Die neuen Regelungen rund um die Sexarbeit sollen Prostituierten mehr Schutz und Sicherheit bieten. Doch die Realität sieht anders aus, meint Oliver Girrbach, Fachanwalt für Verwaltungsrecht.
Herr Girrbach, wie hat sich die Rechtslage nach dem neuen Gesetz zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes geändert?
Das ist schon eine dramatische Veränderung für alle Beteiligten. Nicht nur für die vom Gesetz Betroffenen, sondern auch für die Behörden und Gerichte. Bei den Verfahren hat sich dramatisch was verändert. In dem Sinne, dass man eben das neue Gesetz als gewünschtes Prostitutionshinderungsgesetz sehen könnte. Also der richtige und hehre Ansatz des Gesetzes stellt den Schutz der Prostituierten in den Vordergrund. Der erste Teil des Gesetzes befasst sich mit den betroffenen sexuellen Dienstleistern und nicht nur mit Prostituierten im klassischen Sinne, sondern mit allen möglichen Formen von sexuellen Dienstleistungen. Es geht im zweiten Teil um die Pflichten der Betreiber, um den Ort, an dem sexuelle Treffen stattfinden und um Menschen, die an Veranstaltungen dieser Art teilnehmen. Die rein baurechtliche Schiene wird ganz erheblich neu gefasst und durch die Erlaubnispflicht, die es vorher nicht gab, werden die Betreiber vor ganz neue Probleme gestellt werden.
Was ändert sich für die sexuellen Dienstleister?
Für die Prostituierten und die sexuellen Dienstleister ist ein ganz erheblicher Problemkreis die neue sogenannte Anmeldepflicht. Die Prostituierten müssen sich jetzt tatsächlich behördlich anmelden, müssen ärztlich beraten werden und haben jetzt ganz neue Verpflichtungen. Das ist sehr umstritten, auch unter datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten, wie das in der Praxis umgesetzt werden soll. Es sollen Informations-und Beratungsgespräche stattfinden für die Prostituierten und die sexuellen Dienstleister. Auch hier müssen erst organisatorische Maßnahmen der Ämter erfolgen, wie zum Beispiel Einstellung qualifizierter ärztlicher Berater und Schaffung der benötigten Räumlichkeiten.
Was ändert sich für die Betreiber?
Schwerwiegend für die Betreiber ist dann als Kernpunkt die Erlaubnispflicht und damit also auch die Frage, dass im Rahmen der Antragsstellung nach Paragraf 12 des Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG) ganz neue Anforderungen gestellt werden, die es vorher nicht gab. Komplette Bauanträge müssen neu gestellt und Betriebskonzepte vorgelegt werden. Das ist eine ganz erhebliche finanzielle Belastung für diese Art von Betrieben in Berlin, die über Jahre oder gar Jahrzehnte schlicht geduldet worden waren und die nur dann überprüft oder gegen sie vorgegangen wurde, wenn konkrete Beschwerden der Nachbarn oder nachweislich Straftaten im Betrieb begangen wurden (zum Beispiel Drogendelikte), ganz zu schweigen von der jetzt bestehenden Rechtsunsicherheit, ob der Betrieb erlaubt wird oder nicht. 80 Prozent aller Berliner prostitutiven Betriebe befinden sich in Wohngebieten und sind damit an sich nach alter Rechtslage planungsrechtlich unzulässig, obschon geduldet.
Da stellt sich für Betreiber die Frage: Bin ich da grundsätzlich als Betrieb planungsrechtlich mit der Erlaubnispflicht und der neuen Antragsstellung noch gut aufgehoben oder wird mein Betrieb von den Behörden geschlossen?
Werden Bordelle und sexuelle Dienstleister ins Abseits gedrängt?
Es besteht die Gefahr, dass viele prostitutive Betriebe allein aus planungsrechtlichen Gründen geschlossen werden, obwohl der Betrieb im Einzelfall seit Jahren beanstandungsfrei betrieben wurde. Es gibt jetzt ja neuerdings die Möglichkeit, über das Einfallstor der Erlaubnispflicht und der neuen notwendigen Antragsstellung für die Behörde, Betriebe, die man nicht mag, planungsrechtlich zu schließen. Ist es planungsrechtlich in einem allgemeinen Wohngebiet also nach wie vor grundsätzlich unzulässig, ein Bordell oder einen bordellartigen Betrieb zu betreiben oder muss aufgrund des neuen Gesetzes der Einzelfall geprüft werden? Die sexuellen Dienstleister haben ein Problem mit der Registrierung, weil viele Frauen es auch nicht möchten, dass sie registriert werden. Viele Frauen gehen dieser Tätigkeit heimlich nach. Die haben ja Schwierigkeiten dieser Beratungspflicht nachzugehen.
