Die einst dominierenden deutschen Springreiter können nur noch um den Anschluss an die Weltspitze kämpfen. Auch beim CHIO Aachen 2018 dürfte es die Equipe schwer haben, was weniger am Generationenumbruch, sondern vielmehr am Fehlen hochkarätiger Pferde liegt.
Als die deutschen Springreiter beim CHIO in Aachen 2017 den Nationenpreis gewonnen und damit ihren Titel vom Vorjahr verteidigt hatten, schien es nach einigen ziemlich durchwachsenen Jahren mit dem Negativ-Höhepunkt Olympische Spiele London 2012, als das deutsche Team nicht einmal die zweite Runde erreicht und damit so schlecht wie nie zuvor abgeschnitten hatte, wieder aufwärts zu gehen. Bundestrainer Otto Becker – der das Team seit dem Rücktritt des 52-jährigen Ludger Beerbaum nach den mit der Bronzemedaille im Mannschaftswettbewerb versüßten Olympischen Spielen von London 2016 führt – wähnte seine Equipe im Umbruch-Prozess und wagt nun erstmals wieder von größeren Triumphen zu träumen. Wobei ihm vor allem die Leistungen des damals gerade mal 23-jährigen Youngsters Maurice Tebbel aus Embsbüren gefallen haben dürften. Dieser trug gleich bei seinem ersten CHIO-Einsatz mit zwei Nullrunden ganz entscheidend zum Sieg an der Seite des schon erfahreneren, gebürtigen Augsburgers Philipp Weishaupt und der beiden Routiniers Marcus Ehning aus Borken und Marco Kutscher aus Bad Essen bei.
Tebbel mit zwei Nullrunden
Das Fehlen der deutschen Spitzenkräfte Daniel Deußer, Christian Ahlmann und Meredith Michaels-Beerbaum wegen Verletzung oder aus Mangel an einem Top-Pferd fiel im Nationenpreis nicht weiter ins Gewicht. Wohl aber in der Einzelwertung, wo der 1990 geborene Andreas Kreuzer als bester Deutscher immerhin einen für ihn überraschenden fünften Platz belegen konnte. Auch die couragierten Auftritte junger Talente wie Laura Klaphake aus Steinsfeld und Simone Blum aus Zolling in dem bis zu 40.000 Zuschauer fassenden Aachener Soers-Stadion im Rahmen der größten und wichtigsten Pferdesportveranstaltung der Welt, schienen Hoffnungen auf wieder bessere Zeiten der deutschen Springreiterei zu nähren.
Die Equipe war früher so etwas wie der Goldgarant bei Olympischen Spielen, und in der ewigen Liste der Medaillengewinner seit 1912 mit 13 Goldmedaillen, drei Silbermedaillen und acht Bronzemedaillen nimmt sie noch immer einsam die weltweite Spitzenposition ein. Nur leider liegt der letzte olympische Triumph schon viele Jahre zurück: Anno 2000 in Sydney konnte das Team mit Otto Becker, Ludger Beerbaum, Marcus Ehning und Lars Nieberg letztmals goldenes Edelmetall erringen – im Einzelspringen war das Ludger Beerbaum 1992 und Ulrich Kirchhoff 1996 gelungen. Den einzigen Weltmeistertitel im Einzel hatte Franke Sloothaak 1994 in Den Haag gewonnen, vier Jahre später in Rom konnte das deutsche Team seinen WM-Titel sogar verteidigen. Letztmals hatte die deutsche Equipe 2010 im amerikanischen Lexington die WM-Krone errungen. Ein Jahr später konnte das Team in Madrid den bislang letzten EM-Titel erobern. Der letzte EM-Sieg im Einzelwettbewerb war Meredith Michaels-Beerbaum, die als erste Frau überhaupt den Gipfel der Weltrangliste erklimmen konnte, 2007 gelungen.
Bei der letztjährigen EM in Göteborg erlebte das deutsche Team dann ein regelrechtes Desaster. Für die Mannschaft reichte es für die Vertreter aus dem Hans-Günter-Winkler-Land (die Reitlegende hält noch immer den olympischen Springreiter-Rekord mit sieben Medaillen, darunter fünf goldene) nur zum fünften Platz, in der Einzelwertung landete Marcus Ehning als bester Deutscher auf Rang sechs, Philipp Weishaupt wurde Zwölfter, Laura Klaphake musste sich mit Platz 17, Maurice Tebbel mit Platz 57 begnügen. Ein noch viel größerer Schock für die bundesrepublikanische Traditionssportart war im Herbst 2017 jedoch die Veröffentlichung einer Weltrangliste, in der erstmals kein einziger deutscher Reiter unter den Top Ten mehr gelistet wurde. Dabei blieb es fast ein halbes Jahr. In der aktuellen Liste von Anfang Juni 2018 war Daniel Deußer immerhin wieder der Einstieg auf den achten Platz gelungen. Mit Marcus Ehning auf dem zwölften Platz und Christian Ahlmann auf Platz 17 hatten es zwei weitere Deutsche unter die Top 20 geschafft. Wobei Deußer und Ehning mit ihren Pferden beim Pariser Weltcupfinale im April 2018 mit den Rängen acht und zwölf für eine weitere Enttäuschung gesorgt hatten.
