Die finnische Hauptstadt Helsinki ist nicht nur wegen ihrer klassizistischen Prachtbauten ein Besuchermagnet. Sie ist auch besonders für ihr Design bekannt.
„Ach, da hängt ja meine Schere", staunt eine Besucherin in Helsinkis Design Museum. Gerade steht sie vor einer Tafel, auf der diverse Scheren befestigt sind. Erst jetzt wird ihr bewusst, dass ihre Schere daheim, die mit den orangefarbenen Plastikgriffen, ein finnisches Design-Produkt ist, entwickelt von Olof Bäckström.
Der hatte 1960 den Auftrag erhalten, eine ganz normale Schere mit Plastikgriffen zu entwerfen. Gesagt, getan. Auch probierte er alle Entwürfe selber aus. Seine Schere sollte für starke und schwache Hände tauglich sein sowie für Rechts- und Linkshänder. Daraus entstand die berühmte Fiskars O-Serie, die den Weltmarkt eroberte, ein Paradebeispiel für ein perfektes Design-Produkt zum moderaten Preis. Die leicht welligen Vasen von Alvar Aalto (1898–1976), Finnlands Design-Papst, sind weit verbreitet, ebenso seine höchst praktischen Stühle und bequemen Liegen, die weiterhin gefertigt werden. Viele Frauen würden auch gern das Collier tragen, das Björn Weckström für Prinzessin Leia im Film „Star Wars" entwarf.
Seit Helsinki im Jahr 2012 den Titel „Welt-Design-Hauptstadt" trug, hat sich dieser Nimbus gehalten. Noch spürbarer als zuvor stößt finnisches Design auf Interesse und steht nun vor allem in Japan und China hoch im Kurs. Die alljährliche „Design Week" im September ist (nicht nur) für diese Klientel ebenso ein Muss wie der Gang durchs Design Museum, wo auch Werke von heutigen Künstlern Aufsehen erregen.
Finnisches Design steht hoch im Kurs
Wie gern möchte sich mancher Besucher ein bisschen auf den zottelig-bunten Sitzmöbeln von Tuula Pöyhönen lümmeln, bevor sie weiter durch die Stadt traben, wird doch das sichere und schöne Helsinki mehr und mehr zum „must see", zu einer Stadt, die man gesehen haben muss.
Offenbar liebt Finnland seine Gäste. Mit ungewohnter Freundlichkeit werden sie auf Helsinkis Airport abgefertigt. Da man bis 2020 mit jährlich 20 Millionen Passagieren rechnet, wird der Hauptstadt-Flughafen schon jetzt deutlich erweitert.
Ein direkter S-Bahnanschluss besteht bereits seit Juli 2015. Für fünf Euro gelangen alle bequem und weit billiger und schneller als mit dem Taxi zum Hauptbahnhof im Stadtzentrum. Für Sportliche gibt es neuerdings sogar eine Fahrradautobahn.
Auch die Gäste buchen gern mal eines der leuchtend gelben Räder mit ihrem Smartphone. Beispielsweise an der breiten Straße zwischen dem Südhafen – wo die Fähren zu den vorgelagerten Inseln starten – und dem weißen Alvar-Aalto-Gebäude mitsamt der orthodoxen Backstein-Kathedrale. Zwei Hingucker, die bei untergehender Sonne besonders faszinieren.
Gegenüber vom Fährhafen reihen sich klassizistische Prachtbauten, wie das leicht bläuliche Rathaus und die fast sonnengelbe Universität. Davor verlockt der Markt mit seinen weißen Zelten zu einem Snack und mit fein „designten" Obst- und Gemüseständen. Gern gekauft werden auch die farbenfrohen, oft handgefertigten Wollmützen. Jede Strickerin hat ihr spezielles Design.
Vom Markt sind es nur wenige Schritte zur bisherigen Universitätsbibliothek. Von außen fällt sie weniger auf, überrascht drinnen jedoch mit schwungvollen Formen und einem gelungenen Licht-Design. Wortwörtlich ein Highlight nicht nur für Fans der Moderne. Danach aber bitte ins charmante „Robert’s Coffee" nahe dem Hauptbahnhof, das sich als Jugendstil-Perle entpuppt.