Wie erklären Sie sich diese hohen Geldstrafen, die angedroht werden? Das sind ja bis zu 500.000 Euro.
Das gilt im Wesentlichen dem Schutz der Damen, der nach dem Gesetzeszweck ganz vorne angesiedelt ist, was ich auch sehr gut und richtig finde. Man erhofft sich davon, in erster Linie mehr Schutz für die Damen zu leisten. Natürlich auch Abschreckung hinsichtlich der Thematik Gesundheitsschutz, Ausbeutung und hohe Strafen für den, der dagegen verstößt. Was immer diskutiert wird, ist das Thema Kondompflicht, da gibt es dann Strafen bis zu 50.000 Euro. Aber wer kontrolliert das? Das ist schon schwierig. Da ist Denunziation Tür und Tor geöffnet. Es ist ein Leichtes zu sagen, man war gestern bei einem Treffen und dort wurde die Dame angehalten, alles ohne Kondom zu tun. Und schon entstehen Probleme für den Betreiber, erhebliche Probleme mit der Behörde.
Kann man die Kondompflicht überhaupt kontrollieren?
Das ist ein Thema, was schwer zu kontrollieren sein wird. Es führt zu hochgradigen Verunsicherungen. Bei welchen Sexpraktiken muss ich Kondome benutzen, bei allen, auch beim Oralverkehr? Das Gesetz ist da sehr klar: Auch beim Oralverkehr muss man Kondome benutzen. Andersherum stellt sich auch die Frage für den Betreiber, wie er die Einhaltung der Kondompflicht auf den Zimmern kontrollieren soll. Es gibt eine Organisationspflicht insoweit für den Betreiber nach dem neuen Gesetz, aber wie der Betreiber konkret dabei vorgehen soll, sagt das Gesetz nicht, sondern beschränkt sich auf die Pflicht zum Hinweis auf die Kondompflicht durch Schilder in den Betriebsräumen. Der Betreiber muss ein Hygienekonzept vorlegen, ohne das gesetzlich vorgegeben ist, wie ein solches Konzept auszusehen hat. Wieder ein Punkt, der zur Verunsicherung führt.
Welche baulichen Anforderungen haben sich geändert?
Es sind hohe Anforderungen, die zu Recht gestellt werden, zum Beispiel zum Brandschutz oder zu Rettungswegen oder zu den sanitären Anlagen. Dann fragt man sich, wie sollen Wohnungsbordelle oder Bordelle, die keinen zweiten Rettungsweg haben, diese Anforderungen erfüllen? Wie soll das alles finanziert werden? Einige größere Betriebe können das, ob aber kleinere Betriebe das einhalten können, ist die Frage. Die Folge wird sein, und das ist schon absehbar, dass die Anmeldezahl der bestehenden prostitutiven Betriebe niedrig sein wird. Also gibt es eine totale Zurückhaltung wegen der unsicheren Rechtslage und der Angst, geschlossen zu werden vom Amt. Man verharrt lieber im alten Modus und hofft, dass die Behörde untätig bleibt. Man wird sehen, wie sich die Behörden verhalten, was die Erlaubnis oder die Schließung der Betriebe betrifft und wie sich die Rechtsprechung hierzu entwickelt.
Sie machen ja auch Infoveranstaltungen für die Betroffenen. Wie ist die Resonanz?
Die Resonanz ist gut, allerdings noch verhalten, obwohl das Gesetz ja nun schon ein Jahr gilt. An den Veranstaltungen nahmen Betreiber, Prostituierte, Tabledancer, Anbieter von Tantramassagen, Escort-Damen und -Herren, aber auch Dienstleister aus der SM und BDSM-Szene teil. Es existiert überall eine hochgradige Verunsicherung in der Szene. Darf ich überhaupt noch im Internet werben? Bin ich jetzt Veranstalter im Sinne des Gesetzes, wenn ich einmal im Monat oder alle zwei Monate eine private Sex-Party in meiner Wohnung veranstalte? Diese Fragen kann man derzeit nicht wirklich beantworten, weil man weder die Rechtsansicht der Behörden oder Gerichte dazu kennt. Was ist mit Sex-Künstlern, Burlesque-Tänzerinnen, Theatern? Auch in dieser Gruppe gibt es insbesondere eine große Angst vor der Registrierungsverpflichtung.