Einen Tag lang sah es so aus, als könnten Detailverhandlungen über den Brexit endlich beginnen. Doch kaum hatte Premierministerin May endlich ein Konzept vorgelegt, sorgten prominente Ministerrücktritte für neues Chaos in der ohnehin verworrenen Situation.
Ob sich Theresa May dieser Tage mit Angela Merkel ausgetauscht hat, blieb unklar. Grund für einen netten Plausch hätten die beiden Damen allemal. Sind beide doch mit polternden Belehrungen und wenig diplomatischen Formulierungen von einem gemeinsamen Freund bedacht worden, dessen Auftreten mit vielem zu tun haben mag, gewiss aber nichts mit Sensibilität oder gar ausgleichender Suche nach Lösungen. Erwartet hatte dergleichen auch niemand von US-Präsident Donald Trump. Eigentlich müsste so etwas die Europäer zusammenschweißen. Aber das hatte man auch schon beim Brexit gedacht und – vergeblich – gehofft.
Der war zuletzt in der deutschen Wahrnehmung eher nach hinten gerückt, obwohl das Datum in greifbare Nähe kommt. Zu sehr war man in Deutschland mit der Auseinandersetzung Seehofer-Merkel beschäftigt. Selbst als May das nicht mehr für möglich gehaltene Kunststück geschafft hatte, endlich so etwas wie ein Ausstiegskonzept auf einer Klausurtagung durchgeboxt hatte, blieben die Reaktionen zurückhaltend. Ein Freihandelsabkommen mit der EU über den Warenverkehr, ansonsten aber britischer Sonderweg, ließe sich diese Variante eines etwas weicheren Brexit zusammenfassen. Kritiker hatten kaum das Wort von der „Rosinenpickerei" dazu kommentiert, als die eigentliche Bombe platzte.
Die beiden prominentesten Brexit-Hardliner verließen dieses Boot. Erst der Brexit-Minister David Davis und kurz darauf auch Außenminister Boris Johnson. Auf dem Kontinent rieb man sich verwundert die Augen. Ja, was denn nun? Die Dauerfrage seit jenem historischen Referendum ist um ein Fragezeichen reicher, und das Königreich stochert weiter im Nebel auf der Suche nach dem, was es denn nun wirklich will.
May und Merkel hätten neben Trumps Einlassungen auch ein zweites Gesprächsthema, das beide derzeit teilen. Es ist das um das Spannungsfeld zwischen kurzfristigen innenpolitischen Machtkämpfen und nachhaltiger, auch internationaler, Verantwortung. Das ist in Deutschland durch den von Horst Seehofer mit seinem Masterplan ausgelösten Streit deutlich geworden. Der Brexit-Streit auf der Insel hat ähnliche Züge. Offiziell tobt die Auseinandersetzung um die Frage nach dem besten Weg beim beschlossenen Brexit, aber im Grunde drehen sich die Rücktritte erstens um die Ablösung der ohnehin angeschlagene Premierministerin, und damit dann zweitens auch um ihre mögliche Nachfolge.
Welcher Brexit darf's denn sein?
Womöglich muss man sich dabei einen neuen Namen einprägen: Jacob Rees-Mogg. Der konservative Abgeordnete spielt sich medial immer mehr in den Vordergrund bei den Brexit-Hardlinern und gilt inzwischen als das Gesicht der tendenziell EU-feindlichen Gruppe in der Fraktion. „Die Zügel sind denen in die Hand gegeben worden, die die EU nie verlassen wollten", kritisiert er immer wieder in unterschiedlichsten Varianten in seinem Feldzug gegen die „Softies". May warf er kürzlich vor, die „riesige Chance" des Brexits für das Land nicht zu erkennen, weshalb sie nach wie vor für einen irgendwie gearteten Verbleib in der EU sei. „Brexit is name only", argwöhnen die Kritiker, will heißen, es gibt zwar etwas, was Brexit heißt, bei dem aber zentrale Beziehungen zur EU aufrechterhalten werden. Schlimmer noch: Großbritannien hätte dann nicht einmal mehr Einfluss auf die Entwicklungen in der EU. Für die Hardliner ist deshalb klar: „May muss weg."
Konsequenterweise wären dann aber Neuwahlen folgerichtig. Womit sich die Strategen des Brexit allerdings schwertun. Nicht so sehr, dass die Stimmung zugunsten eines Verbleibs in der EU kippen würde. Dafür gibt es keine validen Hinweise. Dazu haben im Übrigen die EU und zahlreiche führende Vertreter der Mitgliedsstaaten beigetragen. Deren Reaktionen wurden und werden nämlich von vielen als arrogant und als ein Affront empfunden. Auch die jüngsten Kommunalwahlen deuten nicht darauf hin, dass ein neues Referendum derzeit ein grundlegend anderes Ergebnis bringen würden. Bei Wahlen könnte das allerdings sehr wohl anders sein. Denn die Menschen sind den Dauerstreit und die Unklarheiten leid. Und mit Jeremy Corbyn an der Spitze der Labour Party gibt es eine erkennbare Alternative.
Dass ausgerechnet Corbyn womöglich May vor einem wirklichen Putsch aus dem eigenen Lager bewahren könnte, hätte er sich selbst wohl kaum träumen lassen. Denn die Vorstellung, dass ein Sozialist in den altehrwürdigen Amtssitz in der Downing Street ziehen könnte, könnte den ein oder anderen May-Gegner derart verschrecken, dass er schlimmstenfalls lieber die Kröte eines wie auch immer gearteten weichgespülten Hard-Brexits schlucken würde.
Die Gegner Mays haben zudem ein weiteres Problem. Sie haben kein klar formuliertes Papier, wie denn ihr „harter Brexit" umgesetzt werden soll. Die ursprüngliche Idee, zunächst einmal die Handelsbeziehungen mit den USA zu forcieren, wird durch die Entwicklungen der derzeitigen Präsidentschaft nicht gerade beflügelt. Zumal man bei Trump nie weiß, welche Äußerung nun die ist, die auch längerfristig bestand hat. Einerseits hatte er gedroht, bei einem weichen Brexit werde es kein Handelskommen beider Länder geben, andererseits hätten beide Länder die Chance, ihr Handelsvolumen zu verdoppeln, oder gar noch weiter auszubauen. Dass Trump eher ein Freund eines harten Brexits ist, ist bekannt. Aber unklar ist, ab welchen Detail-Bedingungen er von einem „harten" oder „weichen" Brexit ausgehen würde.
Im Übrigen lassen die Reaktionen aus Brüssel und etlichen Mitgliedsstaaten nicht erwarten, dass Mays Konzept Chancen hat, realisiert zu werden. Abgesehen davon, dass den Brüsseler Verhandlern irgendwann auch der Geduldsfaden reißen könnte, wenn sie nicht wissen, ob das, was sie heute versuchen auf den Weg zu bringen, morgen noch gilt. Zwar ist bereits so etwas wie eine Nachspielzeit bei den Verhandlungen vereinbart. Aber der Zeitrahmen war von vornherein mehr als ambitioniert. Womit sich die Frage stellt, an welchen Schubladenplänen bereits gearbeitet wird. Das gilt übrigens für beide Seiten.