Von der Edelnutte Bonny, über Sex für die Generation Silber mit Lady Hekate bis hin zum Straßenstrich: Die Arbeit im Rotlichtmilieu ist so vielfältig wie die Wünsche der Freier.
Bonny bricht in schallendes Gelächter aus: Sexcomputer oder Powerpuppen würden ihr niemals Kunden abjagen. Denn es geht ja nicht nur um Sex, sondern es geht vor allem auch um Zuneigung. „Natürlich habe ich Kunden, die wollen nur auf mir rumhampeln", sagt sie. Doch diese Kunden werden weniger, denn „um einen rauszuschleudern braucht es keine Dienstdame mehr", das können die Kerle sich auch ganz gut allein dank virtueller Unterstützung aus dem Netz besorgen. Das Model sieht sich als Dienstleisterin vor allem im Erotikbereich, wobei sie Wert darauf legt, wie sie betont, dass sie sich ihre Kunden selbst aussuchen kann. Sie will damit den Eindruck verstärken, dass sie ihren Kram nimmt und geht, wenn ihr ein Mann blöd kommt. Doch das gehört offenbar zum Nimbus des Escorts dazu, das Gefühl, dass man es eigentlich nicht nötig hat. In den Escort-Job ist Bonny vor 20 Jahren durch Zufall reingerutscht, damals hieß das noch Begleitservice. Die 38-Jährige war dank ihrer Teilnahme an Miss-Wahlen bei mehreren Model-Agenturen mit Sedcard gelistet, für Fotoaufträge oder Modeschauen, um ihr Sportstudium zu finanzieren. Doch die Aufträge im Beautybereich waren dünn gesät, und ein Agenturchef schlug ihr zusätzlich den Begleitservice vor. Für sie war damals klar: Sie ist nur das hübsche Anhängsel für den Geschäftsmann auf einer Vernissage, mehr läuft nicht.
Agenturchef schlägt Begleitservice vor
Doch es kam, wie es kommen musste: „Ein erfolgreicher Geschäftsmann, sehr höflich, der obendrein noch gut aussah, hat mich verführt und mir dann am nächsten Morgen 500 D-Mark in die Hand gedrückt", erzählt Bonny von ihrem ersten Prostitutionsjob mit einem gewissen Glänzen in den Augen. „Ich habe mich mit dem dann regelmäßig getroffen, wenn er in Berlin war." Jedes Mal bekam sie Geld, Klamotten und einen schönen Abend. Was sie damals bald um den Verstand brachte: „Ich war doch verknallt in den Kerl." Immer blieb die Hoffnung, dass er sich irgendwann doch noch für sie entscheidet. Doch das passierte natürlich nicht, aber ihr Studium war damit finanziert. „Ich habe damals gar nicht richtig realisiert, dass das mein erster Stammfreier war." Doch nach der ersten Verliebtheit gab es bald einen festen zweiten Begleiter, der sie regelmäßig buchte, dann einen Dritten und „irgendwann mal verdiente ich in einem Monat mehr, als ich ausgeben konnte", erzählt die Escort-Dame. Für sie war es damals völlig unverständlich, dass niemand aus ihrem engen Umfeld dahinterkam, dass sie ihren Lebensunterhalt mit käuflichem Sex verdiente. „Mein Geheimnis damals wie heute ist einfach, dass ich zwar recht teuere Klamotten trage, aber diese nicht nuttig aussehen und ich mich auch nur sehr dezent schminke", sagt sie. Nach zehn Jahren auf der finanziellen Überholspur, mit Ende 20, geriet Bonny dann in Panik, weil sie damals fest glaubte, „spätestens ab dem 30. Geburtstag bucht mich ohnehin kein Mensch mehr, weil einfach zu alt". Doch da irrte sie gewaltig: „Ich habe immer noch meine Stammkunden, die jetzt natürlich schon weit jenseits der 50 Lenze sind und auch nur noch bedingt Sex wollen", erzählt das „Luxus-Weibchen", wie sie sich selber ironisch nennt. Doch der reifere Herr möchte sich auch mal einfach nur unterhalten, in eine Ausstellung gehen und ein bisschen umgarnt werden. Ganz wichtig ist einem Großteil ihrer Kunden das Attribut, „älterer Herr erobert im Sturm junge Frau". Das kann dann schon mal in einen richtigen Gockel-Alarm ausarten, wo Bonny dann auch mitspielen muß. Dieses Phänomen ist übrigens auch umgekehrt weit verbreitet: „Gut betuchte Dame sucht jugendlichen Begleiter für den Opernbesuch."
Das Bonnys Geschäft so gut läuft, liegt sicherlich auch an ihrem Standort Berlin. Denn nirgendwo in Deutschland leben so viele Singles auf einem Haufen wie in der Bundeshauptstadt. Selbst die Konkurrenz durch das Internet fürchtet die Escort-Dame nicht sonderlich, dazu ist ihre Dienstleistung einfach viel zu speziell. Die verschiedenen Foren im Netz zielen eigentlich zum Großteil auf billigen, schnellen Sex ab. Wobei das sowohl auf Männer, aber auch auf Frauen gleichermaßen zutrifft. „Also, dass ist für mich überhaupt keine Konkurrenz, sondern das betrifft eher den Straßenstrich oder Großpuffs" sagte sie sehr selbstbewusst.