Und was danach als Nächstes unternehmen? Natürlich Helsinkis Wahrzeichen bewundern, den schneeweißen klassizistischen Dom mit den grünen Kupfertürmen, ein Meisterwerk des in Berlin geborenen Architekten Carl Ludwig Engel (1778–1840). Im Sommer sitzen viele auf der breiten Treppe zu Füßen der Kirche – nicht nur die jungen Leute.
Die Gäste wollen auch shoppen, vielleicht in einem der zahlreichen Designerläden oder im Traditionskaufhaus Stockmann, Finnlands KaDeWe. Viele möchten die breiten Boulevards entlangschlendern, andere einige Zeit im Kiasma-Museum für zeitgenössische Kunst verbringen und abends Musik im grün verkupferten Konzerthaus hören, das wegen seiner guten Akustik bekannt ist. Ein Verdienst des Akustik-Designers Yasuhisa Toyota, der kürzlich den Klang in Hamburgs Elbphilharmonie und im Berliner Pierre-Boulez-Saal perfektionierte.
Neues Kunstmuseum öffnet im August
Ganz Neues gibt es auch bald. Im August soll das Kunstmuseum Amos Rex in der Innenstadt seine Pforten öffnen. Einige Monate später wird die neue Zentralbibliothek „Ode" eingeweiht, eine Bibliothek der Zukunft. Sie will auch einen offenen gemeinsamen Raum bieten, ein „Wohnzimmer für alle" zum Relaxen im hektischen Stadtzentrum.
Diese neuen Publikumsbauten werden sicherlich weitere Gäste anlocken, und die brauchen auch mehr Unterkünfte. Das „Torni" nahe dem Hauptbahnhof hat aufgestockt und bietet Designzimmer im Turm mit tollem Blick über die Stadt. Im Jätkäsaari-Investment-Distrikt am Westhafen ragt das im Herbst 2016 eröffnete „Clarion Hotel" empor. Glaskorridore verbinden die beiden 75 und 78 Meter hohen Türme. Der Clou ist hier aber nicht die Skybar, sondern der an dem niedrigeren Turm aufgehängte Pool. Durch den Plexiglasboden blicken die Badenden 70 Meter in die Tiefe! Nur für Schwimmerinnen und Schwimmer ohne Höhenangst.
Helsinki entwickelt sich nicht nur zum Besuchermagneten. Auch die Finnen strömen vermehrt vom Norden in die Hauptstadt. Momentan liegt die Einwohnerzahl bei 630.000 und wächst jährlich um etwa 7.500 Zuzügler, berichtet die Stadtverwaltung. Zusätzlicher Wohnraum entsteht, aber nicht der simplen Art, sondern umweltfreundlich, mit viel digitaler Technik und guter Verkehrsanbindung. „Smart City" lautet das neue internationale Modewort für dieses Bestreben.
„Bis 2030 soll Helsinki zu einer humanen, gesunden und smarten City werden, die es mithilfe der Architektur den Menschen ermöglicht, von Verbrauchern zu Bürgern zu werden. Wir wollen die funktionstüchtigste Stadt der Welt werden", so die Vision von Anne Stenros, Designleiterin der Stadt. Gemeint sind damit auch der weitere Ausbau des öffentlichen Verkehrs und die (noch) bessere Verknüpfung der Fahrpläne von Bussen und Bahnen.
Im Stadtteil Kalasatama östlich vom Zentrum wächst gerade solch eine „Smart City" heran, ein Riesenprojekt. Auf dem Gelände des ehemaligen Frachthafens entsteht dort ein neuer Distrikt für rund 20.000 Bewohner. Tuomas Hakala, der verantwortliche Stadtarchitekt, rechnet mit einer Bauzeit bis 2035. Die Gebäude werden von unterschiedlichen Architekten entworfen, um einen Einheitslook zu vermeiden. Wolkenkratzer sind unerwünscht. Mehrere Parks sollen das Gelände freundlich auflockern. Ein alter Gasometer auf dem Gelände wird zum Konzert- und Event-Saal umfunktioniert.
Einige Häuser sind bereits bewohnt, auch die Schule ist fertig. Eine weiße, elegant geschwungene Brücke für Fußgänger und Radler verbindet bereits Kalasatama mit der waldreichen Zoo-Insel Korkeasaari. Die Schöne ist eine der drei neuen „Crown Bridges", die Helsinkis Osten mit der Innenstadt verzahnen. Eine echt smarte Idee.