schickt für ihre Argumentation die Vorsitzende der IOC-Athletenkommission vor. Sie verstehe das Anliegen der Sportler, versichert Schwimm-Olympiasiegerin Kirsty Coventry, „aber ich glaube, dass niemand von uns ohne unterstützende Strukturen an die Spitze seiner sportlichen Karriere kommt".
Der gewiefte Taktiker Bach hat das Gefahrenpotenzial, das durch eine weltweit agierende Organisation unzufriedener Athleten entstehen kann, natürlich längst erkannt. Öffentlichkeitswirksam lud er die deutschen „Rebellen" zu einem Gespräch in die IOC-Zentrale nach Lausanne ein. Einen Termin gibt es dafür aber noch nicht.
Was es aber plötzlich gibt, ist eine vom IOC ins Leben gerufene „Charta der Athleten", in der die Rechte und Aufgaben der Aktiven erstmals schriftlich festgehalten werden sollen. Es gehe darum, erklärte Sarah Walker, BMX-Fahrerin und Vorsitzende des zuständigen Steering Committees, „die Athleten zu stärken, ihre Stimmen besser zu hören und beste Bedingungen für sie während und nach der Sportkarriere zu schaffen."
Kommt einem bekannt vor? Sind das nicht auch die Hauptziele der deutschen Athleten-Kommission? Fast könnte man glauben, es sei ein Wettrennen um die Gunst der Sportler ausgebrochen, zumal auch die Welt-Anti-Doping-Agentur im März 2017 eine Athleten-Charta ins Leben rief. Doch ob es alle Funktionäre auch wirklich ernst mit dem Anliegen meinen, darf bezweifelt werden.
Im DOSB und im Sportministerium tut man sich schwer mit organisierten Athleten. Der für den Sport zuständige Bundesinnenminister Horst Seehofer, der sich zu Sportthemen sehr lange so gut wie gar nicht geäußert hat, kündigte an, sowohl mit den DOSB-Verantwortlichen als auch mit den Sportlern reden zu wollen. Der CSU-Mann stellte aber klar: „Eine Athletenvertretung, die sich nur so versteht oder verstehen würde, eine Antipode zum DOSB zu sein, im ständigen Konflikt, das wäre nicht gut."
„Wir sind nicht frei und nicht radikal"
Der Parlamentarische Staatssekretär Stephan Mayer forderte in einem Radiointerview, die Athletenvertreter sollen bitteschön nicht als „freie Radikale" auftreten, sondern in der Organisationsstruktur des DOSB bleiben. „Wir sind nicht frei und auch nicht radikal", reagierte Max Hartung in einem „FAZ"-Interview. „Wir sind Teil des Sportsystems." Aber: Der Verein „Athleten Deutschland" strebe die gleiche garantierte Autonomie an, wie sie die Verbände und Landessportbünde auch haben. „Wir wollen nicht Gefahr laufen, dass im Falle eines Dissenses Einfluss genommen wird auf Mitarbeiter, die uns unterstützen, und auf Kommunikationskanäle, die uns zur Verfügung stehen", erklärte Hartung.
Die Initiative erfährt breite Unterstützung im Sportwesen. Die Stiftung Deutsche Sporthilfe steht hinter dem Anliegen, die Nationale Anti-Doping-Agentur und die Konferenz der Landessportbünde auch, und selbst im Sportausschuss im Deutschen Bundestag wissen die „Athleten Deutschland" eine Mehrheit hinter sich.
Der DOSB steht dem Verein aber kritisch gegenüber, er sieht seine Machtkompetenzen in Gefahr. „Ich kann die Widerstände des DOSB nicht nachvollziehen. Die Athleten sind nach meiner Einschätzung auch in der neuen Organisation zur Zusammenarbeit bereit", sagte Dagmar Freitag, die Vorsitzende des Sportausschusses im Bundestag. Es sei „grundsätzlich zu begrüßen", sagte die SPD-Politikerin, „wenn sich Athleten unabhängig organisieren und professionalisieren. Wir sprechen immer von den mündigen Athleten. Und dann sollte der Bund diese nicht nur mit guten Worten unterstützen, sondern auch finanziell."
Streit gab es aber auch um die Finanzierung. Oder besser gesagt um die Art der Verteilung der Anschubfinanzierung in Höhe von 225.000 Euro, die im neuen Bundeshaushalt Mitte April bewilligt wurde. Verglichen mit den gut 193 Millionen Euro, die der DOSB schon ab diesem Jahr an öffentlichen Geldern erhält, ist das kaum der Rede wert. Mit dem Geld sollen hauptamtliche Fachleute für die geplante Geschäftsführung in Köln eingestellt werden. Das BMI hätte es gerne gesehen, wenn der DOSB das letzte Wort über den Einsatz des Geldes hat, oder zumindest ein Mitbestimmungsrecht.
„Man sollte nicht gegeneinander arbeiten, sondern miteinander", forderte Staatssekretär Mayer. Genau so sehen das aber auch die Athleten, die sich sogar vorstellen können, ihren Verein in den DOSB zu integrieren – bei garantierter Unabhängigkeit. „Wir haben es immer wieder angeboten und das auch in der Satzung verankert, dass das auch von unserer Seite aus denkbar ist", sagte Hartung dem Deutschlandfunk Ende April. „Auch um ein Zeichen zu setzen, dass wir konstruktiv mitarbeiten wollen, aber die Diskussion hat noch gar nicht stattgefunden."