Von daher dürften die Erwartungen an das diesjährige CHIO Aachen, das zwischen dem 13. und 22. Juli ausgetragen wird, nicht allzu hoch angesiedelt sein. Das Turnier wird auch als Wimbledon oder Wembley der Reiterei bezeichnet und vom Aachen-Laurensberger Rennverein bereits seit 1924 ausgetragen. Zumal die beiden Top-Sportler Daniel Deußer aus Mechelen und Christian Ahlmann aus Marl, der 2014 den Großen Preis von Aachen im Rahmen des CHIO gewonnen hatte (Philipp Weishaupt hatte 2016 triumphiert), im Nationenpreis nicht eingesetzt werden können. Beide haben sich geweigert, die Athletenvereinbarung zu unterschreiben, weil diese von den Unterzeichnern verlangt, im Falle eines Dopingvergehens die Sportgerichtsbarkeit anzuerkennen und nicht vor ein ordentliches Gericht zu ziehen. Beide Aktive hatten früher schon nach positiven Proben bei ihren Pferden mit der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) in heftigem Streit gelegen.
Die letztjährige EM in Göteborg war ein Desaster
Ein schwerer Schlag auch für das A-Team von Otto Becker für die kommenden Weltreiterspiele im US-amerikanischen Tyron. Denn bei der dort zwischen dem 11. und 23. September ausgetragenen WM, gleichzeitig Qualifikations-Wettbewerb für die Olympischen Spiele 2020 in Tokio, dürfen die beiden Reiter nicht für das Nationenteam an den Start gehen. Aktuell besteht das deutsche A-Team daher gerade mal noch aus fünf Reitern: Marcus Ehning, Simone Blum, Laura Klaphake, Maurice Tebbel und Philipp Weishaupt. Dennoch bleibt Otto Becker für die WM optimistisch: „Ziel ist nach wie vor eine Medaille. Dafür sind wir nach wie vor gut genug."
Dennoch musste Otto Becker einräumen, dass die aktuelle Weltrangliste durchaus ein realistisches Bild der Leistungsstärke seiner Sportler zeigt: „Die Listen spiegeln die Situation wider. Wir waren verwöhnt." Dass der Absturz allerdings innerhalb von rund eineinhalb Jahren so rasant verlaufen würde, dass die viele Jahrzehnte lang auf Sieg abonnierten Deutschen immer häufiger nur noch hinterherreiten können, das hatte selbst der Bundestrainer so nicht erwartet. Noch Anfang 2017 hatten schließlich Christian Ahlmann, Daniel Deußer und Marcus Ehning die Plätze eins, fünf und sieben der Weltrangliste belegt. Für den offenkundigen Negativtrend gibt es allerdings eine vergleichsweise einfache Erklärung: Um in der Weltrangliste ganz vorne mitzumischen, benötigt ein Reiter mehrere Pferde auf Weltklasse-Niveau.
Das ist in deutschen Ställen derzeit wegen Verletzungen, natürlichen Alterserscheinungen oder unerfahrenen Pferden kaum realistisch. Otto Becker: „Uns fehlen einige Top-Pferde, viele Reiter sind auf der Suche." Christian Ahlmann: „Meine Aufgabe ist es, den Generationenwechsel im Stall hinzukriegen. Das ist einfacher gesagt als getan." Einige Top-Sportler wie Meredith Michaels-Beerbaum aus Thedinghausen trifft es noch härter, denn sie können derzeit auf überhaupt kein einziges Pferd auf Championats-Level zurückgreifen. Der Besitzer ihres Olympia-Pferdes Fibonacci, die amerikanische Artemis Equestrian Farm, hatte den Schimmel-Wallach im Frühjahr 2017 an ein US-Nachwuchstalent transferiert. Auch andere deutsche Springreiter müssen befürchten, dass ihre ihnen nicht selbst gehörenden Top-Pferde bei guten Leistungen gleich für viel Geld ins Ausland verkauft werden. Die internationale Konkurrenz habe, so Christian Ahlmann, „stark aufgeholt und gibt viel Geld aus." Dem kann Bundestrainer Otto Becker nur beipflichten: „Im Ausland wird mehr investiert. Wenn ein Pferd gut springt, ist sofort einer da, der es kaufen will. Gute Reiter haben wir genug, daran liegt es nicht. Aber es wird immer schwerer, richtig gute Pferde zu finden."
Die Pferde von Andreas Kreuzer beispielsweise haben ihm US-Investoren leihweise überlassen. Wenn sie im Parcours erfolgreich sind, werden sie gleich weiterverkauft. Laura Klaphakes potenzielle Weltklasse-Pferde, die Stute „Catch me if you can" und der Wallach „Silverstone", gehören Paul Schockemöhle, dem wohl größten Pferdehändler der Welt, in dessen Gestüt Lewitz rund 4.000 Vierbeiner zum Verkauf stehen. Wenn das finanzielle Angebot für Klaphakes Rassentiere stimmen sollte, wird der erfolgreiche Unternehmer wohl keine Sekunde mit der Veräußerung zögern. Maurice Tebbel ist in der vergleichsweise komfortablen Lage, dass sein Paradepferd „Chacco’s Son" dem väterlichen Zuchtbetrieb angehört. Ab einem gewissen Betrag wird der Papa aber wohl schwach werden. „Es ist schwierig, nein zu sagen und ihn zu halten", so Tebbel, schließlich müsse sein Vater zum Erhalt des Familienbetriebs auch Geld verdienen. „Klar gibt es eine Grenze. Ich hoffe, dass keiner kommt, der die Grenze überschreitet."
Den Springreitern fehlen derzeit einfach finanzstarke Sponsoren wie die Berlinerin Madeleine Winter-Schulze, die früher´jahrelang Ludger Beerbaum unterstützt hatte. Die Mäzenin ist zwar immer noch im Pferdesport finanziell sehr aktiv, doch ermöglicht sie durch ihr Pferde-Sponsoring seit 2001 vor allem die großen Erfolge der deutschen Dressurreiterin Isabell Werth. Und die Husarenritte des dreimaligen Vielseitigkeits-Olympiasiegers Michael Jung wären fraglos ohne das pekuniäre Engagement des Dübel-Giganten Klaus Fischer nicht möglich gewesen.