Wenn es um Pornografie geht, sind sich die Deutschen einig: je derber, desto besser. Doch woher kommt der Wunsch nach immer härteren Sexpraktiken? Marius, ein Amateurdarsteller aus Mannheim, hat eine Vermutung.
Sobald die junge Frau aus Düsseldorf auf dem Tisch Platz genommen hat, gibt es für die Männer kein Halten mehr. Die Stärkeren preschen nach vorne und stoßen die Schwächeren mit den Ellbogen weg. Sie wiederum wollen ihre Position nicht so leicht aufgeben und versuchen sich irgendwo dazwischen zu quetschen. „Es fühlt sich so an als wären wir ein Löwenrudel, und jeder kämpft sich an die Poleposition", kommentiert Marius den pornografischen Filmschnipsel auf seinem Mobiltelefon. Auch er spielte in diesem Pornofilm mit. Im Trailer kommt der 32-Jährige allerdings nicht zum Einsatz. „Um mich zu sehen, müsste ich mir schon den ganzen Film kaufen", sagt er und bricht gleich in Gelächter aus. „Nein, nein. Ich gebe kein Geld für Pornos aus. Wenn mich was interessiert, ziehe ich es mir kostenlos runter oder mache gleich selber mit."
Das ist nämlich sein Hobby, die Pornografie. Seit rund fünf Jahren dreht der Mann aus Mannheim in seiner Freizeit Amateurfilme für Erwachsene. Parallel geht Marius einem regulären Job nach und arbeitet als Sacharbeiter in einer Behörde. Das ist auch seine einzige Einnahmequelle, Geld verdient Marius mit den Dreharbeiten nicht. „Dafür bekomme ich dieses besondere Erlebnis und die Bilder, die ich noch Tage nach den Dreharbeiten im Kopf abspulen kann."
So wie beispielweise die Gruppensex-Szene auf seinem Handy. Auf einer einschlägigen Seite fand Marius erst kürzlich eine Annonce zu einem Pornofilmdreh im Bereich Bukkake: Eine Gruppensexpraktik, bei der mehrere Männer auf eine weitere Person ejakulieren. „Hört sich vielleicht etwas verstörend an", mutmaßt Marius, „vor allem für die Leute die mit Pornografie nicht viel zu tun haben. Doch momentan gehören genau solche Fetisch-Pornos zu den meist geschauten Kategorien und treffen auch persönlich meinen Geschmack."
Wirft man beispielsweise einen Blick in die aktuelle Statistik der Erotikplattform Pornhub – mit rund 28,5 Millionen Usern im Jahr zählt diese Plattform zu den Größten ihres Genres – verzeichnet die Kategorie „Fetisch" mit 129 Prozent neben „Pinkeln" mit 127 Prozent und „Bondage" mit 97 Prozent den meisten Zuschauerzuwachs im vergangenen Jahr in Deutschland.
Doch woher kommt diese Lust auf das Extreme? Und gibt es jemanden der solche Tendenzen bestimmt? Wie kommen sie überhaupt zustande? Hierzu hat Marius eine Hypothese aus eigenen Berufskreisen.
Mit hartem Content zu mehr Klicks
„Bei den Ladys herrscht ein regelrechter Krieg im gegenseitigen Überbieten", fasst Marius das kürzlich stattgefundene Gespräch mit einer Freundin aus der Porno-Branche zusammen. Als Beispiel nimmt der Hobbydarsteller die Online-Sex-Community „My Dirty Hobby". „Jeder kann auf dieser Plattform einen Account eröffnen und seine Videos hochladen." Der Clou an der Sache: Das Abspielen der pornografischen Filme kostet die User Geld. „Es ist zwar nicht viel", weiß Marius, „aber die Menge macht’s." Somit macht die Anzahl der User den finanziellen Erfolg dieser Mädels und Jungs aus. Ob die selbst gedrehten Videos dann aber auch tatsächlich angeklickt werden, oder eben nicht, entscheidet der Content, den die Frauen auf ihren Seiten bieten. Je spektakulärer, härter und außergewöhnlicher, umso öfter klingelt dann die Kasse, behauptet Marius. „Sehen das die anderen Amateurdarstellerinnen, dass ihre Kolleginnen etwas Neues anbieten, müssen auch sie nachziehen, um nicht von ihren Konkurrentinnen abgehängt zu werden. So geht es dann immer weiter. Man schaukelt sich gegenseitig hoch."