Lieber auf den Strich als Hartz IV
Dass man so einen Job als Frau auch noch mit weit über 40 machen kann, belegt Lady Hekate aus Westfalen. Sie lebt in einem kleinen Ort zwischen Bielefeld und Münster, auf dem flachen Land. Die Lady entdeckte mit Anfang 50, dank ihrer Webcam, dass sie noch Reserven hat, von denen sie absolut nichts geahnt hat. Damals, vor fast 15 Jahren waren sie und ihr Mann arbeitslos und im Zuge dessen zu Hartz-IV-Empfängern geworden. Dann gab es einen Job im Callcenter, der allerdings derart schlecht bezahlt war, das Lady Hekate und ihr Mann auch von diesem verdienten Geld nicht wirklich leben konnten. Die findige Dame posierte nach Feierabend im Callcenter weiterhin vor ihrer Webcam, einer ihrer Zuschauer wollte sie dann persönlich kennenlernen und aus dem Experiment wurde ein neuer Job. Lady Hekate inserierte in der örtlichen Zeitung unter der Rubrik „Deine Adresse für Streicheleinheiten" und tatsächlich meldeten sich Interessenten. Wobei Hekate nicht für „den schnellen Happen für zwischendurch zu haben ist, die sollen dann lieber zu Fräulein Faust (Synonym für männliche Selbstbefriedigung, Anm. d. Red.) gehen, da kriegen sie es billiger", so die heute 64-Jährige. „In meinem Job bin ich immer so eine Mischung aus Beichtmutter, Sozialarbeiterin und Therapeutin, bin aber durchaus auch zuständig für die handfesten Dinge, die einem Mann Freude bereiten." Ihre Kunden wissen, dass es bei ihr mehr gibt als eine Handmassage für 30 Euro oder einen Blowjob, erzählt Lady Hekate mit einem gewissen Stolz. Die Kunden sollen sich bei ihr gut aufgehoben fühlen und nicht einfach so abgefertigt werden. Ihr Mann, mit dem sie jetzt über 40 Jahre verheiratet ist, trägt ihren Job voll mit und kümmert sich unter anderem auch um den Haushalt, weil seine Frau ja weiterhin voll berufstätig ist.
Auch Flüchtlinge bieten sich an
Zu ihrem festen Kundenstamm gehören auch viele Berufskraftfahrer. Ein sehr schönes Kompliment für Lady Hekate kam gerade erst kürzlich von einem ihrer Trucker, der neben ihr im Bett lag und feststellte: „Wenn ich neben dir liege, merke ich immer, das ich auch ein Mensch bin." Mehr geht nicht für die rüstige Lady. Wobei sie trotz Smartphone und Social Media den Eindruck hat, dass die Menschen immer weniger miteinander reden. „Denn was sich da im Netz abspielt, hat ja nicht wirklich was mit Kommunikation im klassischen Sinne zu tun, sondern zwei Drittel der Leute sind notorische Selbstdarsteller, die nicht zuhören". Und da kommt sie dann ins Spiel. Dabei würde sie sich selbst nicht als klassische Sexarbeiterin bezeichnen, weil es die so nicht gäbe. „Das Spektrum der Sexarbeit ist mindestens so breit, wie das in der Gastronomie", ist sie sich sicher. Da gäbe es viele Spielarten und sie ist die Vertreterin einer besonders sanften.
Härter geht immer
Es ist der vermutlich älteste Straßenstrich Berlins, Kurfürsten- Ecke Genthiner Straße im Bezirk Tiergarten. Zwischen den Möbelhäusern und einem verwahrlosten Park sind seit mindestens sieben Jahrzehnten die klassischen Bordsteinschwalben unterwegs. Immer konnte man die aktuellen gesellschaftlichen Veränderungen an diesem Straßenstrich ablesen. Ende der 70er-Jahre gab es die Drogenkinder vom Bahnhof Zoo. Anfang der 90er dann die Schwemme osteuropäischer Frauen, die hier ihr Glück versuchten. Mittlerweile stehen dort auch viele Frauen aus dem arabischen Raum, Flüchtlinge aus Syrien, aber auch aus Nordafrika. Für die Berliner Polizei ist klar, dass die meisten Damen, die sich dort anbieten, dies nicht ganz so freiwillig tun, wie sie es von sich aus behaupten. Ganz abgesehen von den gültigen Papieren, doch von offizieller Seite drückt man ein Auge zu. Denn in diese Kreise vorzudringen, ist auch für Zivilfahnder nicht einfach, dazu haben sich die Strukturen in den vergangenen 40 Jahren zu sehr verselbstständigt. Es macht auch keinen Sinn, denn wenn die Frauen heute mitgenommen werden, stehen sie morgen wieder da. Die Mädels, die dort anschaffen machen dies vermutlich nicht freiwillig, sondern aus sozialer Not. Sie geben aber immer an, dass sie lediglich von ihren Männern beschützt würden. Hier gibt es den Sex ohne Kondom für 50 Euro und das neue Prostituiertenschutzgesetz macht wenig Eindruck auf die Betroffenen, da sie ohnehin nicht unter ihrem wirklichen Namen unterwegs sind. Die Polizei greift schließlich nur dann ein, wenn die Prostituierten sichtlich zu jung scheinen. Doch da fängt dann für die Beamten das Problem an. Wie will man das tatsächliche Alter eines jungen Mädchens feststellen, wenn man nicht sicher ist, ob die Personaldokumente überhaupt echt sind? Ein Teufelskreis, den auch die Selbsthilfegruppen und Vereine der Prostituierten nicht durchbrechen können. Im Gegenteil, auch sie sind sehr vorsichtig. Denn die in den Hilfegruppen engagierten Frauen treten generell nicht mit ihrem wirklichen Namen auf, zu groß ist die Angst vor Repressalien durch die „Beschützer."
