Sie gaukeln Mädchen die große Liebe vor und zwingen sie anschließend zur Prostitution. Trotz der Abwärtsspirale aus physischer und psychischer Gewalt bringen nur die wenigsten die Kraft auf, ihre Peiniger anzuzeigen. Die meisten der sogenannten Loverboys sind immer noch auf freiem Fuß.
Zwei Jahre lang geht Nadja für ihren „Loverboy" Hassan auf den Strich. Erst als ihr vermeintlicher Freund sie fast totschlägt und ein Nachbar die Polizei alarmiert, bringt Nadja den Mut auf, gegen ihn auszusagen. Das Gericht verurteilt Hassan zu sieben Jahren Gefängnis. Damit rettet die junge Frau nicht nur ihr Leben. Im Laufe der Verhandlung stellt sich heraus, dass Hassan neben Nadja vier weitere Mädchen missbraucht hatte.
Das Martyrium von Nadja ist in Deutschland kein Einzelfall. Dennoch bildet ihr mutiges Beispiel eine Ausnahme. Denn die meisten Mädchen trauen sich erst gar nicht, gegen ihre Zuhälter auszusagen. Aus Angst oder Scham erstatten die Betroffenen erst gar keine Strafanzeige oder beschränken sich dabei auf solche Delikte wie Freiheitsberaubung oder Körperverletzung. Viele kehren sogar nach einem Fluchtversuch zu ihren Peinigern zurück.
Bei Nadja war das nicht anders. „Ich war hin- und hergerissen von meinen Gefühlen", erzählt sie in der ARD-Dokumentation „Verliebt, verführt, verkauft". „Einerseits liebt man diese Person, andererseits weiß man, dass das etwas Schlimmes ist, was man tut."
Hassan prügelt seine Nadja täglich auf den Strich. Dass sie minderjährig ist, spielt dem Loverboy sogar in die Hände. Für junge Mädchen bekommt man bessere Preise. Nadja muss täglich mindestens 400 Euro verdienen. Bekommt sie weniger, wird sie von Hassan geschlagen. Manchmal schlägt er Nadja trotz des guten Verdienstes − einfach, damit sie gefügig bleibt.
Parallelwelt aus Lügen
Dabei fängt ihre „Liebesgeschichte" sehr romantisch an. Nadja ist gerade mal 16, als sie Hassan zum ersten Mal begegnet. „Ich war unattraktiv, eher unauffällig", beschreibt sich das brünette Mädchen selbst. „Und die merken das, ob man schüchtern ist. Die haben ein Gefühl dafür, wenn man unsicher ist. Dann laden sie einen erstmal zu einem Kaffee ein, checken erstmal alles ab. Und dann wirst du mit einem Auto abgeholt, das 80.000 Euro kostet. Der Typ sieht aus wie aus der Zeitung und jede Frau möchte ihn haben. Aber nur du hast ihn."
Das ist auch der Kern der „Loverboy-Masche": galantes, weiches Auftreten. Die ehemalige Kriminalhauptkommissarin und Initiatorin des Vereins „NO Loverboys", Bärbel Kannemann, umschreibt die Täter als Zuhälter mit Don-Juan-Allüren, die meistens selbst noch sehr jung sind und minderjährige Mädchen ab elf Jahren in die Prostitution zwingen. „Die Loverboys sprechen von der großen Liebe, machen großzügige Geschenke, schleichen sich im Freundeskreis ein, suchen sich ihre Opfer vor Schulen, in der Nähe von Jugendtreffs oder im Web."
Fühlt sich erst ein Mädchen bei einem Loverboy aufgehoben, schnappt die Falle gleich zu.
So war es bei Nadja. Plötzlich begann ihr vermeintlicher Prinz über Geldsorgen zu klagen. Nadja müsse ihm helfen, ohne sie würde er es nicht schaffen. Das hilfsbereite Mädchen konnte diesem Druck nicht lange standhalten. „In dem Moment will man dem Partner auch beweisen, dass man ihn liebt", versucht die junge Frau ihren Verhalten zu erklären. Die Liebe treibt Nadja weit über die Grenzen der Vernunft hinaus. „Es hat mir einen Kick gegeben, dass ich ihm das ermöglichen konnte. Ich war bereit, alles dafür in Kauf zu nehmen, auch meinen Körper zu verkaufen."
Entpuppt sich das Mädchen als widerspenstig, greifen die Loverboys zu Erpressung. Auf ihrer Webseite zitiert Kannemann ein ehemaliges Opfer: „Er sprach mich vor der Schule an, nahm mich im Auto mit. Er hatte schöne Augen, schenkte mir CDs und schickte Sachen. Wir gingen aus. Immer nur nachmittags, damit ich zu Hause keinen Ärger bekam. Ich war verknallt in ihn.
Dann der erste Sex auf seiner Bude. Kurz danach kamen andere Jungen ins Zimmer, die mich streichelten. Es sei normal, dass seine besten Freunde auch Sex mit mir haben, sagte er. Heimlich wurde fotografiert. Bald zeigte er mir die Bilder und ich hatte Angst, dass meine Eltern sie sehen."
Strategisches Vorgehen macht die „Loverboy-Masche" aus, weiß Kannemann. Am Anfang achten die vermeintlichen Prinzen sogar akribisch darauf, dass die Mädchen ihre Hausaufgaben machen und nicht schwänzen, damit die Eltern möglichst lange nichts merken. Nach und nach werden die Mädchen von Familie und Freunden entfremdet, bis sie nur noch ihren Loverboy als einzigen Kontakt haben. Dann kommen auch die Drogen ins Spiel. „Erst Haschisch, dann Kokain, später noch weitere. Auch dadurch machen sie die Mädchen von sich abhängig", weiß Kannemann.
Eine handfeste Lösung gibt es für das Problem nicht. „Die Mädchen haben häufig gelernt, ein Parallel-Leben mit Lügen und Leugnen zu führen", schreibt Kannemann auf der „NO Loverboy"-Seite. Dennoch bittet die Expertin die Eltern inständig darum, den Kontakt zu ihren Kindern nicht zu verlieren und ihnen immer wieder klarzumachen: „Wir sind und bleiben deine Eltern – egal, was du machst."