Im Dauerstreit um die Flüchtlingspolitik gehen andere politischen Herausforderungen derzeit unter. „Das ärgert mich“, sagt Justizministerin Katarina Barley im FORUM-Interview. Auf ihrer Agenda der ehemaligen Familien- und Frauenministerin stehen zwar auch Fragen im Zusammenhang mit Migranten, aber auch Kinderrechte im Grundgesetz und Werbung für Schwangerschaftsabbrüche.
Frau Barley, rührt Ihr Engagement beim Bundeskongress der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen noch aus Ihren Zeiten als Frauenministerin, oder geht es Ihnen vorrangig darum, in Ihrem neuen Amt in diesen Fragen etwas zu bewegen?
Frauenpolitik hat mir immer am Herzen gelegen, mein ganzes politisches Leben lang. Das wird auch immer so bleiben, egal in welcher Funktion. Auch in meinem Amt als Justizministerin habe ich viel mit frauenpolitischen Themen zu tun. Dazu gehört beispielsweise alles was mit der Quote zu tun – sei es in der Wirtschaft oder im öffentlichen Dienst. Ich hätte mir da im Koalitionsvertrag mehr gewünscht, aber bei dem Thema haben wir unseren Koalitionspartner schon in der letzten Legislatur bis an die Schmerzgrenze belastet. Ich freue mich, dass wir beispielsweise die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern in Leitungsfunktionen im öffentlichen Dienst bis 2025 und die bessere Bezahlung in Pflege- und Sozialberufen durchsetzen konnten. Von Letzterem profitieren ja vor allem Frauen.
Was ist für Sie die Botschaft vom AsF-Bundeskongress in Saarbrücken?
Frauen sind eine Macht und da wo Frauen an der Macht sind, tut sich auch was. Frauen verändern die Politik inhaltlich, aber auch in der Art wie kommuniziert und zusammengearbeitet wird. Wir wissen vor allen Dingen aus der Entwicklungszusammenarbeit, dass Frauen häufiger in langfristige Projekte investieren, dass sie weniger nur an sich selbst denken und mehr an die gesamte Gesellschaft. Frauen sind folglich immer eine Bereicherung für alle Themengebiete. Ich finde es gut zu sehen, dass sie auch einen Machtanspruch haben. Das wird auf diesem Treffen hier in Saarbrücken deutlich.
Gab es auch konkrete Ideen und Anregungen für Ihr Ministerium?
Ich werde mir alle Beschlüsse intensiv ansehen. Klar gibt es hier Themen, die auch meinen Bereich betreffen. Das ist zum Beispiel das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche, das derzeit in der Diskussion ist. Da sind wir im Gespräch mit den Unionsparteien über eine mögliche gemeinsame Lösung.
Der Saarländer Heiko Maas war Ihr Vorgänger im Justizministerium. Hat er als Mann sich weniger für Frauenrechte eingesetzt, als Sie das nun tun wollen und konnten Sie schon erste Schritte hinsichtlich modernerer Frauenrechte in die Wege leiten?
Auch Männer können eine sehr fortschrittliche Gleichstellungspolitik verkörpern. Schauen Sie nur nach Kanada, nach Spanien, nach Frankreich. Da setzen sich auch Männer an prominenter Stelle für Gleichberechtigung ein, einfach weil sie wissen, dass das am Ende allen hilft. Wir haben jetzt erst 100 Tage rum in der Regierung und auch in diesem Bereich noch viel vor. Dazu kommen auch viele andere gesellschaftspolitische Themen, wie etwa die Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz.
Hatten Sie einen engen Austausch bei der Amtsübergabe durch Heiko Maas, der ja jetzt das Außenministerium leitet? Wie sieht solch ein Austausch aus?
Zwischen allen sozialdemokratischen Ministerinnen und Ministern gibt es einen engen Austausch. Wir haben regelmäßige Runden, bei denen alle zusammenkommen aber natürlich auch viele persönliche Gespräche. Heiko Maas und ich haben immer schon ein sehr gutes Verhältnis gehabt. Das macht es jetzt natürlich leichter, sich bei wichtigen Fragen direkt auszutauschen.
Nun sitzen Sie selbst im Bundestag. Als weibliche Ministerin gehen Sie ebenso wie Ihre Nebensitzerin im Parlament, Ursula von der Leyen voran. Dennoch liegt der Frauenanteil im Bundestag derzeit bei nur 31 Prozent. Was wollen Sie tun, um dem entgegenzuwirken?
Das ist wirklich eine dramatische Entwicklung. Der Frauenanteil im Deutschen Bundestag ist auch erst dann wirklich angestiegen, als es Frauenquoten in den Parteien gab. Bis in die 80er-Jahre hinein war der Frauenanteil im deutschen Bundestag nicht höher als in der Weimarer Republik. Das sollte man sich mal vor Augen führen. Nur die Quote hat hier eine Veränderung bewirkt. Das heißt aber auch, wenn Parteien stärker sind, die keine Quoten in ihrer Parteisatzung haben, dass dann der Frauenanteil sinkt. Diese Parteien müssen endlich anerkennen, dass unser Land zu 50 Prozent aus Frauen besteht! Wenn man darauf nicht warten möchte, kann man auch über gesetzliche Regelungen nachdenken. Frankreich zum Beispiel hat bereits ein sogenanntes Parité-Gesetz.
Die Flüchtlingsthematik stellt die neue Regierung im Moment vor eine Zerreißprobe. Neben den aktuellen Diskussionen ist die Anerkennung und Stellung der Frau, also Gleichberechtigung immer wieder Thema.
Unter den Geflüchteten gehören Frauen und Kinder zu den Gruppen, die wir ganz besonders schützen müssen. UNICEF ist beispielsweise in diesem Bereich auch bei uns in Deutschland sehr aktiv. Bereits als Familienministerin habe ich deswegen mit dieser Organisation sehr eng zusammengearbeitet – insbesondere was den Schutz von Frauen und Kindern in Sammelunterkünften anging. Da wo viele Menschen zusammen leben, da sind diese beiden Gruppen besonders gefährdet. Außerdem haben sie auf der Flucht besonders viel erlebt und brauchen deshalb besondere Unterstützung.
Dass der Flüchtlingsstreit über allem schwebt, macht das Ihre Arbeit in der neuen Regierung schwieriger?
Wir haben im Koalitionsvertrag intensiv über das Thema Migration verhandelt und uns auf verschiedene Maßnahmen geeinigt. Klar ist, dass eine humane und funktionierende Flüchtlingspolitik nur auf europäischer Ebene geregelt werden kann. Die SPD hat da ein gutes Konzept vorgelegt. Wir brauchen europäische Lösungen. Das ist auch das Signal, das vom EU-Gipfel ausgeht.
Ihre tägliche Arbeit ist durch das alles überlagernde Thema also nicht eingeschränkt?
Wir haben im Koalitionsvertrag wichtige Vorhaben verabredet. Daran arbeiten wir weiter. Aber: Es ärgert mich, dass im Moment über nichts anderes gesprochen wird als über den internen Streit zwischen CDU und CSU. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten zu Recht, dass die ganze Regierung ihre Arbeit macht.