Zudem kommt natürlich der Wunsch der User. „Wer wie ich mit Pornografie aufgewachsen ist, findet den regulären Sex kaum aufregend. Zum Anschauen sowieso nicht", sagt Marius.
Das weiß auch die Darstellerin aus Düsseldorf. Um ihren Content etwas anzureichern lud die brünette Amateurdarstellerin rund ein Dutzend Männer nach Düsseldorf zum Gruppensex ein. „Nachdem ich mich also auf die Anfrage gemeldet habe, erhielt ich kurz darauf die genauen Set-Koordinaten." Es war ein lokaler Swinger-Club, ein beliebter Drehort von Pornos.
Marius schlägt dort erst gegen Mittag auf. „Bei solchen Pornos, also wenn es um eine Gruppenszene geht, spielt Pünktlichkeit keine große Rolle. Es gibt auch keine Mindestzeit am Set. Du kommst, wann es dir passt, gefällt es dir nicht, kannst du immer gehen."
Gesprochen wird unter den Darstellern kaum. „Vor solchen Dreharbeiten herrscht immer eine sehr eigene Stimmung", schildert Marius die Atmosphäre. Die Männer stehen meistens für sich, manche kleidet sich schon ganz aus und warten auf den Einsatz. „Man guckt einander nicht viel an", bringt es Marius auf den Punkt.
Dabei sind die Geschichten der Amateurdarsteller meisten ähnlich: Die meisten Männer seien verheiratet, viele hätten Kinder und würden einem „normalen Beruf nachgehen", weiß Marius. Auch Marius bildet hierbei keine Ausnahme. Vor drei Jahren heiratete der Mann seine Freundin. Von seinem Hobby weiß die junge Frau allerdings nichts.
„Eigentlich bin ich glücklich verheiratet und liebe meine Frau." Der Satz klingt fast wie eine Entschuldigung. Aber ganz so einfach sei es für ihn nicht. Vor allem nicht sexuell. „Das war natürlich nicht immer so gewesen", versichert Marius. In der Kennenlernphase gab es viel Leidenschaft, sehr viel körperliche Zuneigung. „Damals hing ich mein Hobby sogar an den Nagel." Doch nach nur einem halben Jahr war die Luft raus. Mittlerweile wurde der Sex zwischen den jungen Eheleuten zu einer Seltenheit. „Und wenn es dazu kommt, kann ich nicht kommen", gibt Marius ehrlich zu. „Ich brauche schon was Härteres."
Ansteckungsgefahr ist gegeben
Und das könne ihm eben eine „normale Partnerin" nicht geben. Auf der anderen Seite fordert Marius das auch nicht ein. „Es würde mich fertigmachen, wenn sie mir so was vorschlagen würde, wie die Szene aus Düsseldorf. Oder andere Sachen, die andere Männer betreffen. Das hört sich vielleicht sehr archaisch an, aber meine Frau wird nicht geteilt. Das kommt für mich nicht infrage."
Dann schon lieber die Amateurdarstellerinnen aus dem Internet. „Sie haben Spaß dran, verdienen damit Geld. Das ist dann was ganz anders. Ich hatte zum Beispiel mal eine Anal-Szene mit einer Darstellerin und einem Baseballschläger. Das würde ich mit meiner eigenen Frau niemals machen. Ich wüsste auch gar nicht, wie ich reagiert hätte, wenn sie explizit danach fragen würde."
Dass er sie mit seinem Hobby hintergeht, sieht Marius nicht so. Auch die Gefahr einer Ansteckung mit sexuell übertragbaren Krankheiten ist in Marius’ Welt kaum präsent. „Die meisten Darstellerinnen verlangen erst gar keine Testergebnisse und legen selbst auch keine vor. Ich hatte einfach Glück. Bis jetzt."