Mit dem neuen Prostituiertenschutzgesetz wollte der Gesetzgeber vor allem gegen Menschenhandel vorgehen. Doch aus Sicht der Prostituierten geht die neue Regelung völlig nach hinten los. Warum das so ist, erklärt Charlie Hansen vom Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen.
Charlie Hansen, warum lehnen Prostituierte den Schutz durch das neue Gesetz ab?
Schutz scheint das große Thema des Gesetzes zu sein. Leider hat uns Sexarbeitende im Vorfeld niemand gefragt, welche Art von Schutz wir benötigen könnten. So sind in dem Gesetz eine Vielzahl von komplizierten Regulierungen festgeschrieben, die uns in der Praxis eher schaden als nützen oder schützen.
Man könnte meinen, dass ein Schutzgesetz die Betroffenen irgendwie mit Rechten ausstattet. Doch weit gefehlt. Tatsächlich verletzen die Vorschriften gleich mehrere Grundrechte von Sexarbeitenden: Das Recht auf freie Berufswahl, die Unverletzlichkeit der Wohnung und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Zusätzlich beinhaltet das Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG) eine Reihe von Pflichten und Regeln für Sexarbeitende; zum Beispiel müssen wir uns behördlich registrieren und regelmäßig diverse Pflichtberatungen über uns ergehen lassen. Als Krönung müssen wir einen „Hurenpass" mit uns rumschleppen, der uns als Prostituierte ausweißt.
Außerdem ist das Gesetz so umfangreich und kompliziert, dass es vor allem für die migrantischen Kolleginnen und Kollegen, aber auch für Sie und mich sehr schwierig ist, den Inhalt zu verstehen. Und auch die Behörden, die mit der Umsetzung betraut wurden, tun sich sehr schwer damit. In fast allen Bundesländern hakt die Umsetzung auch ein Jahr nach Inkrafttreten noch. Oft ist eine Registrierung gar nicht oder nur mit langen Wartezeiten möglich. Das ist vor allem für Kolleginnen und Kollegen, die zum Arbeiten aus dem Ausland kommen, sehr schwierig – in der Wartezeit entstehen Kosten, die sie dann erst mal wieder abarbeiten müssen.
Aber ist es nicht wichtig, etwas gegen Menschenhandel zu unternehmen?
Sicherlich, die Frage ist, ob das ProstSchG dafür geeignet ist. Leider verschafft das Gesetz auch der eigentlichen Zielgruppe, den Betroffenen von Menschenhandel und Ausbeutung keine Vorteile. Ihnen steht nicht etwa Entschädigung oder ein Aufenthaltsrecht zu. Sie werden weiterhin, wie zuletzt nach einer Großrazzia in den Abschiebeprozess verschoben.
Außerdem schließt es migrantische Kolleginnen und Kollegen ohne Arbeitserlaubnis aus, die können sich nicht registrieren lassen, und ohne Hurenausweis können sie keinen Arbeitsplatz bekommen. Sie werden aus den sicheren Betriebsstrukturen ausgeschlossen und können so einfacher Opfer von Ausbeutung und Zwang werden. Schutz sieht wirklich anders aus.
Ist es nicht sinnvoll, dass es jetzt Regeln für Bordellbetreiber gibt?
Das ProstSchG beinhaltet diverse Anforderungen für Bordellbetriebe, manche davon machen für einige Betriebe durchaus Sinn. Leider definiert das ProstSchG schon zwei gemeinsam arbeitende Kolleginnen und Kollegen als Betrieb – so dass für zwei, die sich eine Arbeitswohnung teilen oder ein Tantrastudio, dieselben Auflagen wie für ein großes Laufhaus gelten. Das ProstSchG übersieht die Vielfalt unserer Arbeitsplätze – nur ein Teil davon besteht aus Großbetrieben, daneben existiert eine große Vielfalt an selbstorganisierten, kleinen Betrieben. Und gerade diese kleinen, oft von Sexarbeitenden selbst gestalteten Arbeitsplätze sind unter dem ProstSchG massiv in Gefahr. Das ist natürlich völlig widersinnig und zerstört unser Kleingewerbe, also sozusagen den sexuellen Dienstleistungs-Mittelstand. Das sind Menschen, die wollen emanzipiert, selbstbestimmt arbeiten, doch genau das macht das neue ProstSchG durch seine Auflagen fast unmöglich und dagegen kämpfen wir.