Trans-Sexarbeiterinnen werden angegriffen
Wenn Mädchen vom rauen Strich an der Kurfürstenstraße, Genthiner Straße oder Frobenstraße wirklich mal Hilfe brauchen, gibt es zum Beispiel Olgas Frauentreff. Doch nur wenige trauen sich dort hin, denn so was ist hier im Kurfürsten-Kiez schnell vorbei. Seit einiger Zeit droht der Szene nun eine ganz andere Gefahr: offene Gewalt gegen die transsexuelle Sexarbeiterinnen. Transsexuelle sind Menschen, die sich einfach beiden Geschlechtern gleich zugehörig fühlen. Diese werden laut Aussagen von Augenzeuginnen von vorbeifahrenden Autos attackiert, mit Unrat beworfen oder mit Bier überschüttet. Es soll angeblich in diesem Jahr mehrere Bedrohungssituationen mit dem Messer gegeben haben. Die Betroffenen sehen dies als Ausdruck der neuen Homophobie in Deutschland, dazu kommt ein großer Schuss Ausländerfeindlichkeit. Aber vielleicht steckt auch etwas anderes dahinter. Längst hat das zuständige Polizeirevier eine Ansprechperson für Lesben, Schwule, Bi-, Trans- und intergeschlechtliche Personen abgestellt. Doch die kann auch nichts machen: Ohne Anzeige der vermeintlichen Opfer solcher An- und Übergriffe kann die Polizei nun mal nicht ermitteln. Doch um eine Straftat zur Anzeige zu bringen, muss die Betroffene einen Ausweis haben und dazu auch noch eine Arbeits- und damit Aufenthaltserlaubnis. Wenn die Sexarbeiter und Sexarbeiterinnen diese hätten, würden sie vermutlich nicht hier auf den Strich gehen.
Dann, so die logische Konsequenz aus Polizeisicht, helfen eigentlich nur noch viele Kollegen in Zivil. Doch das wollen die Männer und Frauen, die dort anschaffen gehen, wiederum auch nicht, denn das spricht sich bei den Freiern ganz schnell rum und die Kunden bleiben weg. Weniger Geld bei der Abrechnung im Strumpfband bedeutet wiederum Ärger mit dem Beschützer. Der Teufelskreis schließt sich. Auf dem Straßenstrich hat sich also in den vergangenen Jahrzehnten an den Arbeitsbedingungen nicht viel geändert. Die Sexarbeiter sind weiterhin so ziemlich schutz- und rechtlos, trotz diverser Interessenverbände, Streetworker oder Frauen-Cafés. Zumindest eines hat sich auf den Berliner Straßenstrichen verändert: Durch die massive Bautätigkeit wird die Stadt immer weiter verdichtet, in der Innenstadt gibt es fast keine Stadtbrachen mehr, auf denen sich gegen Geld in Ruhe kuscheln läßt. Damit sind einige der Rotlichtecken längst verschwunden. Nun geht es offenbar dem letzten großen Straßenstrich in der Berliner Innenstadt an den Kragen. Genau im Zentrum des Kiezes, Genthiner Straße Ecke Kurfürstenstraße werden derzeit drei große Wohn-Eigentumsanlagen hochgezogen. Die Brachen mit ihren dunklen Ecken sind jetzt Bauplatz. Der Quadratmeter der zukünftigen Luxusquartiere soll zwischen 5.000 und 10.000 Euro einbringen. Solange da vor der Tür die Prostituierten herumtoben, zahlt das kein Mensch so ohne Weiteres. Darum, vermuten nicht wenige von ihnen, hat die Gewalt in den vergangenen Monaten zugenommen.
Ihr Verdacht, angeheuerte Räumkommandos der Investoren sollen sie verscheuchen, scheint sich zu bestätigen.