Was tun Prostituierte, um sich gegen das Gesetz zu wehren?
Das ist tatsächlich schwierig: Die Tätigkeit als Sexarbeiterin und Sexarbeiter ist hoch stigmatisiert, deshalb ist ein offener Protest fast unmöglich. Die Betroffenen melden sich selten zu Wort. Es ist schwierig, Außenstehenden zu vermitteln, was das Stigma bedeutet; aber im Endeffekt sind alle Sexarbeitenden von dem Stigma betroffen. Man sieht Sexarbeitenden ihre Tätigkeit nicht an – wir sind ganz normale Menschen! Aber wenn andere erfahren, dass wir Sexarbeit machen, sind wir oft Diskriminierungen und sozialer Isolation ausgesetzt. Wir haben Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche, Nachbarn mobben uns, die Eltern anderer Kinder schließen die eigenen aus, Angehörige distanzieren sich et cetera. Solange Sexarbeit mit gesellschaftlicher Stigmatisierung einhergeht, können es sich die meisten Sexarbeitenden schlicht nicht leisten, sich offen zu ihrer Arbeit zu bekennen. Sie führen ein Doppelleben zum Schutz ihrer Identität.
So gibt es nur ganz wenige Kolleginnen und Kollegen, die sich offen zu ihrer Tätigkeit bekennen und sich dann auch gegen Maßnahmen wie das ProstSchG zur Wehr setzen. Vor diesem Hintergrund wurde vor fünf Jahren von einer Gruppe Kolleginnen und Kollegen aus unterschiedlichen Bereichen der Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen (BesD) gegründet.
Was genau ist der Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen?
Als Zusammenschluss von aktiven und ehemaligen Sexworkern treten wir für die Interessen von allen Sexarbeitenden in Deutschland ein. Wir wollen die Vielfalt von Sexarbeit sichtbar machen und gegen die gesellschaftliche Stigmatisierung ankämpfen. Wir formulieren Forderungen an die Politik und dienen Presse und Forschern als Ansprechpartner. Außerdem bieten wir Kolleginnen und Kollegen eine Plattform für Informationen, Austausch und Vernetzung. Und schließlich fördern wir die Professionalisierung unserer Branche, indem wir zum Beispiel Weiterbildungen und Workshops bewerben.
Was sind denn die Forderungen des BesD?
Wir fordern die gesellschaftliche Anerkennung unserer Tätigkeit und rechtliche Gleichbehandlung mit anderen Berufen.
Um das Stigma praktisch bekämpfen zu können, fordern wir, ins Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz aufgenommen zu werden. So könnten wir uns gegen erlebte Diskriminierungen zur Wehr setzen.
Wir fordern die Abschaffung von Sondergesetzen, wie dem ProstSchG, den Sonderparagrafen im Strafgesetzbuch und den Sperrgebietsregelungen. Wir wollen wie andere freie Berufe behandelt werden, dann könnte ein Zusammenschluss von Kolleginnen und Kollegen wie eine Gruppe von Ärzten oder Anwälten gleichberechtigt einen Arbeitsplatz teilen.
Wir hoffen sehr darauf, dass das Verfassungsgericht, das im Herbst unsere Verfassungsbeschwerde behandelt, zumindest entscheidet, dass die Registrierungspflicht für Sexarbeitende gekippt wird und dass Arbeitsplätze erst ab fünf Sexarbeitenden als Betrieb bewertet werden.